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Es verging noch ein Augenblick.

»Hier ist der Schlüssel! (Er holte ihn aus der linken Manteltasche und legte ihn hinter sich auf den Tisch, ohne sich umzuwenden und ohne Dunja anzusehen.) – Nehmen Sie ihn und gehen Sie schnell fort! ...«

Er starrte unverwandt zum Fenster hinaus.

Dunja trat an den Tisch, um den Schlüssel zu nehmen.

»Schneller! Schneller!« wiederholte Swidrigailow, immer noch ohne sich zu rühren und umzudrehen.

Aber in diesem »Schneller« lag wohl ein schrecklicher Ton.

Dunja verstand diesen Ton, ergriff den Schlüssel, eilte zur Tür, schloß sie schnell auf und stürzte aus dem Zimmer. Nach einer Minute war sie wie wahnsinnig, halb bewußtlos zum Kanal gekommen und lief in der Richtung zur *schen Brücke.

Swidrigailow blieb noch an die drei Minuten am Fenster stehen, endlich wandte er sich langsam um, blickte um sich und fuhr sich leise mit der Hand über die Stirn. Ein eigentümliches Lächeln verzerrte sein Gesicht; ein trauriges, klägliches, schwaches Lächeln, das Lächeln der Verzweiflung. Das Blut, das schon eintrocknete, hatte seine Hand beschmiert; er sah das Blut mit Haß an; dann feuchtete er ein Handtuch an und wusch sich die Schläfe ab. Plötzlich fiel ihm der von Dunja fortgeschleuderte Revolver, der zur Tür geflogen war, in die Augen. Er hob ihn auf und sah ihn sich an. Es war ein kleiner altmodischer Taschenrevolver für drei Schuß; es waren darin noch zwei Kugeln und ein Zündhütchen. Einmal konnte man noch schießen. Er dachte eine Weile nach, steckte sich den Revolver in die Tasche, nahm den Hut und verließ das Zimmer.

VI

Diesen ganzen Abend bis zehn Uhr verbrachte er in allerlei Wirtschaften und Kloaken, immer von der einen in die andere ziehend. Irgendwo fand er auch die Katja wieder, die ein anderes Lakaienlied sang, in dem davon die Rede war, daß irgendein »Schuft und Tyrann« –

»Fing mich süß zu küssen an.«

Swidrigailow traktierte Katja und den Orgeldreher, die Chorsänger, die Lakaien und zwei Schreiber mit Wein. Mit diesen Schreibern hatte er sich eigentlich bloß darum eingelassen, weil sie beide schiefe Nasen hatten: Bei dem einen war die Nase nach rechts gerichtet und bei dem andern nach links. Das kam Swidrigailow wunderlich vor. Sie schleppten Swidrigailow zuletzt in irgendeinen Vergnügungsgarten, wo er für sie das Eintrittsgeld bezahlte. In diesem Garten gab es eine schmächtige dreijährige Tanne und drei Büsche. Außerdem befand sich darin ein »Kursaal«, eigentlich eine Schenke, in der man aber auch Tee bekommen konnte; außerdem standen darin einige grüne Tische und Stühle. Ein Chor schlechter Sänger und ein betrunkener Deutscher aus München, eine Art Hanswurst, mit roter Nase, doch aus irgendeinem Grunde außerordentlich melancholisch, unterhielten das Publikum. Die beiden Schreiber gerieten mit anderen Schreibern in Streit und waren schon dabei, sich mit ihnen zu prügeln. Swidrigailow wurde von ihnen zum Schiedsrichter gewählt. Er saß schon eine Viertelstunde zu Gericht, sie schrien aber so, daß man unmöglich etwas verstehen konnte. Am wahrscheinlichsten war es, daß einer von ihnen etwas gestohlen und es sogar schon einem zufällig hinzugekommenen Juden verkauft hatte, aber das Geld mit seinem Freunde nicht teilen wollte. Zuletzt stellte es sich heraus, daß der verkaufte Gegenstand ein dem »Kursaal« gehöriger Teelöffel war. Man hatte ihn im »Kursaal« vermißt, und die Sache drohte eine schwierige Wendung zu nehmen. Swidrigailow bezahlte den Löffel, stand auf und verließ den Garten. Es war gegen zehn Uhr. Er selbst hatte während der ganzen Zeit keinen Tropfen Wein getrunken und sich im »Kursaal« nur Tee geben lassen, und auch das nur des Anstands halber. Der Abend war indessen schwül und düster. Gegen zehn Uhr waren von allen Seiten schwere Gewitterwolken aufgezogen; es donnerte, und der Regen strömte hernieder wie ein Wasserfall. Das Wasser fiel nicht tropfenweise, sondern stürzte in ganzen Bächen zur Erde. Jeden Augenblick blitzte es, und während eines jeden Aufleuchtens konnte man bis fünf zählen. Bis auf den letzten Faden durchnäßt, erreichte Swidrigailow seine Wohnung, schloß sich ein, öffnete seinen Schreibtisch, holte das ganze Geld heraus und zerriß zwei oder drei Papiere. Dann steckte er das Geld in die Tasche, wollte sich schon umziehen, blickte aber zum Fenster hinaus, hörte das Gewitter und den Regen und gab die Absicht auf. Dann nahm er den Hut und ging hinaus, ohne seine Wohnung abgeschlossen zu haben. Er ging direkt zu Ssonja. Sie war zu Hause.

