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»Vielleicht, aber wahrscheinlich später. Was hast du hergerichtet?«

»Nichts besonderes: Tee, Schnaps, Hering. Eine Pastete wird es auch geben; es werden nur meine Freunde dabei sein.«

»Wer denn?«

»Lauter Hiesige und lauter Neue, – ausgenommen den alten Onkel, aber auch der ist neu: ist erst gestern nach Petersburg in irgendwelchen Angelegenheiten gekommen; wir sehen uns einmal in fünf Jahren.«

»Was ist er?«

»Er hat sein ganzes Leben als Postmeister in einer Kreisstadt vegetiert ... bekommt eine kleine Pension, ist fünfundsechzig Jahre alt, was soll ich noch viel erzählen ... Übrigens habe ich ihn gern. Auch Porfirij Ssemjonowitsch wird kommen, der Untersuchungsrichter dieses Bezirks ... hat die Hochschule für Rechtswissenschaft absolviert. Du kennst ihn ja ...«

»Ist er auch ein Verwandter von dir?«

»Ein ganz entfernter; warum rümpfst du die Nase? Weil ihr euch einmal gezankt habt, so wirst du vielleicht nicht kommen?«

»Ich pfeife auf ihn ...«

»Das ist auch das beste. Außerdem kommen Studenten, ein Lehrer, ein Beamter, ein Musiker, ein Offizier, Samjotow ...«

»Sag mir bitte, was kann es zwischen dir oder dem da«, Sossimow wies mit einer Kopfbewegung auf Raskolnikow, »und einem Samjotow Gemeinsames geben?«

»Ach, diese Überempfindlichen! Diese Prinzipien! ... du sitzt auf deinen Prinzipien wie auf Sprungfedern und wagst gar nicht, dich nach eigenem Willen zu rühren. Ich frage nur, ob der Mensch gut ist, – das ist mein Prinzip, und ich will nichts anderes hören. Samjotow ist ein Prachtmensch.«

»Und schert sein Schäfchen.«

»Ja, und schert sein Schäfchen, doch ich pfeife drauf: Was macht's, daß er sein Schäfchen schert?!« rief plötzlich Rasumichin unnatürlich gereizt. »Habe ich ihn dir deswegen gelobt, weil er sein Schäfchen schert? Ich habe nur gesagt, daß er in seiner Art gut ist! Wenn man einen jeden in jeder Beziehung genau betrachtet, – bleiben dann noch viele gute Menschen übrig? Ich bin überzeugt, daß man dann für mich mit meinem ganzen Gekröse höchstens eine gebackene Zwiebel geben wird, und das auch nur, wenn man dich als Zugabe kriegt! ...«

»Das ist zu wenig; ich gebe für dich auch zwei Zwiebeln ...«

»Aber ich für dich nur eine! Laß deine Witze! Samjotow ist noch ein grüner Junge, ich werde ihm noch oft die Haare raufen, denn man muß ihn zu gewinnen suchen und nicht abstoßen. Wenn man einen Menschen abstößt, so macht man ihn nicht besser, am wenigsten so einen grünen Jungen. Mit einem grünen Jungen muß man doppelt so vorsichtig sein. Ihr fortschrittlichen Schwachköpfe versteht gar nichts! Ihr achtet den Menschen nicht und beleidigt euch selbst ... und wenn du es durchaus wissen willst, so arbeiten wir jetzt an einer gemeinsamen Sache.«

»Das möchte ich gerne wissen.«

»Es ist immer noch die Sache mit dem Maler, das heißt, mit dem Anstreicher ... Wir werden ihn schon freikriegen! Übrigens ist er jetzt außer Gefahr. Die Sache ist nun ganz klar! Wir wollen bloß etwas nachschüren.«

»Was ist das für ein Anstreicher?«

»Wie, habe ich es denn noch nicht erzählt? Wirklich nicht? Ja, ich habe dir bloß den Anfang erzählt ... das von der Ermordung der alten Pfandleiherin, der Beamtenwitwe ... nun ist jetzt auch der Anstreicher verwickelt ...«

»Von diesem Morde habe ich schon früher gehört und interessiere mich sehr für diesen Fall ... teilweise ... aus einem gewissen Grunde ... habe auch in den Zeitungen darüber gelesen! Und nun ...«

»Auch die Lisaweta hat man ermordet!« platzte plötzlich Nastasja heraus, sich an Raskolnikow wendend.

Sie war die ganze Zeit über im Zimmer geblieben, in die Ecke neben der Tür gelehnt, und hatte zugehört.

»Lisaweta?« murmelte Raskolnikow kaum hörbar.

