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»Zu morden? Ein Recht zu morden wollen Sie haben?!« rief Ssonja und schlug die Hände zusammen.

»Ach, Ssonja! rief er gereizt; er wollte ihr etwas erwidern, schwieg aber verächtlich. Unterbrich mich nicht, Ssonja! Ich wollte dir nur das eine beweisen: der Teufel stieß mich damals hin, und erst nachher erklärte er mir, daß ich gar nicht das Recht hätte, hinzugehen, weil ich die gleiche Laus sei wie alle. Er hat Spott mit mir getrieben, und nun komme ich zu dir. Nimm den Gast auf! Wäre ich denn zu dir gekommen, wenn ich keine Laus wäre? Höre: Als ich damals zu der Alten ging, so ging ich nur, um es zu probieren... Merke es dir!«

»Und Sie haben gemordet, gemordet!«

»Aber wie habe ich gemordet? Mordet man denn so? Geht man so hin, um zu morden, wie ich damals hinging? Ich werde dir einmal erzählen, wie ich hinging! Habe ich denn die Alte ermordet? Mich habe ich ermordet und nicht die Alte! Mit einem Schlage habe ich mich umgebracht, für alle Ewigkeit! ... Die Alte aber hat der Teufel ermordet, und nicht ich ... Genug, genug, Ssonja, es ist genug! Laß mich!« rief er plötzlich mit krampfhaftem Schmerz. »Laß mich!«

Er stützte sich auf seine Knie und preßte den Kopf mit den Händen wie mit Schraubzwingen zusammen.

»Diese Qual!« entrang es sich Ssonja als jammervoller Schrei.

»Nun, was ist jetzt zu tun? Sprich!« sagte er, indem er plötzlich den Kopf hob und sie mit vor Verzweiflung schrecklich entstelltem Gesicht ansah.

»Was tun?!« rief Ssonja aus, jäh von ihrem Platz aufspringend, und ihre Augen, die bisher voller Tränen waren, begannen zu funkeln. »Steh auf! (Sie packte ihn an der Schulter; er stand auf und sah sie fast erstaunt an.) Geh gleich hin, sofort, stell dich auf einen Kreuzweg, küsse zuerst die Erde, die du geschändest hast, und dann verbeuge dich vor der ganzen Welt, nach allen vier Seiten und sage allen laut: ›Ich habe getötet!‹ Dann wird dir Gott wieder Leben senden. Wirst du hingehen? Wirst du hingehen?« fragte sie ihn, am ganzen Leibe wie im Krampfe zitternd, indem sie seine beiden Hände festhielt und ihn mit brennenden Augen ansah.

Er war erstaunt und durch ihre plötzliche Verzückung sogar bestürzt.

»Meinst du Sibirien, Ssonja? Daß ich mich selbst anzeigen soll?« fragte er finster.

»Das Leid auf dich nehmen und dich damit erlösen, das mußt du!«

»Nein! Ich gehe nicht zu ihnen, Ssonja.«

»Wie willst du aber leben, wie leben? Womit wirst du leben?« rief Ssonja. »Kannst du es jetzt noch? Nun, wie wirst du mit der Mutter sprechen? (Ach, und was wird jetzt mit ihnen geschehen?!) Aber was sage ich! Du hast ja Mutter und Schwester schon verlassen. Du hast sie verlassen, verlassen! O Gott!« rief sie aus. »Er weiß ja alles schon selbst! Nun, wie kann man denn nur ohne einen Menschen sein Leben leben! Was wird jetzt mit dir sein?!«

»Sei kein Kind, Ssonja«, sagte er leise. »Was habe ich an ihnen verbrochen? Warum soll ich hingehen? Was soll ich ihnen sagen? Das ist ja nur ein Gespenst ... Sie selbst richten Millionen von Menschen zugrunde und halten es noch für eine Tugend. Sie sind Gauner und Schurken, Ssonja! ... Ich geh nicht hin. Und was soll ich sagen: daß ich getötet, aber nicht gewagt habe, das Geld zu nehmen und es unter einem Stein versteckt habe?« fügte er mit bitterem Lächeln hinzu. »Sie werden mich ja noch auslachen und sagen: Ein Dummkopf bist du, daß du es nicht genommen hast! Ein Feigling und ein Dummkopf! Nichts, gar nichts werden sie verstehen, Ssonja, und sind auch nicht fähig, es zu verstehen. Wozu soll ich hingehen? Ich gehe nicht hin. Sei kein Kind, Ssonja ...«

»Du wirst dich zu Tode quälen, zu Tode quälen«, wiederholte sie mit verzweifeltem Flehen, ihm die Hände entgegenstreckend.

