Выбрать главу

Fröstelnd und kaum seiner Sinne mächtig, öffnete er die Tür zum Polizeibureau. Diesmal waren sehr wenig Menschen da: er sah einen Hausknecht und noch einen einfachen Mann. Der Bureaudiener schaute nicht einmal hinter seinem Verschlag heraus. Raskolnikow ging ins nächste Zimmer. – Vielleicht geht es auch, daß ich gar nichts sage, – ging es ihm durch den Kopf. Irgendein Mensch, wahrscheinlich ein Schreiber, in Zivilkleidung, schickte sich gerade an, etwas auf seinem Pulte zu schreiben. In einer Ecke machte sich noch ein Schreiber an die Arbeit. Samjotow war nicht da. Auch Nikodim Fomitsch war natürlich noch nicht da.

»Ist niemand da?« wandte sich Raskolnikow an den Mann am Pulte.

»Wen wünschen Sie?«

»Ah! Man hört nichts, man sieht nichts, riecht aber den Russen ... wie heißt es noch in dem Märchen ... hab es vergessen! M-meine Hochachtung!« rief plötzlich eine bekannte Stimme.

Raskolnikow erzitterte. Vor ihm stand Pulver; er war plötzlich aus dem dritten Zimmer gekommen. – Das ist das Schicksal selbst – dachte Raskolnikow. – Warum ist er hier? –

»Zu uns? In welcher Angelegenheit?« rief Ilja Petrowitsch. (Er war anscheinend in ausgezeichneter, sogar etwas erregter Stimmung.) – »Wenn in einer geschäftlichen, so sind Sie zu früh gekommen. Ich selbst bin nur ganz zufällig hier ... Übrigens stehe ich zu Ihren Diensten. Ich muß Ihnen gestehen ... wie? Wie? Entschuldigen Sie ...«

»Raskolnikow.«

»Ach was, Raskolnikow! Konnten Sie denn wirklich annehmen, daß ich es vergessen hätte! Halten Sie mich, bitte, nicht für so einen ... Rodion Ro ... Ro ... Rodionytsch, ich glaube, so?«

»Rodion Romanytsch.«

»Ja, ja, ja! Rodion Romanytsch, Rodion Romanytsch! Darauf wollte ich eben kommen. Habe mich sogar einigemal erkundigt. Ich muß Ihnen gestehen, ich habe seit damals aufrichtig bedauert, daß wir Sie damals so ... man hat es mir später erklärt; ich erfuhr, daß Sie ein junger Literat sind und sogar Gelehrter ... und sozusagen die ersten Schritte ... O Gott! Wer von den Literaten und Gelehrten hat seine Karriere nicht mit originellen Schritten begonnen! Ich und meine Frau – wir beide schätzen die Literatur, meine Frau sogar leidenschaftlich! Die Literatur und die Kunst! Wenn man bloß eine edle Gesinnung hat, alles andere kann man aber durch Talent, Wissen, Verstand und Genie erwerben! So ein Hut – nun, was bedeutet zum Beispiel ein Hut? Ein Hut ist eine Art Pfannkuchen, ich kann ihn mir beim Bäcker kaufen; aber was unter dem Hut ist und vom Hut verdeckt wird, das kann ich mir nicht kaufen! ... Ich gestehe, ich wollte Sie sogar besuchen, um mich mit Ihnen auszusprechen, glaube aber, daß Sie ... Aber ich vergesse ganz, Sie zu fragen, ob Sie nicht wirklich etwas wünschen. Man sagt, Sie hätten Besuch von Ihren Verwandten?«

»Ja, meine Mutter und meine Schwester ...«

»Ich hatte sogar die Ehre und das Glück, Ihre Schwester zu treffen, – eine gebildete und reizende Dame. Ich muß gestehen, ich bedauerte sehr, daß wir damals in Hitze gekommen waren. Ein unangenehmer Fall! Daß ich Sie aber damals infolge Ihrer Ohnmacht so sonderbar angeblickt habe, das hat sich später auf die glänzendste Weise aufgeklärt! Aberglaube und Fanatismus! Ich begreife vollkommen Ihre Entrüstung. Vielleicht wollen Sie infolge der Ankunft Ihrer Angehörigen die Wohnung wechseln?«

»N-nein, ich bin nur so ... Ich bin gekommen, zu fragen ... ich glaubte, daß ich Samjotow hier treffen würde.«

