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Als man Katerina Iwanowna genauer ansah, merkte man, daß sie sich gar nicht an den Steinen blutig geschlagen hatte, wie Ssonja es glaubte, sondern daß das Blut, das den Fahrdamm rötete, ihr aus der Brust durch den Mund gestürzt war.

»Ich kenne das, hab es schon gesehen«, murmelte der Beamte zu Raskolnikow und Lebesjatnikow. »Das ist die Schwindsucht; das Blut stürzt aus dem Hals, und man erstickt daran. So war es neulich auch mit einer Verwandten von mir, ich war Zeuge, an die anderthalb Glas Blut ... plötzlich ... Was soll man aber tun, sie wird gleich sterben.«

»Hierher, hierher, zu mir!« flehte Ssonja. »Hier wohne ich! ... Hier in diesem Hause, es ist das zweite von hier ... Schnell zu mir, schnell, schnell! ...« wiederholte sie, sich bald an den einen, bald an den anderen wendend. »Schickt nach einem Arzt ... O Gott!«

Dank den Bemühungen des Beamten wurde alles nach Wunsch besorgt; selbst der Schutzmann half Katerina Iwanowna hinübertragen. Man brachte sie halbtot zu Ssonja und legte sie dort aufs Bett. Der Blutsturz dauerte noch an, aber sie kam allmählich zu sich. Ins Zimmer kamen außer Ssonja auch noch Raskolnikow, Lebesjatnikow, der Beamte und der Schutzmann, der vorher die Menge, die bis zur Wohnungstür vorgedrungen war, auseinandergejagt hatte. Polja führte bei den Händchen Kolja und Lenja herein, welche zitterten und weinten. Auch die Kapernaumows kamen herbei; er selbst ein lahmer und schielender Mann von sonderbarem Aussehen, mit borstigen Haaren und Backenbart; seine Frau, die so aussah, als wäre sie ein für allemal erschrocken, und einige von den Kindern mit vor ständigem Erstaunen zu Holz erstarrten Gesichtern und offenen Mündern. Unter diesem ganzen Publikum erschien plötzlich Swidrigailow. Raskolnikow sah ihn erstaunt an und konnte nicht begreifen, woher der plötzlich erschienen war; draußen in der Menge hatte er ihn gar nicht gesehen.

Man sprach von einem Arzt und einem Geistlichen. Der Beamte flüsterte zwar Raskolnikow zu, daß der Arzt jetzt wohl schon unnötig sei, ließ aber dennoch nach einem schicken. Kapernaumow lief selbst hin.

Katerina Iwanowna war indessen zu sich gekommen, und der Blutsturz hörte für eine Zeitlang auf. Sie sah mit schmerzvollen, doch aufmerksamen und durchdringenden Blicken Ssonja an, die ihr mit einem Tuch die Schweißtropfen von der Stirn wischte, und bat, daß man sie ein wenig hebe. Man setzte sie im Bette auf und stützte sie von beiden Seiten.

»Wo sind die Kinder?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Hast du sie hergebracht, Polja? Oh, diese Dummen! ... Was seid ihr davongelaufen? ... Ach!«

Ihre ausgetrockneten Lippen waren noch voller Blut. Sie ließ die Augen im Kreise schweifen und sah sich um.

»So wohnst du also, Ssonja! Ich bin ja noch nie bei dir gewesen ... nun hat es sich doch so gefügt ...«

Sie blickte sie schmerzvoll an.

»Ausgesogen haben wir dich, Ssonja ... Polja, Lenja, Kolja, kommt her ... Hier sind sie, Ssonja, nimm sie ... ich gebe sie dir in die Hand ... ich habe genug! ... Aus ist es! Ha! ... Legt mich wieder hin, laßt mich wenigstens ruhig sterben ...«

Mau ließ sie wieder in die Kissen sinken.

»Was? Ein Geistlicher? ... Nicht nötig ... Wo habt ihr denn einen überflüssigen Rubel!? ... Ich habe keine Sünden auf mir! ... Gott muß mir auch so verzeihen ... Er weiß selbst, wie ich gelitten habe! ... Und verzeiht er nicht, so ist es mir auch so recht! ...«

Ein unruhiges Phantasieren bemächtigte sich ihrer immer mehr. Ab und zu fuhr sie zusammen, blickte um sich, erkannte auf einen Augenblick alle, und das Bewußtsein wurde wieder vom Fieber getrübt. Sie atmete heiser und schwer; in ihrer Kehle röchelte es.

»Ich sage ihm: ›Eure Exzellenz! ...‹« schrie sie, nach jedem Worte Atem holend. »Diese Amalia Ludwigowna ... ach! Lenja, Kolja! Die Händchen in die Seiten, schneller, glissez, glissez, pas de basque! Klopf mit den Füßchen ... Sei ein graziöses Kind! ...

Du hast Diamanten und Perlen ...

Wie geht es weiter? Wenn wir das singen könnten! ...

Du hast die schönsten Augen ...

Mädchen, was willst du mehr? ...