»Lisaweta, die Händlerin, kennst du sie nicht? Sie kam oft in die Wohnung unten. Hat dir auch mal ein Hemd ausgebessert.«

Raskolnikow wandte sich zur Wand, suchte sich auf der schmutzigen gelben Tapete mit den weißen Blümchen eine plumpe weiße Blume mit braunen Streifchen aus und begann sie zu studieren: wieviel Blätter sie habe, wie die Blätter gezackt und wieviel Streifchen da seien? Er fühlte, daß ihm die Arme und Beine erstarrt waren, als wären sie gelähmt, aber er versuchte nicht mal, sich zu rühren, und blickte hartnäckig auf die Blume.

»Also was ist mit dem Anstreicher?« unterbrach Sossimow mit einem eigentümlichen Mißvergnügen Nastasjas Geschwätz.

Jene seufzte und verstummte.

»Auch er ist unter die Mörder gekommen!« fuhr Rasumichin mit großem Feuer fort.

»Hat man irgendwelche Beweise?«

»Den Teufel auch, Beweise! Übrigens stützt man sich auf einen Beweis, doch der Beweis ist gar kein Beweis, und das soll jetzt nachgewiesen werden! Es ist genau so, wie man zuerst diese, wie heißen sie noch ... Koch und Pestrjakow verhaftet und verdächtigt hatte. Ekelhaft! Wie dumm wird das alles gemacht, selbst einen Unbeteiligten widert es an! Pestrjakow wird vielleicht heute auch zu mir kommen ... Rodja, du kennst übrigens die ganze Geschichte, sie passierte noch vor deiner Erkrankung, gerade einen Tag, bevor du im Polizeibureau ohnmächtig wurdest, als man dort darüber redete ...«

Sossimow blickte Raskolnikow neugierig an; jener rührte sich nicht.

»Weißt du was, Rasumichin? Wenn ich dich anschaue, muß ich staunen: wie du dich in alles hineinmischst«, bemerkte Sossimow.

»Mag sein, aber wir werden ihn doch freibekommen!« rief Rasumichin aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Weißt du, was mich daran am meisten ärgert? Nicht das, daß sie lügen; das Lügen kann man immer entschuldigen; das Lügen ist sogar sympathisch, denn es führt zur Wahrheit. Nein, ärgerlich ist, daß sie lügen und ihr eigenes Lügen vergöttern. Ich achte den Porfirij, aber ... Was hat sie zum Beispiel gleich am Anfang so konfus gemacht? Die Tür war verschlossen, als sie aber mit dem Hausknecht kamen, war sie offen; daraus folgt, daß Koch und Pestrjakow den Mord begangen haben. Das ist ihre ganze Logik.«

»Ereifere dich nicht so; man hat sie einfach festgenommen; es geht doch nicht anders ... Übrigens bin ich mit diesem Koch schon mal zusammengekommen; wie es sich herausstellte, pflegte er von der Alten die verfallenen Pfänder zu kaufen! Wie gefällt dir das?«

»Ja, er scheint ein Gauner zu sein! Er kauft auch Wechsel auf. So ein Industrieritter. Hol ihn der Teufel! Weißt du, worüber ich mich ärgere? Über ihre alte, banale, verschimmelte Routine ... Und doch kann man an diesem einen Fall einen ganz neuen Weg entdecken. Man kann auf Grund der psychologischen Daten allein zeigen, wie man die richtige Spur finden kann. ›Wir haben Tatsachen!‹ sagen sie. Die Tatsachen sind aber noch nicht alles; mindestens die Hälfte der Sache besteht darin, wie man mit diesen Tatsachen umzugehen versteht!«

»Nun, und verstehst du mit Tatsachen umzugehen?«

»Ja, man kann doch nicht schweigen, wenn man fühlt, ganz deutlich fühlt, daß man helfen könnte, wenn ... Ach, ja! Kennst du die Sache mit allen Einzelheiten?«

