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»Nein, Ssonja«, unterbrach er sie hastig, »es war anderes Geld, beruhige dich! Dieses Geld hat mir meine Mutter geschickt durch einen Kaufmann; ich erhielt es, als ich krank war, am gleichen Tage, an dem ich es hergab ... Rasumichin hat es gesehen ... er hat auch das Geld für mich übernommen ... dieses Geld war wirklich mein eigenes.«

Ssonja hörte verständnislos zu und bemühte sich mit aller Kraft, etwas zu verstehen.

»Und jenes Geld ... ich weiß übrigens gar nicht, ob dort überhaupt Geld war«, fügte er leise und nachdenklich hinzu. »Ich habe ihr damals einen Beutel vom Halse genommen, einen wildledernen ... einen vollgestopften dicken Beutel ... und habe gar nicht hineingeschaut; hatte wahrscheinlich keine Zeit dazu ... Nun, und die Sachen, irgendwelche Hemdknöpfe und Kettchen – alle diese Sachen habe ich am nächsten Morgen auf einem fremden Hofe, auf dem W–schen Prospekt unter einem Stein versteckt ... Alles liegt jetzt noch dort ...«

Ssonja hörte gespannt zu.

»Nun, warum denn ... warum sagten Sie: um zu rauben, haben aber nichts genommen?« fragte sie schnell, wie nach einem Strohhalme greifend.

»Ich weiß nicht ... ich habe es mir noch nicht überlegt, ob ich das Geld nehmen werde oder nicht«, sagte er wieder nachdenklich; plötzlich kam er zu sich und lachte schnell und kurz auf. »Ach, was für eine Dummheit habe ich eben gesagt, wie?!«

Ssonja kam schon der Gedanke: – Ist er nicht wahnsinnig? – Aber sie gab ihn gleich wieder auf: – Nein, hier ist etwas anderes! – Sie verstand davon nichts, gar nichts.

»Weißt du, Ssonja«, sagte er plötzlich, wie einer Eingebung folgend. »Weißt du, was ich dir sagen werde: Wenn ich nur darum gemordet hätte, weil ich hungrig war«, fuhr er fort, jedes Wort betonend und sie rätselhaft, aber aufrichtig anblickend, »so wäre ich jetzt glücklich! Merke dir das! Und was hättest du davon«, rief er nach einem Augenblick in Verzweiflung, »was hättest du davon, wenn ich dir gleich gestanden hätte, daß ich schlecht gehandelt habe? Was hättest du von diesem dummen Triumphe über mich? Ach, Ssonja, bin ich denn deswegen jetzt zu dir gekommen?«

Ssonja wollte wieder etwas sagen, sagte aber nichts.

»Darum habe ich dich auch gestern gerufen, mit mir zu kommen, weil nur du allein mir geblieben bist.«

»Wohin gerufen?« fragte Ssonja.

»Nicht um zu stehlen und nicht um zu morden, beruhige dich! ... nicht dazu«, sagte er mit spöttischem Lächeln. »Wir sind zu verschiedene Menschen ... Weißt du, Ssonja, ich habe erst jetzt, erst eben begriffen, wohin ich dich gestern rief! Als ich dich gestern rief, wußte ich selbst noch nicht, wohin. Nur das eine wollte ich, als ich dich rief, als ich zu dir kam: daß du mich nicht verlassest. Wirst du mich nicht verlassen, Ssonja?«

Sie drückte ihm die Hand.

»Und warum, warum habe ich es ihr gesagt, warum habe ich es ihr enthüllt?!« rief er voll Verzweiflung nach einer Minute aus und sah sie mit unendlicher Qual an. »Da erwartest du von mir Erklärungen, sitzt und wartest, ich sehe es; was kann ich dir aber sagen? Du wirst doch nichts davon verstehen, wirst dich bloß quälen ... um meinetwillen! Nun, du weinst und umarmst mich wieder – warum umarmst du mich? Weil ich es selbst nicht tragen konnte und zum andern kam, um es auf ihn abzuwälzen: ›Leide auch du, damit ich es leichter habe!‹? – Kannst du denn einen solchen Schurken lieben?«

»Quälst du dich denn nicht auch?« rief Ssonja aus.

Wieder überströmte das gleiche Gefühl seine Seele und machte sie für einen Augenblick erweichen.

»Ssonja, ich habe ein böses Herz, merk dir das: damit kannst du vieles erklären. Ich bin auch darum gekommen, weil ich böse bin. Es gibt solche, die nicht gekommen wären. Ich bin aber ein Feigling und ... ein Schuft! Aber ... es sei! Das ist alles nicht das Richtige ... Man muß jetzt sprechen, ich verstehe aber nicht anzufangen ...«

Er hielt inne und wurde nachdenklich.