Ja, Schnecken! ›Was willst du mehr!‹ – was sich so ein Narr nicht alles ausdenkt! ... Ja, dann noch dieses:

In Mittagsglut im Dagestanschen Tale ...

Ach, wie ich es liebte! Ich vergötterte dieses Lied, Poljetschka! ... Weißt du, dein Vater ... pflegte es als Bräutigam zu singen ... Oh, diese Tage! ... Ach, wenn wir es jetzt singen könnten! Aber wie geht es noch, wie geht es noch? ... ich hab es ganz vergessen ... helft mir nach, wie geht es noch?«

Sie war in außerordentlicher Erregung und bemühte sich, aufzustehen. Endlich begann sie mit schrecklicher, heiserer, überspannter Stimme zu singen, bei jedem Worte aufschreiend und um Atem ringend, mit dem Ausdruck eines immer anwachsenden Entsetzens:

In Mittagsglut! ... im Dagestanschen! ... Tale! ...

Vom Blei getroffen! ...

»Eure Exzellenz!« schrie sie plötzlich mit herzzerreißender Stimme, in Tränen ausbrechend. »Schützen Sie die Waisen! Gedenken Sie der Gastfreundschaft des verstorbenen Ssemjon Sacharytsch! ... Man kann sogar sagen, eines aristokratischen! ... Ha! ...« fuhr sie auf, plötzlich zur Besinnung kommend und alle entsetzt betrachtend; doch sie erkannte sofort Ssonja. »Ssonja, Ssonja!« sagte sie mild und freundlich, gleichsam erstaunt, sie vor sich zu sehen. »Ssonja, Liebste, bist du auch hier?«

Man hob sie wieder auf.

»Genug! Es ist Zeit! ... Leb wohl, Armste! ... Man hat die Mähre zu Tode geritten! ... Sie kann nicht mehr!« schrie sie verzweifelt und voller Haß auf und fiel mit dem Kopf auf das Kissen.

Sie wurde wieder bewußtlos, doch diese letzte Bewußtlosigkeit dauerte nur kurz. Das blaßgelbe, ausgemergelte Gesicht fiel nach hinten, der Mund öffnete sich, die Füße streckten sich krampfhaft aus. Sie stöhnte sehr tief auf und starb.

Ssonja fiel über ihre Leiche her, umschlang sie mit den Armen und erstarrte, den Kopf an die eingefallene Brust der Toten geschmiegt. Poljetschka sank zu Füßen der Mutter nieder und küßte sie laut weinend. Kolja und Lenja, die noch nicht erfaßt hatten, was geschehen war, aber etwas Schreckliches ahnten, faßten einander mit den Händen bei den Schultern, sahen sich in die Augen, öffneten plötzlich gleichzeitig die Münder und begannen zu schreien. Beide hatten noch ihre Kostüme an: der eine den Turban, die andere das Mützchen mit der Straußfeder.

Wie kam aber das lobende Attest plötzlich auf das Bett neben Katerina Iwanowna? Es lag dicht neben dem Kissen, Raskolnikow sah es.

Er ging zum Fenster, Lebesjatnikow eilte zu ihm.

»Sie ist gestorben!« sagte Lebesjatnikow.

»Rodion Romanowitsch, ich muß Ihnen ein paar wichtige Worte sagen«, wandte sich an ihn Swidrigailow.

Lebesjatnikow trat ihm sofort den Platz ab und ging diskret zur Seite. Swidrigailow führte den erstaunten Raskolnikow noch weiter in die Ecke.

»Diese ganze Schererei, das heißt die Beerdigung und das übrige nehme ich auf mich. Wissen Sie, es kommt bloß auf das Geld an, und ich sagte Ihnen doch, daß ich überflüssiges habe. Diese beiden Kücken und Poljetschka will ich in besseren Waisenanstalten unterbringen und für jedes bis zur Volljährigkeit ein Kapital von fünfzehnhundert Rubeln einzahlen, so daß Ssofja Ssemjonowna sich ihretwegen keine Sorgen zu machen braucht. Und auch sie will ich aus dem Sumpfe herausziehen, denn sie ist ein gutes Mädchen, nicht wahr? Richten Sie also, bitte, Awdotja Romanowna aus, daß ich ihre zehntausend Rubel auf diese Weise verwendet habe.«

»Was für Absichten verfolgen Sie mit diesem Wohltun?« fragte Raskolnikow.

»Ach, Sie mißtrauischer Mensch!« antwortete Swidrigailow lachend. »Ich sagte Ihnen doch, daß dieses Geld bei mir überflüssig ist. Können Sie denn gar nicht annehmen, daß ich es einfach aus Menschlichkeit tue? Sie ist doch keine ›Laus‹ gewesen (er deutete mit dem Finger auf die Ecke, wo die Verstorbene lag), wie jene alte Wucherin! Nun, geben Sie es selbst zu – ›soll Luschin wirklich weiterleben und seine Gemeinheiten begehen, und sie soll sterben?‹ Und wenn ich nicht helfe, so wird Poljetschka vielleicht – ›denselben Weg gehen‹ ...«