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»Mitjka! Mitjka! Mitjka! Mitjka! Mitjka! Daß dich der Teufel!«

Das Schreien ging in Winseln über. Die letzten Töne klangen schon im Hof. Dann wurde alles still. In diesem Augenblick kamen aber mehrere Männer, die laut und eifrig sprachen, die Treppe hinauf. Es waren ihrer drei oder vier, Raskolnikow erkannte die Stimme des Jüngeren. »Das sind sie!«

Verzweifelt und auf alles gefaßt ging er ihnen entgegen. Wenn sie ihn stellen – ist alles verloren; stellen sie ihn nicht, so ist auch alles verloren, denn sie werden ihn sich merken. Sie kamen immer näher, nun war nur noch eine Treppe zwischen ihm und ihnen; plötzlich – Rettung! – einige Stufen unter ihm steht die leere Wohnung offen; es ist jene Wohnung im ersten Stock, in der früher die Anstreicher arbeiteten, die jetzt – wie auf Bestellung – weggegangen sind. Den Lärm von vorhin machten wohl die Anstreicher, als sie die Wohnung verließen. Der Fußboden ist frisch gestrichen, mitten im Zimmer steht ein Kübel, liegt ein Topfscherben mit Farbe und ein Pinsel. Er schlich rasch in die offene Wohnung und verbarg sich hinter der Wand; es war auch die höchste Zeit, denn sie waren bereits an der Tür. Dann gingen sie, immer noch laut sprechend, zum vierten Stock hinauf. Er wartete ab, verließ auf den Fußspitzen die Wohnung und lief die Treppe hinunter.

Auf der Treppe war kein Mensch! Auch im Torweg niemand! Er ging rasch durch das Tor und schwenkte nach links ab.

Er wußte ganz genau, daß sie sich in diesem Augenblick schon in der Wohnung befanden, daß sie erstaunt waren, die Wohnung offen zu finden, während sie früher versperrt war, daß sie nun die Leichen entdeckt hatten und daß sie in höchstens einer Minute einsahen, daß der Mörder eben noch da war und sich nun irgendwo versteckt hatte; sie würden vielleicht darauf kommen, daß er sich in der leeren Wohnung versteckt gehalten hatte, während sie hinaufgingen. Er wagte aber nicht, schneller zu gehen, obwohl die nächste Straßenecke höchstens hundert Schritte entfernt war. – Soll ich nicht in irgendeinen Torweg abschwenken oder auf einer unbekannten Straße abwarten? Nein, es ist gefährlich! Oder das Beil wegschmeißen? Oder eine Droschke nehmen? Es ist gefährlich ...

Da war auch schon die Quergasse, er erreichte sie mehr tot als lebendig. Hier war er beinahe außer Gefahr; er sah es ein, denn hier konnte er schwerlich Verdacht erregen: auch war die Straße sehr belebt, und er verschwand vollkommen in der Menge. Alle inneren Qualen hatten ihn so schwach gemacht, daß er sich nur mit Mühe fortbewegte. Der Schweiß lief in Strömen, sein Hals war ganz durchnäßt. »Wie der besoffen ist!« rief ihm jemand zu, als er an den Kanal trat.

Er ging wie im Traume, und mit jedem Augenblick wurde es schlimmer. Als er aber an den Kanal kam, erschrak er, weil da weniger Menschen waren und er daher mehr auffiel, und er versuchte wieder auf die Straße zu gelangen. Trotz seiner großen Schwäche machte er den Umweg, um aus einer anderen Richtung nach Hause zu kommen.

Als er sein Tor passierte, war er nicht bei vollem Bewußtsein; das Beil fiel ihm erst dann ein, als er eine Treppe hinaufgestiegen war. Er hatte noch eine schwierige Aufgabe vor sich: er mußte das Beil zurücktragen und es unbemerkt auf den alten Platz legen. Er hatte nicht mehr die Kraft, zu überlegen, daß es durchaus nicht notwendig war, das Beil zurückzutragen, und daß er es später einmal auf irgendeinem fremden Hof fallen lassen konnte.

Aber alles lief glücklich ab. Die Tür zur Hausknechtskammer war zu, aber nicht versperrt, der Hausknecht war also höchstwahrscheinlich zu Hause. Raskolnikow hatte aber jede Fähigkeit zu denken verloren; er ging direkt auf die Tür los und öffnete sie. Wenn ihn der Hausknecht gefragt hätte, was er wollte, so hätte er ihm wohl gleich das Beil gereicht. Der Hausknecht war aber wieder nicht da, Raskolnikow legte das Beil auf den alten Platz unter die Bank und verdeckte es mit einem Holzklotz. Auf dem Wege über die Stiege und in sein Zimmer traf er keinen Menschen; die Tür zum Zimmer der Wirtin war zu. Sobald er in sein Zimmer kam, fiel er sofort, so wie er war, auf sein Sofa nieder. Er schlief nicht, war aber bewußtlos. Wäre jetzt jemand in sein Zimmer getreten, so hätte er aufgeschrien. Fetzen und Bruchstücke von Gedanken zogen ihm durch den Kopf; es gelang ihm aber nicht, so sehr er sich auch anstrengte, bei irgendeinem dieser Gedanken stehen zu bleiben ...

