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»Aus einigen Worten und Redensarten in Ihrer Erzählung schließe ich, daß Sie auch jetzt noch Absichten, die Sie unverzüglich verwirklichen wollen, gegen Dunja haben, und zwar höchst gemeine Absichten.«

»Wie? Mir sind solche Worte und Redensarten entschlüpft?« rief Swidrigailow mit höchst naivem Erstaunen, ohne dem seinen Absichten zugeschriebenen Epitheton irgendeine Beachtung zu schenken.

»Sie entschlüpfen Ihnen auch jetzt. Was fürchten Sie denn so? Worüber sind Sie plötzlich so erschrocken?«

»Ich fürchte mich und bin erschrocken? Vielleicht vor Ihnen? Viel eher haben Sie Grund, mich zu fürchten, cher ami! Was für ein Unsinn! ... Ich bin übrigens betrunken, ich sehe es; um ein Haar hätte ich mich wieder versprochen. Zum Teufel den Champagner! He, Wasser!«

Er ergriff die Flasche und schmiß sie ohne jede Rücksicht zum Fenster hinaus. Philipp brachte Wasser.

»Das ist alles Unsinn«, sagte Swidrigailow, indem er ein Handtuch naß machte und es sich an den Kopf drückte. »Ich kann Sie mit einem einzigen Worte umwerfen und Ihren ganzen Verdacht zu Staub machen. Wissen Sie zum Beispiel, daß ich heirate?«

»Das haben Sie mir auch schon früher gesagt.«

»Ich habe es gesagt? Dann habe ich es vergessen. Damals aber konnte ich noch nichts Positives sagen, denn ich hatte die Braut noch gar nicht gesehen; ich trug mich bloß mit der Absieht herum. Nun, und jetzt habe ich schon eine Braut, und die ganze Sache ist abgeschlossen; hätte ich jetzt nicht andere dringende Geschäfte vor, so würde ich Sie unbedingt sofort mitnehmen und zu meiner Braut bringen – denn ich möchte Sie um Ihren Rat fragen. Ach, zum Teufel! Es bleiben mir nur noch zehn Minuten. Sehen Sie, hier ist die Uhr; übrigens will ich es Ihnen erzählen, denn meine Heirat ist eine interessante Sache, ich meine, in ihrer Art, – wo wollen Sie hin? Wollen Sie wieder gehen?«

