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Raskolnikow fiel entkräftet auf das Sofa, konnte aber die Augen nicht mehr schließen; so lag er etwa eine halbe Stunde in solcher Qual, von einem so grenzenlosen Schrecken gepackt, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Plötzlich wurde sein Zimmer von einem grellen Schein erleuchtet: Nastasja kam mit einer Kerze und einem Teller Suppe zu ihm herein. Nachdem sie ihn aufmerksam betrachtet und festgestellt hatte, daß er nicht schlief, stellte sie die Kerze auf den Tisch und begann das Mitgebrachte aufzustellen: Brot, Salz, einen Teller und Löffel ...

»Hast wohl seit gestern nichts gegessen. Hast dich den ganzen Tag herumgetrieben, im Fieber und Schüttelfrost.«

»Nastasja ... warum schlug man die Wirtin?«

Sie sah ihn unverwandt an.

»Wer hat die Wirtin geschlagen?«

»Soeben ... vor einer halben Stunde, Ilja Petrowitsch, der Gehilfe des Revieraufsehers, auf der Treppe ... Warum hat er sie so geprügelt? Und ... warum war er hergekommen?«

Nastasja betrachtete ihn schweigend mit gerunzelter Stirn und sah ihn lange so an. Dies wurde ihm unangenehm, es erschreckte ihn sogar.

»Nastasja, was schweigst du?« fragte er schließlich ängstlich mit schwacher Stimme.

»Das ist das Blut«, antwortete sie endlich leise wie vor sich hin.

»Blut! ... Was für ein Blut? ...« murmelte er erbleichend und zur Wand rückend.

Nastasja sah ihn noch immer schweigend an.

»Niemand hat die Wirtin geschlagen«, sagte sie wieder streng und bestimmt.

Er sah sie an und atmete kaum.

»Ich habe es selbst gehört ... ich habe nicht geschlafen ... ich habe gesessen«, sagte er noch ängstlicher. »Ich habe lang zugehört ... Der Gehilfe des Revieraufsehers war hier ... Alle Leute aus allen Wohnungen waren auf der Treppe zusammengelaufen ...«

»Niemand war hier. Es ist das Blut, das aus dir schreit. Wenn es keinen Ausweg hat und gerinnt, so kommt einem mancherlei vor ... Wirst du essen, wie?«

Er gab keine Antwort. Nastasja stand noch immer vor ihm, sah ihn unverwandt an und ging nicht.

»Gib mir zu trinken ... Nastasjuschka.«

Sie ging hinunter und brachte nach zwei Minuten Wasser in einem weißen tönernen Becher; was weiter kam, erinnerte er sich nicht mehr. Er erinnerte sich nur noch, wie er einen Schluck kalten Wassers getrunken und den Inhalt des Bechers auf die Brust verschüttet hatte. Dann wurde er bewußtlos.

III

Man kann jedoch nicht sagen, daß er während seiner ganzen Krankheit bewußtlos geblieben wäre: es war ein fieberhafter Zustand mit Delirien und halbem Bewußtsein. An vieles konnte er sich später erinnern. Bald schien es ihm, als versammele sich um ihn eine Menge von Menschen, die ihn nehmen und irgendwohin forttragen wollten; als stritten und zankten sie sich seinetwegen. Bald sah er sich allein im Zimmer; alle sind weggegangen und fürchten sich vor ihm und öffnen nur zuweilen die Tür, um nach ihm zu sehen; sie drohen ihm, vereinbaren etwas unter sich, lachen und necken ihn. Er erkannte oft Nastasja in seiner Nähe; er unterschied auch noch einen anderen Menschen, der ihm bekannt vorkam, wer es aber war, darauf konnte er unmöglich kommen; er litt darunter und weinte sogar. Zuweilen schien es ihm, daß er schon seit einem Monat liege: zuweilen aber, es sei noch immer der gleiche Tag. Aber jenes hatte er vollkommen vergessen; dafür war er sich fortwährend bewußt, daß er etwas vergessen habe, was er nicht hätte vergessen dürfen, – er zermarterte sich und quälte sich, indem er sich dessen zu erinnern bemühte, er stöhnte, ihn packte Raserei oder eine schreckliche, unerträgliche Angst. Dann wollte er aufstehen, wollte weglaufen, doch jemand hielt ihn jedesmal mit Gewalt zurück, und er fiel wieder in Ohnmacht und Bewußtlosigkeit. Endlich kam er aber ganz zu sich.