Zweiter Teil

I

So lag er sehr lange. Ab und zu kam er gleichsam zu sich und merkte in diesen Augenblicken, daß es schon längst Nacht war, und doch fiel ihm nicht ein, aufzustehen. Endlich sah er, daß es so hell war, wie am Tage. Er lag auf dem Sofa, rücklings, noch starr von seiner Ohnmacht. Ein fürchterliches, verzweifeltes Geschrei drang von der Straße zu ihm herauf; er hörte es übrigens jede Nacht gegen drei Uhr unter seinem Fenster. Dieses Geschrei hatte ihn auch jetzt geweckt. – Ah! Da kommen schon die Betrunkenen aus den Schenken, – dachte er sich: – also ist es bald drei! – Er setzte sich auf, und da fiel ihm alles ein! Plötzlich, in einem Augenblick fiel ihm alles ein!

Im ersten Augenblick glaubte er, er würde verrückt werden. Eine furchtbare Kälte ergriff ihn; die Kälte kam aber vom Fieber, das schon längst, als er noch schlief, angefangen hatte. Und jetzt erfaßte ihn ein Schüttelfrost, daß ihm beinahe die Zähne heraussprangen und alles in ihm bebte. Er öffnete die Tür und lauschte hinaus: im Hause schlief alles. Mit Erstaunen betrachtete er sich und alles, was ihn umgab, und konnte es nicht begreifen: wie konnte er nur gestern, als er heimgekommen, die Tür nicht zuhaken und sich auf das Sofa nicht nur in den Kleidern, sondern auch mit dem Hute werfen; der Hut war herabgerollt und lag auf dem Fußboden, neben dem Kissen. – Wenn jemand gekommen wäre, was hätte er sich gedacht? Daß ich betrunken bin, aber ... – Er stürzte zum Fenster. Es war genügend hell, und er beeilte sich, seine ganze Kleidung vom Kopfe bis zu den Füßen zu untersuchen, ob keine Spuren da seien. So ging es aber nicht; zitternd vor Schüttelfrost, fing er an, alles auszuziehen und sorgfältig von allen Seiten zu besehen. Er drehte alles um, bis zum letzten Faden und Fetzen, und da er sich selbst nicht traute, wiederholte er die Untersuchung an die dreimal. Es war aber anscheinend nichts zu sehen, auch nicht die geringste Spur; nur ganz unten an der Hose, wo diese ausgefranst war, waren an den Fransen noch Spuren eingetrockneten Blutes geblieben. Er griff nach seinem großen Taschenmesser und schnitt die Fransen ab. Sonst war anscheinend nichts zu sehen. Plötzlich fiel ihm ein, daß der Beutel und alle die Sachen, die er aus der Truhe der Alten genommen hatte, noch immer in seinen Taschen lagen. Es war ihm bisher gar nicht eingefallen, sie herauszunehmen und zu verstecken! Auch jetzt eben, als er seine Kleider untersuchte, hatte er an diese Sachen gar nicht gedacht! Was ging denn mit ihm vor? Augenblicklich begann er sie herauszunehmen und auf den Tisch zu werfen. Nachdem er alles hervorgeholt und selbst die Taschen herausgekehrt hatte, um sich zu überzeugen, ob nicht doch etwas zurückgeblieben sei, trug er diesen ganzen Haufen in die Ecke. Unten in dieser Ecke war die von der Wand abstehende Tapete zerrissen, und er begann sofort alles in das Loch unter der Tapete zu stecken: »Alles hat Platz gefunden! Alles bin ich los und auch den Beutel!« dachte er sich erfreut. Er stand auf und blickte stumpf in die Ecke auf die Tapete, die über dem Loch noch mehr abstand. »Mein Gott,« flüsterte er in Verzweiflung, »was ist mit mir los? Ist denn das versteckt? Versteckt man denn so?«

Allerdings hatte er mit den Gegenständen nicht gerechnet; er hatte geglaubt, daß er nur Geld finden würde, und darum keinen Platz vorher vorbereitet. »Aber jetzt, jetzt, worüber freue ich mich denn?« dachte er. »Versteckt man denn so? Wirklich, mein Verstand läßt mich im Stich!« Erschöpft setzte er sich aufs Sofa und wurde wieder von einem unerträglichen Schüttelfrost gepackt. Mechanisch zog er den neben ihm auf dem Stuhl liegenden früheren Studentenmantel, der warm gefüttert, doch völlig zerlumpt war, zu sich heran, bedeckte sich mit ihm und fiel wieder in einen Schlaf mit schweren Fieberträumen. Die Sinne verließen ihn.