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»Hören Sie: er kennt den Kaufmann Wachruschin!« schrie Rasumichin. »Und er sollte nicht bei Bewußtsein sein? Übrigens merke ich jetzt, daß auch Sie ein tüchtiger Mensch sind. Nun! Kluge Reden hört man gern.«

»Ja, es stimmt, es ist von Wachruschin, Afanassij Iwanowitsch, auf Wunsch Ihrer Frau Mama, die Ihnen schon einmal auf die gleiche Weise Geld überwiesen hat; er hat es ihr auch diesmal nicht abgeschlagen und unseren Ssemjon Ssemjonowitsch von seiner Stadt aus beauftragt, Ihnen fünfunddreißig Rubel auszuzahlen, in Erwartung besserer Zeiten.«

»Dieses ›in Erwartung besserer Zeiten‹ ist Ihnen am besten gelungen; auch das von der ›Frau Mama‹ ist nicht übel. Nun, wie glauben Sie, ist er bei vollem Bewußtsein oder nicht, wie?«

»Mir kann es gleich sein. Wenn ich nur eine Quittung haben könnte.«

»Die wird er schon hinkritzeln. Haben Sie ein Buch mit, wie?«

»Jawohl, ein Buch, hier ist es.«

»Geben Sie es her. Nun Rodja, steh etwas auf. Ich werde dich stützen; schreib ihm den Raskolnikow hin, nimm die Feder, denn wir brauchen jetzt das Geld dringender als Sirup, Bruder.«

»Nicht nötig«, sagte Raskolnikow, die Feder von sich stoßend.

»Was ist nicht nötig?«

»Ich werde nicht unterschreiben.«

»Pfui Teufel, das geht doch nicht ohne Unterschrift!«

»Ich will ... das Geld nicht ...«

»Das Geld willst du nicht? Nein, Bruder, das ist Unsinn, ich bin Zeuge! Achten Sie bitte nicht darauf, daß er schon wieder ... voyagiert. Das kommt bei ihm übrigens auch im wachen Zustande vor ... Sie sind ein vernünftiger Mensch, und wir wollen ihn leiten, das heißt einfach seine Hand leiten, dann wird er schon unterschreiben. Nun, fassen Sie an ...«

»Ich kann übrigens auch ein anderes Mal kommen.«

»Nein, nein, warum sollen Sie sich die Mühe machen. Sie sind doch ein vernünftiger Mensch ... Nun, Rodja, halt den Gast nicht auf ... du siehst doch, er wartet.« Und er schickte sich ernsthaft an, Raskolnikows Hand zu führen.

»Laß, ich will selbst ...« sagte jener, ergriff die Feder und setzte seine Unterschrift ins Buch.

Der Kontordiener zählte das Geld auf und ging.

»Bravo! Und nun, Bruder, willst du essen?«

»Ich will«, antwortete Raskolnikow.

»Habt ihr Suppe?«

»Von gestern«, antwortete Nastasja, die die ganze Zeit dabei gestanden hatte.

»Mit Kartoffeln und Reis?«

»Mit Kartoffeln und Reis.«

»Das weiß ich auswendig. Bring's her, bring auch Tee.«

»Ich bring es gleich.«

Raskolnikow verfolgte alles mit tiefem Erstaunen und einer stumpfen, sinnlosen Angst. Er entschloß sich zu schweigen und zu warten: was wird wohl weiter kommen? »Ich glaube, es ist kein Fiebertraum,« dachte er sich, »mir scheint, es ist Wirklichkeit ...«

Nach zwei Minuten kam Nastasja mit der Suppe und erklärte, daß gleich auch der Tee kommen würde. Zur Suppe brachte sie zwei Löffel, zwei Teller und alles, was dazu gehört: ein Salzfaß, eine Pfefferbüchse, Senf für das Fleisch und alles andere, in einer Ordnung, wie sie Raskolnikow schon lange nicht gesehen hatte. Das Tischtuch war sauber.

»Es wäre nicht schlecht, Nastasjuschka, wenn Praskowja Pawlowna an die zwei Flaschen Bier kommandieren wollte. Wir trinken sie schon aus.«

»Du bist mir gar zu fix!« brummte Nastasja und ging, den Befehl auszuführen.

Raskolnikow fuhr fort, mit gespannten, beinahe wahnsinnigen Blicken zu beobachten. Rasumichin setzte sich indessen zu ihm aufs Sofa herüber, umfaßte so plump wie ein Bär mit der linken Hand seinen Kopf, obwohl er sich selbst erheben konnte, und führte mit der Rechten einen Löffel Suppe an seinen Mund, nachdem er vorher ein paarmal darauf geblasen hatte, damit er sich nicht verbrühe. Die Suppe war aber nur lauwarm. Raskolnikow verschlang voll Gier erst einen Löffel, dann einen zweiten und einen dritten. Rasumichin hielt aber, nachdem er ihm einen Löffel gereicht hatte, plötzlich inne und erklärte, daß er sich wegen des ferneren mit Sossimow beraten müsse.

Nastasja brachte zwei Flaschen Bier.