»Vielleicht habe ich mich auch verleumdet«, bemerkte er finster, wie nachdenklich, »vielleicht bin ich noch ein Mensch und keine Laus und habe mich voreilig verurteilt. Ich werde noch kämpfen!«

Ein hochmütiges Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

»Eine solche Qual ertragen! Und das ganze Leben, das ganze Leben! ...«

»Ich werde mich gewöhnen ...« sagte er finster und nachdenklich. »Hör auf zu weinen«, fing er nach einer Weile wieder an, »es ist Zeit, von der Sache zu sprechen: ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß man mich sucht, daß man mir auf der Spur ist.«

»Ach!« rief Ssonja erschrocken aus.

»Nun, was schreist du so? Du willst doch selbst, daß ich nach Sibirien gehe, und jetzt erschrickst du? Aber hör: Ich ergebe mich ihnen nicht! Ich will mit ihnen kämpfen, und sie werden mir nichts antun. Sie haben keine wirklichen Beweise. Gestern war ich in großer Gefahr und glaubte schon, daß ich verloren sei; heute hat sich die Sache gebessert. Alle ihre Beweise haben zwei Enden, das heißt, ich kann ihre Beschuldigungen auch zu meinen Gunsten wenden, verstehst du? Und ich werde sie auch so wenden, denn ich habe es gelernt ... Aber ins Zuchthaus sperren sie mich ganz gewiß. Wenn nicht ein Zufall dazwischengekommen wäre, so hätten sie mich vielleicht schon heute eingesperrt; sie werden mich vielleicht noch heute einsperren ... Das macht aber nichts, Ssonja! Ich werde eine Zeitlang sitzen, und sie werden mich wieder herauslassen ... denn sie haben keinen einzigen wirklichen Beweis und werden auch keinen haben, mein Wort darauf. Aber mit den Beweisen, die sie haben, kann man einen Menschen nicht verurteilen. Nun ist's genug ... Ich sage es nur, damit du es weißt ... Meiner Mutter und meiner Schwester werde ich es auszureden versuchen, damit sie nicht erschrecken ... Meine Schwester scheint jetzt übrigens versorgt zu sein ... also auch die Mutter ... Nun, das ist alles. Sei übrigens vorsichtig. Wirst du zu mir ins Zuchthaus kommen, wenn ich sitzen werde?«

»O, ich werde kommen, ich werde kommen!«

Sie saßen beide nebeneinander, traurig und erdrückt, als wären sie nach einem Sturme allein an einen öden Strand gespült worden. Er sah Ssonja an und fühlte ihre Liebe auf sich ruhen, und seltsam: so schwer und schmerzvoll war ihm plötzlich das Gefühl, daß er so geliebt wurde. Ja, es war ein sonderbares, schreckliches Gefühl! Als er zu Ssonja ging, ahnte er, daß in ihr seine ganze Hoffnung und sein einziger Ausweg sei; er hoffte wenigstens einen Teil seiner Qual abzuwälzen; aber jetzt, als ihr Herz sich ihm ganz zugewandt hatte, fühlte und erkannte er plötzlich, daß er unvergleichlich unglücklicher geworden war.

»Ssonja,« sagte er, »komm lieber nicht zu mir, wenn ich im Zuchthaus sitzen werde.«

Ssonja antwortete nicht; sie weinte. Es vergingen einige Minuten.

»Hast du ein Kreuz an der Brust?« fragte sie ihn plötzlich ganz unvermittelt, als sei es ihr so eingefallen ... »Nein, du hast doch keins? Hier, nimm dieses aus Zypressenholz. Ich habe noch ein anderes, aus Messing, von Lisaweta. Wir hatten getauscht: Lisaweta gab mir ihr Kreuz, und ich gab ihr mein Heiligenbildchen. Jetzt will ich das von Lisaweta tragen, und dieses gebe ich dir. Nimm's ... es ist doch von mir. Doch von mir!« bat sie ihn. »Wir gehen doch zusammen, um zu leiden, werden auch zusammen das Kreuz tragen!«

»Gib's her!« sagte Raskolnikow.

Er wollte sie nicht kränken. Doch er zog sofort die Hand, die er nach dem Kreuz ausgestreckt hatte, wieder zurück.

»Nicht jetzt, Ssonja. Lieber später«, fügte er hinzu, um sie zu beruhigen.

»Ja, lieber später, lieber später«, fiel sie ihm begeistert ins Wort: »Wenn du gehst, um das Leid auf dich zu nehmen, dann wirst du es nehmen. Du wirst zu mir kommen, ich werde es dir umhängen, wir werden beten und gehen.«

In diesem Augenblick klopfte jemand dreimal an die Tür.

»Ssofja Ssemjonowna, darf ich zu Ihnen?« fragte eine bekannte höfliche Stimme.

Ssonja stürzte erschrocken zur Tür. Der blonde Kopf des Herrn Lebesjatnikow blickte ins Zimmer hinein.