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»Ich ging zu Ihnen und suchte Sie«, begann Raskolnikow. »Warum bin ich aber jetzt vom Heumarkt in den *schen Prospekt abgebogen? Ich biege hier nie ein und komme nie her. Ich pflege vom Heumarkt immer nach rechts abzubiegen. Der Weg zu Ihnen führt hier auch gar nicht vorbei. Kaum bog ich ein, als ich Sie sofort erblickte! Das ist doch seltsam!«

»Warum sagen Sie nicht gleich: es ist ein Wunder?«

»Weil es vielleicht nur ein Zufall ist.«

»Was für eine merkwürdige Art haben all diese Leute!« sagte Swidrigailow, laut auflachend. »Er will nicht zugeben, selbst wenn er innerlich an ein Wunder glaubt! Sie sagen ja selbst, daß es ›vielleicht‹ nur ein Zufall sei. Wie sie hier alle fürchten, ihre eigene Meinung zu haben, das können Sie sich gar nicht vorstellen, Rodion Romanowitsch! Ich meine nicht Sie. Sie haben wohl eine eigene Meinung und fürchten nicht, sie zu haben. Dadurch haben Sie auch mein Interesse geweckt.«

»Sonst durch nichts?«

»Das genügt doch schon allein.«

Swidrigailow war offenbar in erregtem Zustande, doch nur ein klein wenig. Vom Champagner hatte er nur ein halbes Glas getrunken.

»Mir scheint, Sie kamen zu mir das erste Mal, noch ehe Sie erfahren hatten, ob ich fähig sei, das, was Sie eine eigene Meinung nennen, zu haben«, bemerkte Raskolnikow.

»Nun, damals war es eine andere Sache. Jeder hat seine eigenen Wege. Und was das Wunder betrifft, so will ich Ihnen sagen, daß Sie die letzten zwei oder drei Tage wohl verschlafen haben. Ich habe Ihnen selbst dieses Wirtshaus genannt, und es ist also gar kein Wunder dabei, daß Sie hergekommen sind: ich habe Ihnen selbst den Weg erklärt, die Stelle angegeben, wo es sich befindet, und die Stunden, wo ich hier zu treffen bin. Wissen Sie es noch?«

»Ich habe es vergessen«, sagte Raskolnikow erstaunt.

»Das glaube ich. Zweimal habe ich es Ihnen gesagt. Die Adresse hat sich Ihrem Gedächtnis rein mechanisch eingeprägt. Sie haben diesen Weg mechanisch eingeschlagen, streng nach der Adresse, ohne es selbst zu wissen. Als ich es Ihnen damals sagte, hoffte ich gar nicht, daß Sie mich verstehen würden. Sie verraten sich allzusehr, Rodion Romanowitsch. Und dann noch eins: ich bin überzeugt, daß es in Petersburg viele Menschen gibt, die im Gehen mit sich selbst sprechen. Es ist eine Stadt von Halbverrückten. Wenn es bei uns Wissenschaften gäbe, so hätten die Mediziner, Juristen und Philosophen die wertvollsten Untersuchungen über Petersburg anstellen können, ein jeder in seinem Fache. Selten wo gibt es so viel düstere, scharfe und sonderbare Einflüsse auf die Menschenseele wie in Petersburg. Was sind schon die klimatischen Einflüsse allein wert! Dabei ist Petersburg das administrative Zentrum Rußlands, und sein Charakter muß überall zum Ausdruck kommen. Es handelt sich aber nicht darum, sondern, daß ich Sie schon einigemal von der Seite beobachtet habe. Wenn Sie aus dem Hause treten, halten Sie den Kopf noch gerade. Aber nach zwanzig Schritten lassen Sie ihn sinken und verschränken die Hände im Rücken. Sie schauen vor sich und scheinen doch weder vor sich noch neben sich etwas zu sehen. Zuletzt fangen Sie an, die Lippen zu bewegen und mit sich selbst zu sprechen, wobei Sie eine Hand freimachen und deklamieren; endlich bleiben Sie auch lange mitten auf der Straße stehen. Das ist sehr übel. Vielleicht beobachtet Sie auch jemand außer mir, und das wäre sehr unvorteilhaft. Mir ist es im Grunde genommen ganz gleich, und ich werde Sie nicht kurieren, aber Sie verstehen mich natürlich.«

»Und Sie wissen, daß man mich beobachtet?« fragte Raskolnikow und sah ihn prüfend an.

»Nein, ich weiß nichts«, antwortete Swidrigailow wie erstaunt.

»Nun, dann wollen wir mich aus dem Spiele lassen«, murmelte Raskolnikow düster.