»Willst du auch Tee?«

»Ja.«

»Bring mal schnell Tee her, Nastasja, denn Tee kann man ihm wohl auch ohne ein Fakultätsgutachten geben. Da ist aber auch das Bier!« Er setzte sich auf seinen Stuhl herüber, rückte die Suppe und das Fleisch zu sich heran und begann mit solchem Appetit zu essen, als hätte er seit drei Tagen nichts im Munde gehabt.

»Ich esse jetzt jeden Tag hier bei euch zu Mittag, Rodja«, murmelte er, soweit es ihm sein mit Fleisch vollgestopfter Mund erlaubte. »Und das ist alles ein Werk Paschenjkas, deiner lieben Wirtin, sie bezeugt mir ihre Achtung von ganzem Herzen. Ich bestehe natürlich nicht darauf, protestiere aber auch nicht. Da kommt aber schon Nastasja mit dem Tee! Wie fix die ist! Nastenjka, willst du Bier?«

»Zum Kuckuck!«

»Und Tee?«

»Tee – vielleicht.«

»Schenk ein. Wart, ich schenk dir selbst ein; setz dich an den Tisch.«

Er fing sofort zu wirtschaften an; er schenkte ein, schenkte dann auch noch eine zweite Tasse ein, ließ sein Essen stehen und setzte sich wieder aufs Sofa. Wie früher umschlang er mit der linken Hand den Kopf des Kranken, hob ihn und fing an, ihm den Tee mit dem Löffelchen einzugeben, wobei er wieder fortwährend und besonders eifrig auf den Löffel blies, als liege in diesem Prozeß des Blasens das wichtigste und heilsame Moment der Genesung. Raskolnikow schwieg und wehrte sich nicht, obwohl er sich stark genug fühlte, um ohne fremde Hilfe aufzustehen und auf dem Sofa zu sitzen, vielleicht auch herumzugehen, und nicht nur, seine Hände so weit zu gebrauchen, um einen Löffel oder eine Tasse festhalten zu können. Aber aus einer seltsamen, beinahe tierischen Schlauheit heraus, kam ihm der Gedanke, vorderhand seine Kräfte zu verheimlichen, sich auf die Lauer zu legen; sich wenn nötig sogar so zu stellen, als verstünde er nichts, indessen aber zuzuhören und auszukundschaften, was eigentlich vorging. Übrigens konnte er seinen Widerwillen nicht zurückhalten: nachdem er an die zehn Löffel Tee getrunken hatte, befreite er plötzlich den Kopf, stieß den Löffel trotzig von sich und ließ sich wieder auf das Kissen fallen. Unter seinem Kopf lagen jetzt wirklich Kissen, – richtige Daunenkissen mit sauberen Überzügen; das merkte er gleich und nahm es zur Kenntnis.

»Paschenjka soll uns heute noch Himbeersaft schicken, damit wir ihm einen Trank bereiten«, sagte Rasumichin. Er setzte sich wieder auf seinen Platz und machte sich an die Suppe und das Bier.

»Wo soll sie dir denn den Himbeersaft hernehmen?« fragte Nastasja, indem sie die Untertasse auf fünf gespreizten Fingern hielt und den Tee »durch den Zucker« schlürfte.

»Den Himbeersaft bekommt sie im Laden, mein Schatz. Siehst du, Rodja, als du noch bewußtlos warst, hat sich hier eine ganze Geschichte abgespielt. Als du in einer solchen verbrecherischen Weise von mir durchbranntest und mir deine Adresse nicht sagtest, packte mich solche Wut, daß ich beschloß, dich aufzusuchen und zu bestrafen. Am gleichen Tage machte ich mich ans Werk. Ich ging und ging und fragte und fragte. Deine jetzige Adresse hatte ich vergessen, ich hatte sie auch niemals gewußt. Und von deiner früheren Wohnung wußte ich nur, daß sie irgendwo an den Fünf Ecken im Hause Charlamow lag. Nun suchte und suchte ich dieses Charlamowsche Haus, und später zeigte es sich, daß es nicht von Charlamow, sondern von Buch war, – wie leicht kann man sich am Klange irren! Nun wurde ich böse. Ich wurde böse und ging am nächsten Tag auf gut Glück aufs polizeiliche Auskunftsbureau, und denk dir nur: in zwei Minuten hatten sie dich gefunden. Du bist dort eingetragen.«

»Eingetragen?!«

»Gewiß! Aber den General Kobeljow, den sie in meiner Gegenwart suchten, konnten sie unmöglich finden. Nun, davon könnte ich noch lange erzählen. Kaum war ich hier eingebrochen, als ich sofort alle deine Angelegenheiten kennen lernte; alles, Bruder, alles weiß ich jetzt; auch sie hat es gesehen: den Nikodim Fomitsch lernte ich kennen, auch den Ilja Petrowitsch zeigte man mir, den Hausknecht, den Herrn Samjotow, Alexander Grigorjewitsch, den Sekretär im hiesigen Polizeibureau und zuletzt Paschenjka – das war schon die Krone. Auch Nastasja weiß es ...«