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»Zwanzig Kopeken wirst du wohl bezahlt haben«, antwortete Nastasja.

»Zwanzig Kopeken – dumme Gans!« rief er gekränkt. »Heutzutage kauft man selbst dich nicht für zwanzig Kopeken. Achtzig Kopeken habe ich gegeben! Und das auch nur, weil sie getragen ist. Allerdings mit der Bedingung: wenn du diese abträgst, bekommst du im nächsten Jahre eine andere umsonst, bei Gott! Schreiten wir nun zu den Vereinigten Staaten von Amerika, wie man dieses Kleidungsstück bei uns im Gymnasium nannte. Das sage ich gleich: auf die Hosen bin ich stolz!« Und er breitete vor Raskolnikow eine graue Hose aus leichtem wollenen Sommerstoff aus. – »Kein Löchelchen, kein Fleckchen, dabei ist sie aber noch sehr anständig, wenn auch getragen; dazu eine ebensolche Weste von der gleichen Farbe, wie es die Mode verlangt. Und daß die Sachen getragen sind, ist, offen gestanden, besser: sie sind weicher und zarter ... Siehst du, Rodja, um in dieser Welt Karriere zu machen, genügt es, meiner Meinung nach, stets die Saison zu beobachten: wenn du im Januar keinen Spargel verlangst, so bleiben dir ein paar Rubel im Beutel zurück; so verhält es sich auch mit diesem Kauf. Jetzt ist die Sommersaison, und ich habe euch einen Sommerkauf gemacht, denn die Herbstsaison wird sowieso einen wärmeren Stoff verlangen, und so wird man es wegwerfen müssen ... um so mehr, als dies alles bis dahin ganz von selbst zerfallen wird, und wenn nicht alle erhöhter Prunksucht, so aus innerer Zerrüttung. Nun taxiere es einmal! Wieviel glaubst du? Zwei Rubel fünfundzwanzig Kopeken! Und merk es dir, wieder mit derselben Bedingung: wenn du diese Hose abgetragen hast, bekommst du im nächsten Jahre eine neue umsonst! Im Laden Fedjajews werden die Sachen nur so verkauft: wenn du einmal bezahlt hast, so gilt das fürs ganze Leben, denn ein zweites Mal gehst du selbst nicht hin. Nun, jetzt zu den Stiefeln, – wie gefallen sie dir? Man sieht wohl, daß sie getragen sind, aber an die zwei Monate werden sie noch halten, denn es ist ausländische Arbeit und ausländische Ware: der Sekretär der englischen Botschaft hat sie in der vorigen Woche auf dem Trödelmarkte verkauft; bloß sechs Tage hat er sie getragen, brauchte aber dringend Geld. Der Preis ist ein Rubel fünfzig Kopeken. Ein guter Kauf?«

»Vielleicht passen sie ihm gar nicht!« bemerkte Nastasja.

»Sie passen nicht! Und was ist das?« Er zog aus der Tasche den alten, eingeschrumpften, ganz mit trockenem Schmutz bedeckten durchlöcherten Stiefel Raskolnikows. »Ich bin mit einem Muster hingegangen, und man hat mir nach diesem Ungeheuer das richtige Maß rekonstruiert. Diese Angelegenheit habe ich mit Liebe behandelt. Und was die Wäsche betrifft, so habe ich mit der Wirtin gesprochen. Hier sind erstens drei leinene Hemden, doch mit modernem Einsatz ... Also: achtzig Kopeken die Mütze, zwei Rubel fünfundzwanzig die übrige Kleidung, macht drei Rubel fünf Kopeken; ein Rubel fünfzig die Stiefel – weil sie gar so gut sind, – macht vier Rubel fünfundfünfzig Kopeken und fünf Rubel die ganze Wäsche – wir haben sie engros gekauft, – alles in allem neun Rubel fünfundfünfzig Kopeken. Den Rest von fünfundvierzig Kopeken in kupfernen Fünfkopekenstücken überreiche ich Ihnen hiermit. So ist nun, Rodja, deine ganze Kleidung instand gesetzt, denn dein Mantel kann, wie ich glaube, nicht nur weiterdienen, sondern sieht sogar noch besonders vornehm aus: ja, wenn man bei Scharmer arbeiten läßt! Was die Strümpfe und das übrige betrifft, so überlasse ich es dir selbst; an Geld sind uns noch fünfundzwanzig Rubel geblieben, aber wegen Paschenjka und der Miete kannst du unbesorgt sein; ich sagte dir ja: dein Kredit ist unbeschränkt. Jetzt aber erlaube, daß ich dir die Wäsche wechsele, Bruder, denn deine Krankheit sitzt jetzt vielleicht nur noch im Hemde ...«

»Laß ab, ich will nicht!« wehrte sich Raskolnikow, der mit Widerwillen den geschraubt-scherzhaften Bericht Rasumichins über den Einkauf der Kleider gehört hatte ...