»Nein, jetzt gehe ich nicht mehr fort.«

»Sie wollen gar nicht mehr fort? Wir wollen sehen! Ich werde Sie hinbringen und Ihnen die Braut zeigen, doch nicht jetzt, denn Sie müssen bald gehen. Sie gehen nach rechts und ich nach links. Kennen Sie diese Rößlich? Dieselbe Rößlich, bei der ich jetzt wohne? Hören Sie es? Nein, was denken Sie sich bloß, es ist dieselbe, von der man sich erzählt, daß das kleine Mädchen, im Wasser, zur Winterszeit ... nun, hören Sie es? Hören Sie es? Sie hat mir auch diese ganze Sache gedeichselt. Sie sagte mir: Du langweilst dich, zerstreue dich ein wenig. Ich bin aber ein finsterer und langweiliger Mensch. Sie glauben wohl, ich sei lustig? Nein, ich bin finster; ich tue niemand was zu leide, sitze aber in einer Ecke und bin zuweilen drei Tage nicht zum Sprechen zu bringen. Diese Rößlich ist aber eine geriebene Bestie, sage ich Ihnen; sie denkt sich wohl, ich fange mich wieder zu langweilen an, lasse die Frau sitzen und fahre fort, die Frau wird aber dann ihr zufallen, und sie wird sie in Verkehr bringen, das heißt, in unseren Kreisen und noch höher hinauf. Es gibt, sagte sie mir, einen gelähmten Vater, einen ehemaligen Beamten, der in einem Sessel sitzt und das dritte Jahr die Beine nicht bewegen kann. Es gibt, sagt sie mir, auch eine Mama, eine höchst vernünftige Dame. Der Sohn sitzt irgendwo in der Provinz und hilft ihnen nicht. Eine Tochter ist verheiratet und kommt nie zu den Eltern; dafür sitzen ihnen zwei kleine Neffen auf dem Halse (als ob sie nicht genug an den eigenen Kindern hätten), und sie haben ihre jüngste Tochter aus der Töchterschule genommen, die sie noch gar nicht absolviert hat; die wird in einem Monat erst sechzehn Jahre alt, also kann man sie in einem Monat verheiraten. Das heißt, mit mir. Wir gingen einmal hin; so komisch geht es bei solchen Leuten zu; ich stelle mich vor: Gutsbesitzer, Witwer, von guter Familie, mit den und den Verbindungen und einem Vermögen; was macht's, daß ich Fünfziger bin und sie nicht mal sechzehn ist? Wer sieht auf so was? Das ist doch verlockend, ha-ha! Sie hätten sehen sollen, wie ich mich mit dem Papa und der Mama unterhielt. Sie erscheint, macht einen Knicks; nun, Sie können sich denken, noch in kurzem Kleidchen, eine noch unaufgebrochene Knospe; sie errötet wie das Morgenrot (man hatte sie natürlich über meinen Besuch unterrichtet). Ich weiß nicht, was Sie für einen Geschmack in bezug auf Frauengesichter haben, ich bin aber der Ansicht, daß diese sechzehn Jahre, diese noch kindlichen Augen, diese Schüchternheit und diese Tränen der Scham schöner sind als die Schönheit selbst; zudem ist sie auch bildhübsch. Hellblonde Haare, zu Locken gekräuselt, wie ein Lämmchen, volle, rote Lippen, die Füßchen – ein Entzücken! ... Nun, wir lernten uns kennen, ich erklärte, daß ich infolge häuslicher Angelegenheiten Eile habe, und schon am nächsten Tage, das heißt vorgestern, gab man uns den Segen. Von nun an, wenn ich hinkomme, nehme ich sie sofort zu mir auf den Schoß und lasse sie nicht mehr herunter ... ... Nun, sie erglüht wie das Morgenrot, ich aber küsse sie jeden Augenblick; die Mama sagt ihr natürlich, daß ich ihr Gatte sei und daß es so sein müsse, mit einem Wort, ein Genuß! Mein jetziger Bräutigamstand ist vielleicht noch besser als der eines Gatten. Hier ist das, was man la nature et la vérité nennt! Ha-ha! An die zweimal habe ich mich mit ihr sogar unterhalten, das Mädel ist gar nicht dumm; manchmal sieht sie mich so verstohlen an, daß es durch Mark und Bein geht. Wissen Sie, sie hat das Gesicht wie die Madonna von Raffael. Die Sixtinische Madonna hat doch ein ganz phantastisches Gesicht, das Gesicht einer Trauernden und Wahnsinnigen, ist Ihnen das aufgefallen? Nun, auch ihr Gesicht ist in dieser Art. Kaum hatte man uns den Segen erteilt, als ich schon am nächsten Tage für fünfzehnhundert Rubel Geschenke mitbrachte: einen Brillantenschmuck, einen Perlenschmuck und einen silbernen Toilettenkasten, von dieser Größe, mit allen möglichen Dingen drin, und da errötete sogar ihr Madonnengesicht. Wie ich sie gestern zu mir auf den Schoß setzte, wahrscheinlich machte ich es schon gar zu ungeniert, da wurde sie über und über rot, die Tränen kamen ihr in die Augen; sie wollte es aber nicht zeigen und glühte nur wie im Fieber. Alle gingen für einen Augenblick hinaus, und als wir beide allein blieben, fiel sie mir plötzlich um den Hals (zum erstenmal), umarmte mich mit beiden Händchen, küßte mich und schwur, daß sie mir eine gehorsame, treue und gute Frau sein werde, daß sie mich glücklich machen werde, daß sie ihr ganzes Leben, jeden Augenblick ihres Lebens, alles, alles opfern wolle, nur um meine Achtung allein zu erlangen; ›sonst‹, sagt sie, ›brauche ich nichts, nichts, keine Geschenke!‹ Sie werden doch zugeben, daß ein solches Geständnis unter vier Augen von einem solchen sechzehnjährigen kleinen Engel in Tüllkleidchen, mit blonden Locken, mit jungfräulicher Schamröte im Gesicht und den Tränen des Enthusiasmus in den Augen, anzuhören, – Sie werden doch zugeben, daß es recht verlockend ist! Es ist doch verlockend! Es ist doch was wert, nicht? Es ist was wert! Nun ... nun, hören Sie ... nun, wollen wir doch zu meiner Braut fahren ... aber nicht jetzt gleich!«

»Mit einem Wort, dieser ungeheuerliche Unterschied im Alter und in der Entwicklung weckt in Ihnen die Wollust! Werden Sie auch wirklich heiraten?«

