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»Eines Pensionats, ha-ha-ha! Warum nicht gar!« rief Katerina Iwanowna aus, die nach dem Lachanfall wieder einen Hustenanfall bekam. »Nein, Rodion Romanowitsch, dieser Traum ist vorüber! Alle haben uns verlassen! ... Und jener elende Geheimrat ... Wissen Sie, Rodion Romanowitsch, ich habe ihm ein Tintenfaß an den Kopf geschmissen – im Vorzimmer stand auf dem Tisch neben dem Bogen, in den die Besucher ihre Namen eintragen, ein Tintenfaß – das nahm ich, schmiß es ihm an den Kopf und lief weg. Oh, diese Schurken, diese Schurken! Aber ich spucke drauf, jetzt werde ich sie selbst ernähren, werde mich vor niemand mehr erniedrigen! Lange genug haben wir sie gequält! (Sie zeigte auf Ssonja.) – Poljetschka, wieviel haben wir eingesammelt, zeig's her! Wie? Bloß zwei Kopeken? Oh, diese Niederträchtigen! Nichts geben sie her, sie laufen uns nur mit ausgestreckten Zungen nach! Nun, warum lacht dieser Holzklotz? (Sie zeigte auf jemand in der Menge.) Das kommt alles, weil Kolja so ungelehrig ist! Ist das eine Plage mit ihm! Was willst du, Poljetschka? Sprich mit mir Französisch, parlez moi français. Ich habe dich doch unterrichtet, du kennst einige Sätze! ... Wie soll man denn sonst erkennen, daß ihr wohlerzogene Kinder aus adliger Familie seid und keine gewöhnlichen Leierkastenmänner. Wir sind doch keine Hanswürste, wir wollen eine vornehme Romanze singen ... Ach, ja! Was wollen wir denn singen? Ihr unterbrecht mich immer, wir sind aber ... sehen Sie, Rodion Romanowitsch, wir sind hier stehengeblieben, um auszuwählen, was wir singen sollen, damit Kolja dazu tanzen kann ... denn wir machen alles, denken Sie sich nur, ganz ohne Vorbereitung; wir müssen es besprechen und zuerst proben, und dann gehen wir auf den Newskij, wo viele Menschen aus der höchsten Gesellschaft sind, dort wird man uns sofort bemerken. Lenja kennt nur das eine Lied ›Das Landhäuschen‹ ... Aber immer das ›Landhäuschen‹ und immer wieder das ›Landhäuschen‹ – alle singen das! Wir müssen etwas viel Vornehmeres singen ... Nun, was ist dir eingefallen, Poljetschka? Wenn du doch der Mutter helfen wolltest! Ich habe gar kein Gedächtnis mehr, sonst wäre mir schon was eingefallen! Wir wollen doch nicht das Lied ›Auf seinen Säbel stützt sich der Husar‹ singen! ... Ach, singen wir doch Französisch: ›Cinq sous‹! Ich habe es euch gelehrt! Vor allem aber: da es Französisch ist, so werden alle gleich sehen, daß ihr adlige Kinder seid, und das wird rührender wirken ... Man könnte auch ›Marlborough s'en va-t-en guerre‹ singen: das ist ein wirkliches Kinderlied und wird in aristokratischen Häusern gesungen, wenn man die Kinder in den Schlaf wiegt:

Marlborough s'en va-t-en guerre,

Ne sait quand reviendra ...«

begann sie zu singen. »Nein, lieber schon ›Cinq sous‹! Nun, Kolja, die Händchen in die Seiten, und schneller, und du, Lenja, dreh dich in der entgegengesetzten Richtung, und ich und Poljetschka werden mitsingen und in die Hände klatschen!

Cinq sous, cinq sous

Pour monter notre ménage!

Kchi-kchi-kchi! (Sie bekam wieder einen Hustenanfall.) Bring dein Kleidchen in Ordnung, Poljetschka, es ist an der Schulter heruntergerutscht«, bemerkte sie, Atem holend. »Ihr müßt euch jetzt besonders vornehm und fein benehmen, damit alle sehen, daß ihr adlige Kinder seid. Ich habe doch damals gesagt, daß man die Taille länger und aus zwei Stücken zuschneiden muß. Da kamst du aber mit deinen Ratschlägen, Ssonja: ›Kürzer, noch kürzer‹, und so hat man das Kind ganz verunstaltet ... Nun weint ihr schon wieder alle! Was habt ihr, ihr Dummen? Nun, Kolja, fang an, schneller, schneller, schneller! Ach, dieses unerträgliche Kind ...