»Nein, Bruder, das geht nicht: warum habe ich mir die Sohlen abgelaufen!« drang. Rasumichin in ihn. – »Nastasjuschka, schämen Sie sich nicht, sondern helfen Sie, ja so!«

Trotz des Widerstandes Raskolnikows wechselte er ihm die Wäsche. Jener fiel auf die Kissen und sprach an die zwei Minuten kein Wort.

»Jetzt lassen Sie mich lange nicht in Ruhe!« dachte er.

»Von welchem Gelde ist das alles gekauft?« fragte er endlich, auf die Wand blickend.

»Von welchem Geld? Hat man so was gehört! Doch von deinem eigenen. Vorhin war der Kontordiener hier, von Wachruschin, deine Mama hat es dir geschickt, oder hast du auch das vergessen?«

»Jetzt erinnere ich mich ...«, sagte Raskolnikow nach langem, mürrischem Schweigen. Rasumichin sah ihn besorgt mit gerunzelter Stirn an.

Die Tür ging auf, und herein trat ein großer, kräftiger Mann, der Raskolnikow schon irgendwie bekannt vorkam.

»Sossinow! Endlich!« rief Rasumichin erfreut.

Fußnoten

1 Koseform von Praskowja (so heißt die Wirtin).

D. Übers.

IV

Sossimow war ein großer, dicker Mann mit einem gedunsenen, farblos-blassen, glattrasierten Gesicht und hellblonden schlichten Haaren, mit einer Brille auf der Nase und einem großen goldenen Ring an einem vom Fett geschwollenen Finger. Er war an die siebenundzwanzig. Er trug einen weiten, eleganten, leichten Mantel und eine helle Sommerhose, und alles an ihm war weit, elegant und nagelneu; die Wäsche war tadellos und die Uhrkette massiv. Seine Gebärden waren langsam, beinahe träge, zugleich aber von einer genau berechneten Ungezwungenheit; Prätensionen, die er übrigens mit Mühe zu verbergen suchte, kamen jeden Augenblick zum Vorschein. Alle, die ihn kannten, hielten ihn für einen schwer zu behandelnden Menschen, sagten aber, daß er seine Sache verstehe.

»Ich bin zweimal bei dir gewesen, Bruder ... Siehst du, er ist zu sich gekommen!« rief Rasumichin.

»Ich sehe es, ich sehe es, nun, wie fühlen wir uns jetzt, he?« wandte sich Sossimow an Raskolnikow, indem er ihn aufmerksam betrachtete und sich zu ihm ans Fußende des Sofas setzte, wo er es sich sofort nach Möglichkeit bequem machte.

»Er fängt immer Grillen«, fuhr Rasumichin fort. »Als wir ihm eben die Wäsche wechselten, weinte er beinahe.«

»Es ist begreiflich; die Wäsche hätte man ihm auch später wechseln können, wenn er es verlangte. Der Puls ist ausgezeichnet. Der Kopf tut wohl immer noch etwas weh, wie?«

»Ich bin gesund, ich bin vollkommen gesund!« sagte Raskolnikow hartnäckig und gereizt, indem er sich plötzlich vom Sofa erhob und mit den Augen blitzte; gleich darauf fiel er wieder auf das Kissen zurück und wandte sich zur Wand. Sossimow beobachtete ihn aufmerksam.

»Sehr gut ... alles in Ordnung«, versetzte er träge. »Hat er was gegessen?«

Man berichtete es ihm und fragte, was man ihm geben dürfe.

»Alles kann man ihm geben ... Suppe, Tee ... Pilze und Gurken natürlich nicht; auch kein Fleisch und ... was ist da noch viel zu reden! ...« Er wechselte mit Rasumichin einen Blick. »Die Arznei fällt weg, und alles fällt weg; morgen schau ich nach ... Eigentlich hätte ich auch heute ... na, ja ...«

»Morgen abend führe ich ihn spazieren!« beschloß Rasumichin, »In den Jussupow-Garten, und dann gehen wir ins ›Palais de Cristal‹.«

»Morgen würde ich ihn noch in Ruhe lassen, doch übrigens ein wenig ... na, wir werden schon sehen.«

»So ärgerlich: gerade heute feiere ich meine Übersiedlung, es sind nur zwei Schritte von hier; wenn er doch auch zu mir kommen könnte! Er könnte wenigstens auf dem Sofa zwischen uns liegen! Und du, wirst du kommen?« wandte sich Rasumichin plötzlich an Sossimow. »Vergiß es nicht, du hast versprochen.«