»Ach, ja, wir sind verschiedene Menschen!« rief er wieder aus. »Wir passen nicht zueinander. Warum bin ich nur hergekommen?! Nie, nie werde ich es mir verzeihen!«

»Nein, nein, es ist gut, daß du gekommen bist!« rief Ssonja. »Es ist besser, daß ich es weiß! Viel besser!«

Er sah sie voller Schmerz an.

»Ach, in der Tat!« sagte er, als hätte er es jetzt begriffen. »So war es ja auch! Also hör: ich wollte ein Napoleon werden, darum habe ich sie ermordet ... Nun, ist es dir jetzt verständlich?«

»N-nein«, flüsterte Ssonja naiv und scheu. »Aber ... sprich, sprich! Ich werde es verstehen, ich werde für mich alles verstehen!« flehte sie ihn an.

»Du wirst es verstehen? Nun, gut, wir wollen sehen!«

Er schwieg und dachte lange nach.

»Die Sache ist die: Einmal habe ich mir folgende Frage gestellt: Wenn zum Beispiel an meiner Stelle Napoleon wäre und er, um seine Laufbahn zu beginnen, weder Toulon, noch Ägypten, noch den Übergang über den Mont-Blanc gehabt hätte, wenn an Stelle dieser schönen und monumentalen Dinge ganz einfach eine lächerliche Alte, eine Registratorswitwe gewesen wäre, die man auch noch ermorden mußte, um aus ihrem Koffer Geld zu stehlen (für die Karriere, verstehst du?) – nun, würde er sich dazu entschließen, wenn er keinen anderen Ausweg gehabt hätte? Wäre er davor zurückgeschreckt, daß er schon gar zu unmonumental und ... und sündhaft gewesen wäre? Nun, ich sage dir also, daß ich mich mit dieser Frage furchtbar lange gequält habe, so daß ich mich furchtbar schämte, als ich schließlich dahinter kam (so ganz plötzlich), daß er davor nicht nur nicht zurückgeschreckt wäre, sondern es ihm nicht mal in den Sinn gekommen wäre, daß es nicht monumental sei ... und er nicht mal begriffen hätte, wovor er hier eigentlich hätte zurückschrecken sollen! Und wenn er keinen anderen Ausweg gehabt hätte, so würde er sie erwürgt haben, so daß sie nicht mal gemuckst hätte, ganz ohne Nachdenken! Nun, und ich ... ließ alles Nachdenken ... und tötete sie ... nach dem Beispiele der Autorität. Und es spielte sich auch genau so ab! Das kommt dir lächerlich vor? Ja, Ssonja, das ist wirklich das Lächerlichste dabei, daß es sich wirklich so abgespielt hat ...«

Ssonja kam es gar nicht lächerlich vor.

»Sagen Sie mir lieber offen ... ohne Beispiele«, bat sie kaum hörbar und noch scheuer.

Er wandte sich zu ihr um, sah sie traurig an und ergriff ihre Hände.

»Du hast wieder recht, Ssonja. Das ist alles Unsinn, fast leeres Geschwätz! Siehst du: du weißt ja, daß meine Mutter fast nichts hat. Meine Schwester hat zufällig Bildung genossen und ist verurteilt, als Gouvernante von Haus zu Haus zu ziehen. Alle ihre Hoffnungen ruhten auf mir allein. Ich studierte, konnte aber meinen Unterhalt nicht bezahlen und mußte zeitweise die Universität verlassen. Und selbst, wenn es sich noch weiter hingeschleppt hätte, könnte ich nach zehn oder zwölf Jahren (wenn die Umstände mir günstig wären) immerhin ein Lehrer oder Beamter mit tausend Rubel Gehalt werden ... (Er sagte das wie eine auswendig gelernte Lektion.) Bis dahin wäre meine Mutter vor Sorgen und Kummer zugrundegegangen, und so wäre es mir doch nicht gelungen, ihr endlich zu einem ruhigen Leben zu verhelfen ... Nun, und der Schwester könnte es noch viel schlimmer ergehen! ... Und was für ein Vergnügen ist es auch, sein Leben lang an allem vorbeizugehen und sich von allem abzuwenden, die Mutter zu vergessen und die Schmach der Schwester mit Ehrfurcht zu ertragen? Wozu? Um sie zu begraben und sich andere – eine Frau und Kinder anzuschaffen und dann auch sie ohne einen Pfennig Geld und ohne einen Bissen Brot zurückzulassen? Nun ... so entschloß ich mich, mir das Geld der Alten anzueignen und es, ohne meine Mutter zu quälen, für den Unterhalt während der ersten Universitätsjahre und für die ersten Schritte nach der Universität zu verwenden, und dies alles auf breiter Grundlage und radikal zu machen, um mir eine vollkommen neue Karriere einzurichten und auf einen neuen, unabhängigen Weg zu kommen ... Nun ... das ist alles ... Daß ich die Alte ermordet habe, war natürlich schlecht von mir ... nun ist's genug!«