Cinq sous, cinq sous –

Wieder der Soldat! Nun, was willst du?«

Durch die Menge drängte sich wirklich ein Schutzmann. Doch im gleichen Augenblick näherte sich auch ein Herr in Uniformrock und Mantel, ein etwa fünfzigjähriger, solider Beamter mit einem Orden am Halse (das letztere war Katerina Iwanowna besonders angenehm und machte auch auf den Schutzmann Eindruck); er reichte Katerina Iwanowna einen grünen Dreirubelschein. Sein Gesicht drückte aufrichtiges Mitleid aus. Katerina Iwanowna nahm das Geld und verbeugte sich höflich, fast zeremoniös.

»Ich danke Ihnen, mein Herr«, begann sie stolz. »Die Gründe, die uns bewogen haben ... nimm das Geld, Poljetschka. Siehst du, es gibt noch edle und großmütige Menschen, die sofort bereit sind, einer armen adligen Dame im Unglück zu helfen. Sie sehen hier mein Herr, adlige Waisen, man kann wohl sagen, mit den aristokratischsten Verbindungen ... Jener gemeine Geheimrat saß aber da und aß Haselhühner! ... er stampfte mit den Füßen, weil ich ihn gestört hatte ... ›Eure Exzellenz‹, sage ich ihm, ›schützen Sie die Waisen, da Sie den verstorbenen Ssemjon Sacharytsch‹, sage ich, ›so gut kannten und da der gemeinste aller Schurken seine leibliche Tochter am Tage seiner Beerdigung verleumdet hat ...‹ Wieder dieser Soldat! Schützen Sie uns!« schrie sie dem Beamten zu. »Was will dieser Soldat von mir? Wir sind schon vor einem solchen aus der Mjeschtschanskaja-Straße hergelaufen ... Nun, was geht es dich an, Dummkopf?«

»Weil es in den Straßen verboten ist. Machen Sie keinen Skandal.«

»Du bist selbst ein Skandalmacher! Ich gehe doch wie mit einem Leierkasten herum, was geht es dich an?«

»Was einen Leierkasten betrifft, so muß man dazu eine Erlaubnis haben, Sie sammeln aber auf diese Weise das Volk an. Wo belieben Sie zu wohnen?«

»Wie, eine Erlaubnis?!« schrie Katerina Iwanowna. »Ich habe heute meinen Mann beerdigt, was redest du da von einer Erlaubnis?«

»Meine Dame, meine Dame, beruhigen Sie sich doch«, fing der Beamte an. »Kommen Sie, ich will Sie nach Hause begleiten. Hier in der Menge ist es unanständig ... Sie sind nicht ganz wohl!«

»Mein Herr, mein Herr, Sie wissen nichts!« schrie Katerina Iwanowna. »Wir wollen auf den Newskij gehen ... Ssonja, Ssonja! Wo ist sie denn? Sie weint auch! Was habt ihr denn alle? Kolja, Lenja, wo wollt ihr hin?« rief sie plötzlich erschrocken. »Oh, die dummen Kinder! Kolja, Lenja, wo sind sie hingelaufen? ...«

Es war nämlich folgendes passiert: Als Kolja und Lenja, von der Straßenmenge und von der wahnsinnigen Mutter aufs äußerste erschrocken, den Soldaten sahen, der sie irgendwohin abführen wollte, faßten sie einander wie auf Verabredung an den Händchen und rannten davon. Die arme Katerina Iwanowna stürzte weinend und schreiend ihnen nach, um sie einzuholen. Wie sie ihnen weinend und außer Atem nachlief, bot sie einen häßlichen und jammervollen Anblick, Ssonja und Poljetschka eilten ihr nach.

»Bring sie zurück, bring sie zurück, Ssonja! Oh, die dummen, undankbaren Kinder! ... Polja! Fang sie ... Ich tu es ja für euch selbst ...«

Sie stolperte im Laufen und fiel hin.

»Sie hat sich blutiggeschlagen! O Gott!« rief Ssonja aus, sich über sie beugend.

Alle liefen zusammen und drängten sich um sie. Raskolnikow und Lebesjatnikow waren als die ersten herbeigestürzt; auch der Beamte eilte hin und nach ihm der Schutzmann, der »Ach ja!« murmelte und ärgerlich mit der Hand durch die Luft fuhr, in der Vorahnung, daß die Sache noch große Scherereien machen werde.

»Geht weiter, marsch!« jagte er die sich drängenden Leute auseinander.

»Sie stirbt!« rief jemand.

»Sie ist von Sinnen!« sagte ein anderer.

»Gott, steh ihr bei!« sagte eine Frau und bekreuzigte sich. »Hat man den Jungen und das Mädel eingefangen? Da führt man sie ja, die Alteste hat sie erwischt ... Diese Dummen!«