»Warum denn nicht? Unbedingt. Ein jeder denkt nur an sich selbst, und am lustigsten lebt einer, der es am besten versteht, sich selbst zu betrügen. Ha-ha! Sind Sie denn wirklich so auf die Tugend versessen? Haben Sie doch Erbarmen, Väterchen, ich bin ein sündiger Mensch. He-he-he!«

»Aber Sie haben die Kinder Katerina Iwanownas untergebracht. Übrigens ... übrigens hatten Sie doch Ihre Gründe dazu ... jetzt verstehe ich alles.«

»Die Kinder habe ich überhaupt gern«, entgegnete Swidrigailow lachend. »In diesem Sinne kann ich Ihnen eine sehr interessante Episode erzählen, die noch nicht zu Ende ist. Gleich am ersten Tage nach meiner Ankunft machte ich einen Rundgang durch alle die Kloaken; nun nach den sieben Jahren stürzte ich mich auf alle diese Sachen. Es ist Ihnen wohl aufgefallen, daß ich mich gar nicht beeile, meine frühere Gesellschaft wieder aufzusuchen, alle die Freunde und Bekannten von einst. Nun, ich will mich auch möglichst lange ohne sie behelfen. Sie wissen: bei Marfa Petrowna auf dem Lande haben mich die Erinnerungen an alle die geheimnisvollen Orte und Örtchen, in denen der Wissende so vieles finden kann, halb zu Tode gequält. Hol der Teufel! Das Volk trinkt, die gebildete Jugend verglüht in unerfüllbaren Träumen und Phantasien zu Asche, wird von den Theorien verkrüppelt; irgendwoher sind zahllose Juden zusammengefahren, die das Geld auf die Seite bringen, und alles übrige lebt in Unzucht. So hauchte mich diese Stadt gleich in den ersten Stunden mit ihrem vertrauten Geruch an. Ich geriet auf einen sogenannten Tanzabend – eine schreckliche Kloake (ich aber liebe gerade solche schmutzigen Kloaken); natürlich gibt es da einen Kankan, wie man ihn sonst nirgends sieht und wie es ihn zu meiner Zeit nicht gab. Ja, in diesen Dingen sieht man einen Fortschritt. Plötzlich sehe ich ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, reizend angezogen, tanzt mit einem ›Kavalier‹; ein anderer Kerl tanzt ihr vis-à-vis. Auf dem Stuhl an der Wand sitzt die Mutter. Nun, Sie können sich vorstellen, was das für ein Kankan war! Das Mädchen ist verlegen, errötet, fühlt sich schließlich gekränkt und fängt zu weinen an. Der Kerl packt sie, dreht sie um und produziert sich vor ihr; alle ringsum lachen – ich liebe in solchen Augenblicken unser Publikum, selbst beim Kankan; die Leute lachen und schreien: ›Geschieht schon recht! Man soll keine Kinder herbringen!‹ Nun, mich ging ja die Sache nichts an, ob die Menschen sich da logisch oder unlogisch trösteten! Ich faßte sofort meinen Plan, setzte mich neben die Mutter und begann ihr zu erzählen, daß auch ich hier fremd sei, daß alle Menschen hier so ungehobelt wären und es nicht verstünden, wahre Vorzüge zu unterscheiden und den gebührenden Respekt zu empfinden; ich gab ihr zu verstehen, daß ich viel Geld habe; dann schlug ich ihnen vor, sie in meinem Wagen nach Hause zu bringen; ich begleitete sie nach Hause, lernte sie kennen (sie wohnen irgendwo in einer Kammer in Aftermiete, sind soeben angekommen). Sie erklärten mir, wie die Mutter so auch die Tochter, daß sie meine Bekanntschaft nur als eine große Ehre auffassen könnten; ich erfuhr, daß sie keinen Pfennig haben und nach Petersburg gekommen sind, um sich bei irgendeiner Behörde um irgend etwas zu bemühen; ich bot ihnen meine Dienste und Geld an und hörte, daß sie zu diesem Tanzabend aus Versehen hingekommen waren, in der Meinung, daß dort in Wirklichkeit Tanzunterricht stattfinde; ich machte mich meinerseits erbötig, die Erziehung des jungen Mädchens und den Unterricht in Französisch und Tanzen zu fördern. Sie nahmen meinen Vorschlag mit Begeisterung an, hielten es für eine Ehre, und ich bin mit ihnen auch heute noch bekannt ... Wollen Sie, wir fahren hin, aber nicht jetzt gleich.«