»Gut, lassen wir Sie aus dem Spiele.«

»Sagen Sie mir lieber folgendes: Wenn Sie herkommen, um zu trinken und mich selbst zweimal herbestellt haben, warum versuchten Sie dann jetzt, als ich von der Straße durchs Fenster hereinsah, sich zu verstecken, und wollten weggehen? Ich habe es sehr gut bemerkt.«

»He-he! Und warum lagen Sie, als ich auf der Schwelle stand, mit geschlossenen Augen auf Ihrem Sofa und stellten sich schlafend, während Sie gar nicht schliefen? Ich habe es sehr gut bemerkt.«

»Ich konnte ... Gründe haben ... Sie wissen es selbst.«

»Auch ich konnte meine Gründe haben, obwohl Sie sie nicht wissen.«

Raskolnikow stemmte den rechten Ellenbogen gegen den Tisch, stützte mit den Fingern der rechten Hand sein Kinn und sah Swidrigailow unverwandt an. Eine Minute lang betrachtete er dieses Gesicht, das ihn auch früher schon in Staunen gesetzt hatte. Dieses merkwürdige Gesicht erinnerte irgendwie an eine Maske: weiß, rotwangig mit hellroten Lippen, mit hellblondem Vollbart und noch ziemlich dichten hellblonden Haaren. Die Augen waren zu blau und ihr Blick zu schwer und unbeweglich. Etwas furchtbar Unangenehmes lag in diesem hübschen und für sein Alter auffallend jugendlichen Gesicht. Swidrigailows Kleidung war elegant, sommerlich und leicht, besonders viel schien er auf elegante Wäsche zu geben. An einem Finger trug er einen großen Ring mit wertvollem Stein.

»Soll ich mich denn auch noch mit Ihnen plagen?« sagte plötzlich Raskolnikow, mit krampfhafter Ungeduld den geraden Weg einschlagend. »Sie sind vielleicht auch der gefährlichste Mensch, wenn es Ihnen einfällt, mir zu schaden, aber ich möchte nicht noch länger Komödie spielen. Ich will Ihnen gleich zeigen, daß ich um mich selbst gar nicht so besorgt bin, wie Sie wohl annehmen. Hören Sie also: Ich bin gekommen, um Ihnen offen zu erklären, daß, wenn Sie Ihre früheren Absichten gegenüber meiner Schwester noch verfolgen und dabei etwas von dem, was Sie in der jüngsten Zeit erfahren haben, auszunützen gedenken, ich Sie töten werde, bevor Sie mich ins Zuchthaus bringen. Mein Wort ist zuverlässig, Sie wissen, daß ich es wirklich halten werde. Und zweitens, wenn Sie mir irgend etwas erklären wollen – mir schien die ganze Zeit, daß Sie mir etwas sagen möchten –, so erklären Sie es mir schnell, denn die Zeit ist kostbar, und vielleicht wird es sehr bald zu spät sein.«

»Wohin eilen Sie denn so?« fragte Swidrigailow, ihn neugierig betrachtend.

»Ein jeder hat seine Wege«, versetzte Raskolnikow düster und ungeduldig.

»Sie haben mich doch eben selbst zu Offenherzigkeit herausgefordert und wollen schon meine erste Frage nicht beantworten«, bemerkte Swidrigailow mit einem Lächeln. »Sie glauben immer, daß ich irgendwelche Ziele verfolge, und betrachten mich darum argwöhnisch. Nun, in Ihrer Lage ist es ja vollkommen begreiflich. Aber wie sehr ich auch wünschte, Ihnen näherzukommen, werde ich mich doch nicht der Mühe unterziehen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen. Bei Gott, das Spiel ist nicht die Kerzen wert, und ich hatte auch nicht die Absicht, mich mit Ihnen über etwas Besonderes zu unterhalten.«

»Wozu brauchen Sie mich dann? Sie scherwenzeln doch die ganze Zeit um mich herum!«

»Sie interessierten mich einfach als ein Beobachtungsobjekt. Sie gefielen mir durch das Phantastische Ihrer Lage, das ist es! Außerdem sind Sie der Bruder der Person, die mich sehr interessierte, und schließlich habe ich von derselben Person seinerzeit sehr viel und oft über Sie gehört, woraus ich schloß, daß Sie auf sie einen großen Einfluß haben; genügt denn das noch nicht? He-he-he! Übrigens muß ich gestehen, daß Ihre Frage für mich sehr kompliziert ist und es mir schwer fällt, sie Ihnen zu beantworten. Zum Beispieclass="underline" Sie sind doch jetzt zu mir nicht bloß in der gewissen Angelegenheit gekommen, sondern Sie wollen auch etwas Neues hören. Nicht wahr? Nicht wahr?« sagte Swidrigailow eindringlich, mit einem listigen Lächeln. »Nun, denken Sie sich: ich selbst rechnete während meiner Reise hierher im Eisenbahnwagen darauf, daß auch Sie mir etwas Neues sagen werden und daß es mir gelingen wird, von Ihnen etwas zu profitieren! Sehen Sie, so reich sind wir beide!«