Sie war nicht allein: Um sie herum waren die vier Kinder Kapernaumows versammelt. Ssofja Ssemjonowna bewirtete sie mit Tee. Sie begrüßte Swidrigailow schweigend und respektvoll, sah seine durchnäßte Kleidung und sagte kein Wort. Die Kinder liefen sofort alle in unbeschreiblicher Angst davon.

Swidrigailow setzte sich an den Tisch und bat Ssonja, neben ihm Platz zu nehmen. Sie machte sich schüchtern bereit, zuzuhören.

»Ich verreise vielleicht nach Amerika, Ssofja Ssemjonowna,« sagte Swidrigailow, »und da wir uns wahrscheinlich zum letztenmal sehen, bin ich hergekommen, um einige Anordnungen zu treffen. Nun haben Sie jene Dame heute gesehen! Ich weiß, was Sie Ihnen gesagt hat, Sie brauchen es nicht wiederzuerzählen. (Ssonja machte eine Bewegung und errötete.) Diese Menschen haben ihre besondere Art. Was aber Ihre beiden Schwesterchen und das Brüderchen betrifft, so sind sie tatsächlich untergebracht, und das Geld, das ihnen zukommt, habe ich für jeden von ihnen in sichere Hände gegen Quittung eingezahlt. Nehmen Sie übrigens diese Quittungen zu sich, für jeden Fall. Hier, nehmen Sie sie! Nun, das ist erledigt! Hier sind drei fünfprozentige Staatsschuldscheine, im ganzen dreitausend Rubel. Dieses Geld nehmen Sie, bitte, für sich persönlich, und das soll zwischen uns bleiben und niemand soll es erfahren, was Sie auch zu hören bekommen. Sie werden das Geld brauchen, denn das Leben, das Sie bisher führten, ist schlecht, und Sie haben es auch nicht mehr nötig.«

»Sie haben mir so große Wohltaten erwiesen, auch den Waisen und der Verstorbenen,« begann Ssonja hastig, »und wenn ich bis jetzt nur so wenig gedankt habe, so halten Sie es nicht ...«

»Ach, hören Sie auf, hören Sie auf.«

»Für das Geld bin ich Ihnen sehr dankbar, Arkadij Iwanowitsch, aber ich brauche es jetzt nicht mehr. Mich selbst kann ich ja immer ernähren, halten Sie es, bitte, nicht für Undank! Wenn Sie schon so gütig sind, so soll dieses Geld ...«

»Es gehört Ihnen, Ihnen, Ssofja Ssemjonowna, und reden Sie, bitte, nicht mehr davon, denn ich habe so gar keine Zeit. Sie aber können es brauchen. Rodion Romanowitsch hat nur zwei Wege vor sich: entweder eine Kugel durch den Kopf oder den Weg nach Sibirien. (Ssonja sah ihn wie wahnsinnig an und erzitterte.) Sie können ruhig sein, ich weiß alles von ihm selbst, und ich bin kein Schwätzer; ich werde es niemand sagen. Es war sehr gut, daß Sie ihm zuredeten, er solle sich selbst anzeigen. Das wird für ihn selbst viel vorteilhafter sein. Nun, und wenn er nach Sibirien muß, werden Sie ihm doch dorthin folgen – nicht wahr? Nicht wahr? Nun, in diesem Falle werden Sie das Geld brauchen können. Sie werden es doch für ihn selbst brauchen, verstehen Sie? Wenn ich es Ihnen gebe, so ist es das gleiche, als wie wenn ich es ihm gäbe. Außerdem haben Sie doch Amalia Iwanowna versprochen, die Schuld zu bezahlen, ich habe es selbst gehört. Was nehmen Sie auch, Ssofja Ssemjonowna, so unüberlegt solche Verträge und Verpflichtungen auf sich? Katerina Iwanowna schuldete dieser Deutschen das Geld, und nicht Sie, spucken Sie doch auf die Deutsche! So kann man auf der Welt nicht fortkommen! Nun, und wenn Sie jemand nach mir oder über mich befragt, – morgen, übermorgen, – man wird Sie sicher fragen –, so sagen Sie nicht, daß ich heute bei Ihnen war, zeigen Sie auch das Geld nicht und erzählen Sie davon niemand. Nun, und jetzt – auf Wiedersehen! (Er erhob sich vom Stuhl.) Einen Gruß an Rodion Romanowitsch! Übrigens: Halten Sie vorläufig dieses Geld meinetwegen bei Herrn Rasumichin. Kennen Sie Herrn Rasumichin? Natürlich kennen Sie ihn. Ein ganz braver Bursche. Bringen Sie ihm das Geld morgen oder ... wenn die Zeit kommt. Vorläufig verstecken Sie es, so gut Sie können.«