Das geschah an einem Morgen um zehn Uhr. Um diese Stunde pflegte die Sonne an heiteren Tagen immer einen langen Streifen auf seiner rechten Wand zu malen und die Ecke an der Tür zu beleuchten. Vor seinem Bette standen Nastasja und noch ein Mensch, der ihn sehr neugierig betrachtete und den er gar nicht kannte. Es war ein junger Bursche in einem langen Rock, mit kleinem Bärtchen, dem Aussehen nach ein Kontordiener. Durch die halbgeöffnete Tür blickte die Wirtin herein. Raskolnikow erhob sich.

»Wer ist das, Nastasja?« fragte er, auf den Burschen zeigend.

»Schau, er ist zu sich gekommen!« sagte sie.

»Der Herr sind zu sich gekommen«, wiederholte der Kontordiener.

Als die Wirtin, die hereinblickte, merkte, daß er zu sich gekommen war, schloß sie sofort die Tür und verschwand. Sie war immer schüchtern gewesen, und alle Gespräche und Auseinandersetzungen waren ihr eine Last; sie war gegen vierzig, sehr dick und fett, hatte schwarze Augen und schwarze Brauen und war vor lauter Dicke und Faulheit gutmütig; ihr Gesicht war gar nicht übel. Dabei war sie von einer übertriebenen Schamhaftigkeit.

»Wer sind ... Sie?« fragte er weiter, sich an den Kontordiener selbst wendend. Doch im gleichen Augenblick wurde die Tür wieder weit geöffnet, und herein trat, ein wenig gebückt, da er sehr groß war, Rasumichin.

»Diese Schiffskajüte!« rief er beim Eintreten. »Jedesmal stoße ich mit der Stirn an. Das nennt sich auch Wohnung! Du bist aber zu dir gekommen, Bruder? Ich habe es eben von Paschenjka1 gehört.«

»Eben ist er zu sich gekommen«, sagte Nastasja.

»Eben sind der Herr zu sich gekommen«, bestätigte der Kontordiener mit einem Lächeln.

»Wer sind Sie?« fragte ihn plötzlich Rasumichin. »Ich, zum Beispiel, sehen Sie, ich bin Wrasumichin, nicht Rasumichin, wie mich alle nennen, sondern Wrasumichin, Student, Sohn eines Adligen, und er ist mein Freund. Nun, und wer sind Sie?«

»Ich bin Diener in unserem Kontor, vom Kaufmann Schelopajew, ich komme in Geschäften.«

»Setzen Sie sich, bitte, auf diesen Stuhl.« Rasumichin selbst setzte sich auf den anderen Stuhl, an der anderen Seite des Tischchens. »Das hast du gut getan, Bruder, daß du zu dir gekommen bist«, fuhr er fort, sich an Raskolnikow wendend. »Den vierten Tag ißt und trinkst du fast nichts. Wirklich, man mußte dir Tee mit einem Löffelchen eingeben. Ich brachte zweimal Sossimow her. Kannst du dich an Sossimow erinnern? Er hat dich aufmerksam untersucht und gleich gesagt, daß es nichts von Belang sei, – das Blut sei dir irgendwie in den Kopf gestiegen. Irgendeine Dummheit mit den Nerven, die Ration war ungenügend, sagt er, du hättest zu wenig Bier und Meerrettich bekommen, daher auch die Krankheit; es mache aber nichts, alles werde schon gut werden. Ein tüchtiger Kerl dieser Sossimow! Er fängt an, glänzender Arzt zu werden. Nun, ich halte Sie aber auf,« wandte er sich wieder an den Kontordiener, »wollen Sie erklären, was Sie wünschen? Ich muß dir sagen, Rodja, daß man schon zum zweitenmal aus dem Kontor kommt; nur ist es das vorige Mal nicht dieser gewesen, sondern ein anderer, und ich habe mit dem anderen gesprochen. Wer war denn vor Ihnen dagewesen?«

»Ich meine, es war vorgestern. Das war Alexej Ssemjonowitsch; er ist auch an unserem Kontor angestellt.«

»Er wird wohl etwas tüchtiger sein als Sie, was meinen Sie?«

»Jawohl, er ist wirklich etwas solider.«

»Das ist lobenswert. Nun, fahren Sie fort.«

»Sie bekommen durch unser Kontor von Afanassij Iwanowitsch Wachruschin, von dem Sie wohl mehr als einmal gehört haben, auf Wunsch Ihrer Frau Mama eine Geldüberweisung«, begann der Kontordiener, sich direkt an Raskolnikow wendend. »Falls Sie bei Bewußtsein sind, soll ich Ihnen fünfunddreißig Rubel einhändigen, da Ssemjon Ssemjonowitsch von Afanassij Iwanowitsch auf Wunsch Ihrer Frau Mama auf die gleiche Weise wie früher darüber benachrichtigt worden ist. Belieben Sie ihn zu kennen?«

»Ja ... ich weiß ... Wachruschin ...« sagte Raskolnikow nachdenklich.