»Ich warte immer, daß du mir vom Anstreicher erzählst.«

»Ja, richtig. Hör also die Geschichte. Genau am dritten Tag nach dem Morde, am Morgen, als sie sich dort mit dem Koch und Pestrjakow abgaben – obwohl diese jeden ihrer Schritte nachgewiesen hatten, die Augenscheinlichkeit schreit zum Himmel! – erfährt man plötzlich eine ganz unerwartete Tatsache. Ein gewisser Bauer Duschkin, Besitzer einer Schenke im Hause gegenüber, kommt ins Polizeibureau, bringt ein Etui mit goldenen Ohrringen und erzählt einen ganzen Roman: ›Da kam zu mir gestern abend, so bald nach acht Uhr‹ – er gibt also Tag und Stunde an! merk sie dir! – ›ein Anstreicher, der auch schon früher untertags bei mir eingekehrt war, namens Mikolai und brachte mir diese Schachtel mit den goldenen Ohrringen und Steinen und bat mich, ihm zwei Rubel darauf zu leihen; und auf meine Frage, wo er es hergenommen hatte, erklärte er, er hätte es auf dem Trottoir gefunden. Mehr habe ich ihn darüber nicht ausgefragt‹ – das sagt dieser Duschkin! – ›ich gab ihm eine Banknote‹ – das heißt einen Rubel – ›denn ich sagte mir, wenn ich's nicht nehme, so versetzt er es bei wem anders, jedenfalls vertrinkt er es; soll die Sache besser bei mir liegen: je weiter man ein Ding versteckt, um so leichter kriegt man's wieder; wenn aber was geschieht oder Gerüchte aufkommen, so bring ich's zur Polizei.‹ Das war natürlich nur so ein Großmuttermärchen, er lügt wie ein Pferd; diesen Duschkin kenne ich ja: er ist selbst Pfandleiher und Hehler und hat diesen Gegenstand, der seine dreißig Rubel wert ist, dem Mikolai nicht dazu abgeschwindelt, um ihn an die Polizei abzuliefern. Er hat einfach Angst bekommen. Hol ihn der Teufel, hör weiter. Dieser Duschkin fährt also fort: ›Jenen Bauer Mikolai Dementjew kenne ich aber von Kind auf, er stammt aus dem gleichen Gouvernement und aus dem gleichen Saraisker Kreise, denn wir sind beide aus dem Rjasanschen. Mikolai ist zwar kein Säufer, trinkt aber ab und zu, und es war mir bekannt, daß er in diesem selben Hause mit dem Mitrej Anstreicherarbeiten machte, und Mitrej ist aus der gleichen Gegend wie er. Und als er die Banknote bekam, ließ er sie sich sofort wechseln, trank auf einmal zwei Gläschen, nahm den Rest und ging; den Mitrej habe ich aber damals mit ihm nicht gesehen. Und am nächsten Tage hörte ich, daß man die Aljona Iwanowna und ihre Schwester Lisaweta Iwanowna mit einer Axt erschlagen hat; ich habe sie gekannt, und da kamen mir Zweifel wegen der Ohrringe, denn es war mir bekannt, daß die Selige Geld gegen Pfänder auslieh. Ich ging zu ihnen ins Haus und fing an, vorsichtig auszuforschen; vor allen Dingen fragte ich, ob Mikolai da sei. Mitrej sagte mir, daß Mikolai zu bummeln angefangen habe; er sei bei Tagesanbruch betrunken heimgekommen, an die zehn Minuten zu Hause geblieben und dann wieder fortgegangen; Mitrej hätte ihn nicht mehr gesehen und die Arbeit allein fertiggemacht. Sie arbeiteten aber im ersten Stock an der gleichen Treppe, an der die Ermordeten wohnten. Nachdem ich dieses alles gehört hatte, sagte ich keinem Menschen etwas davon‹ – sagt Duschkin. ›Ich habe aber alles, was ich nur konnte, über den Mord erfahren und bin dann mit dem gleichen Zweifel heimgegangen. Und heute früh, um acht Uhr,‹ das heißt also auf den dritten Tag, verstehst du das? – ›kommt zu mir Mikolai; er ist nicht ganz nüchtern, doch auch nicht sehr betrunken, und versteht gut, was man zu ihm spricht. Er setzt sich auf eine Bank und schweigt. Außer ihm war aber damals in der Schenke ein einziger fremder Mann, und ein zweiter Mann, den ich kannte, schlief auf der Bank, und zwei von meinen Jungen waren dabei. – »Hast du den Mitrej gesehen?« frage ich ihn. »Nein,« sagt er, »ich habe ihn nicht gesehen.« »Warst du auch nicht hier?« – »Nein,« sagt er, »seit vorgestern war ich nicht mehr hier.« – »Und wo hast du heute übernachtet?« – »Auf den Pjeski,« sagt er, »bei Bekannten aus Kolomna.« – »Und wo hast du«, frage ich, »die Ohrringe hergenommen?« – »Auf dem Trottoir habe ich sie gefunden.« Dies sagt er so, daß ich ihm nicht recht glauben kann, auch sieht er mich nicht an. »Hast du gehört,« sage ich, »daß an jenem selben Abend und zur selben Stunde dies und dies geschehen ist?« – »Nein,« sagt er, »ich habs nicht gehört«, und er hört mit weit aufgerissenen Augen zu und ist plötzlich weiß wie Kreide. Während ich es ihm erzähle, sehe ich, wie er nach der Mütze greift. Da wollte ich ihn aufhalten. »Wart, Mikolai,« sage ich ihm, »trinkst du denn nichts?« Und ich gab dem Jungen einen Wink, daß er die Tür schließt, aber wie ich hinter dem Schanktische herauskomme, springt er auf und rennt auf die Straße und dann in die Quergasse und ist weg. Nun gab ich meinen Zweifel auf, denn es ist sicher sein Werk‹ ...«