»Ach ja, Sie sind mit ihm befreundet, ich habe es gehört. Nun, Samjotow ist nicht mehr bei uns, – Sie kommen zu spät. Jawohl, wir haben Alexander Grigorjewitsch verloren! Seit gestern ist er nicht mehr vorhanden; ist in ein anderes Ressort versetzt worden ... und hat sich vor der Versetzung mit allen verzankt ... er war sogar recht unhöflich ... Ein leichtsinniger Junge, sonst nichts; er versprach zwar, etwas zu werden; aber was soll man mit ihnen, mit unserer glänzenden Jugend anfangen! Irgendein Examen will er ablegen, aber bei uns ist es immer so: man redet und prahlt, und das ist das ganze Examen. Das ist doch ganz was anderes als zum Beispiel Sie oder der Herr Rasumichin, Ihr Freund! Ihre Karriere ist der wissenschaftliche Beruf, Mißerfolge können Sie davon nicht mehr abbringen! Alle Reize des Lebens sind für Sie, sozusagen, nihil est, – ein Asket, ein Mönch, ein Einsiedler! ... Ein Buch in der Hand, eine Feder hinter dem Ohr, wissenschaftliche Untersuchungen – darin schwebt Ihr Geist! Auch ich selbst zum Teil ... Haben Sie die Aufzeichnungen von Livingstone gelesen?«

»Nein.«

»Ich habe sie aber gelesen. Heute gibt es übrigens sehr viel Nihilisten; nun, das ist auch begreiflich; die Zeiten sind danach, wie meinen Sie? Übrigens sind wir beide ... Sie sind natürlich kein Nihilist! Sagen Sie es aufrichtig, ganz aufrichtig?!«

»N-ein ...«

»Nein, wissen Sie, mit mir müssen Sie aufrichtig sein, genieren Sie sich nicht, tun Sie so, als wären Sie mit sich allein! Der Dienst ist eine Sache für sich, und die ... Sie glauben wohl, ich wollte sagen, die Freundschaft ist eine Sache für sich? Nein, Sie haben es nicht erraten! Nicht die Freundschaft, sondern das Gefühl des Bürgers und Menschen, das Gefühl der Humanität und der Liebe zum Allmächtigen. Ich kann eine offizielle Person sein und ein Amt bekleiden, aber ich bin verpflichtet, immer den Bürger und Menschen in mir zu fühlen und mir Rechenschaft zu geben ... Sie brachten eben die Rede auf Samjotow, Samjotow ist imstande, in einem unanständigen Lokal bei einem Glase Champagner oder einheimischem Schaumwein einen Skandal auf französische Manier zu verüben – das ist Ihr Samjotow! Aber ich bin vielleicht vor Ergebenheit und hohen Gefühlen sozusagen zu Asche verbrannt und habe überdies Einfluß, einen Rang, bekleide ein Amt! Bin verheiratet und habe Kinder. Erfülle die Pflicht des Bürgers und Menschen. Aber was ist er? Gestatten Sie mir die Frage. Ich wende mich an Sie als an einen durch die Bildung geadelten Menschen. Auch gibt es jetzt auf einmal eine solche Menge von Hebammen.«

Raskolnikow zog fragend die Brauen hoch. Die Worte Ilja Petrowitschs, der wohl eben von Tische kam, schlugen wie inhaltlose Töne an sein Ohr. Einen Teil von ihnen hatte er dennoch verstanden; er sah ihn fragend an und wußte nicht, womit das alles enden sollte.

»Ich meine diese kurzgeschorenen Mädels«, fuhr der redselige Ilja Petrowitsch fort. »Ich nenne sie Hebammen und finde, daß diese Bezeichnung treffend ist. He-he! Sie dringen in die medizinische Akademie ein, lernen Anatomie; nun, sagen Sie mir, wenn ich krank werde, werde ich so ein Mädel holen lassen, damit sie mich behandelt? He-he!«

Ilja Petrowitsch lachte, durchaus zufrieden mit seinen Witzen.

»Es ist allerdings ein maßloser Durst nach Bildung; aber bilde dich und laß es sein. Warum soll man übertreiben? Warum soll man anständige Menschen beleidigen, wie es dieser Schuft Samjotow tut? Warum hat er mich beleidigt, frage ich Sie? Und dann diese Menge von Selbstmorden – das können Sie sich gar nicht vorstellen. – Alles verpraßt sein letztes Geld und begeht dann Selbstmord. Kleine Mädels, Jungen, Greise ... Erst heute früh kam die Mitteilung über einen vor kurzem zugereisten Herrn. Nil Pawlytsch! Nil Pawlytsch! Wie hieß noch dieser Gentleman, über den wir eben die Mitteilung erhielten, der sich auf der Petersburger Seite erschossen hat?«