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»Ist es denn möglich?« sagte er kaum hörbar.

Raskolnikow blickte ihn boshaft an.

»Gestehen Sie doch, daß Sie es geglaubt haben!« sagte er endlich kalt und spöttisch. »Ja? Doch – ja?«

»Durchaus nicht! Jetzt glaube ich es weniger als je!« antwortete Samjotow hastig.

»Nun haben Sie sich verschnappt! Man hat den kleinen Spatz gefangen. Sie haben es also vorher geglaubt, wenn Sie ›es jetzt weniger als je‹ glauben?«

»Nein, wirklich nicht!« rief Samjotow sichtlich verlegen. »Sie haben mir solche Angst gemacht, um mich darauf zu bringen!«

»Sie glauben es also nicht? Worüber haben Sie aber damals in meiner Abwesenheit gesprochen, als ich aus dem Bureau gegangen war? Warum hat mich Leutnant Pulver nach dem Ohnmachtsanfall vernommen? He, du!« rief er dem Kellner zu, aufstehend und seine Mütze ergreifend. »Was habe ich zu bezahlen?«

»Dreißig Kopeken im ganzen«, antwortete jener herbeieilend.

»Da hast du noch zwanzig Kopeken Trinkgeld. Das viele Geld!« wandte er sich an Samjotow und hielt ihm seine zitternde Hand mit den Banknoten hin: »Rote, blaue Scheine, fünfundzwanzig Rubel. Woher habe ich die? Und woher die neue Kleidung? Sie wissen doch, daß ich keine Kopeke hatte ... Meine Wirtin haben Sie doch schon sicher vernommen ... Nun genug! Assez causé! Auf Wiedersehen, auf angenehmes Wiedersehen! ...«

Er ging hinaus, am ganzen Leibe von einer wilden hysterischen Empfindung zitternd, in der aber auch etwas von einer unerträglichen Wollust lag, – übrigens finster und furchtbar müde. Seine Züge waren verzerrt wie nach einem Anfall. Seine Müdigkeit nahm rasch zu. Seine Kräfte erwachten, sie meldeten sich jetzt beim ersten Anstoß, beim ersten Reize, um dann ebenso schnell abzunehmen, in dem Maße, wie der Reiz abnahm.

Aber Samjotow saß, nachdem er allein geblieben war, lange nachdenklich auf dem gleichen Platz. Raskolnikow hatte ganz unerwartet seine Gedanken in dem bewußten Punkte umgestoßen, und er bildete sich nun seine endgültige Ansicht.

»Ilja Petrowitsch ist ein Narr!« stellte er endgültig fest.

Kaum hatte Raskolnikow die Tür zur Straße geöffnet, als er plötzlich auf der Schwelle mit dem eintretenden Rasumichin zusammenstieß. Sie hatten einander selbst vor einem Schritt noch nicht gesehen, so daß sie jetzt beinahe mit den Köpfen zusammenprallten. Eine Weile maßen sie sich mit den Blicken. Rasumichin war aufs höchste erstaunt, aber plötzlich flammte in seinen Augen Zorn, echter Zorn drohend auf.

»Hier bist du also!« schrie er aus vollem Halse. »Du bist aus dem Bette entlaufen! Ich habe ihn aber schon unter dem Sofa gesucht! Auf dem Dachboden haben wir nachgeschaut! Nastasja habe ich deinetwegen beinahe verprügelt ... Und er steckt hier! Rodjka! Was soll das bedeuten? Sag die Wahrheit? Gestehe! Hörst du!«

»Das soll bedeuten, daß ihr mich alle tödlich langweilt und daß ich allein sein will«, antwortete Raskolnikow ruhig.

»Allein sein? Wo du noch kaum gehen kannst, wo deine Visage weiß wie Leinwand ist und du so schwer keuchst. Dummkopf! Was hast du im ›Kristallpalast‹ gemacht? Gestehe sofort!«

»Laß mich!« sagte Raskolnikow und wollte an ihm vorbeigehen.

Das brachte Rasumichin ganz aus der Fassung; er packte ihn fest an der Schulter.

»Laß mich! Du wagst nach allem, was du getan hast, zu sagen ›laß mich?‹ Weißt du denn auch, was ich mit dir gleich tun werde? Ich packe dich, binde dich zu einem Knoten zusammen, trage dich unter dem Arm nach Hause und sperre dich ein!«

»Hör mal, Rasumichin,« fing Raskolnikow leise und anscheinend ganz ruhig an, »siehst du denn nicht, daß ich deine Wohltaten nicht will? Und was ist das für ein Vergnügen, einem Wohltaten zu erweisen, der ... darauf spuckt? Einem, schließlich, der es wirklich nicht ertragen kann? Sag, wozu hast du mich gleich bei Beginn meiner Krankheit aufgesucht? Vielleicht wäre ich froh, zu sterben! Habe ich dir denn heute wenig gezeigt, daß du mich quälst, daß ich dich satt habe! Was ist es für ein Vergnügen, einen Menschen so zu quälen! Ich versichere dir, daß dies alles meiner Genesung ernstlich im Wege steht, weil es mich unaufhörlich aufregt. Sossimow ist doch vorhin weggegangen, um mich nicht aufzuregen! Laß mich doch um Gottes willen in Ruhe! Und was hast du schließlich für ein Recht, mich mit Gewalt zurückzuhalten? Siehst du denn jetzt nicht, daß ich bei vollem Verstande spreche? Womit, belehre mich doch, womit soll ich dich endlich erweichen, daß du mich mit deinen Wohltaten in Ruhe läßt? Mag ich undankbar sein, mag ich gemein sein, aber laßt doch um Gottes willen von mir ab ... Laßt mich in Ruhe! Laßt mich in Ruhe!«

Er hatte ganz ruhig angefangen und sich im voraus über das ganze Gift gefreut, das er ergießen wollte, endete aber keuchend vor Raserei, wie vorhin, als er Luschin vor sich hatte.

Rasumichin stand eine Weile da, überlegte und ließ seine Hand los.

»Scher dich zum Teufel!« sagte er leise, beinahe nachdenklich. »Halt!« schrie er plötzlich, als Raskolnikow sich vom Platze rührte. »Hör, was ich dir sage. Ich erkläre dir, daß ihr alle ohne Ausnahme Schwätzer und Aufschneider seid! Wenn Ihr mal einen kleinen Schmerz habt, macht ihr so viel Aufhebens wie die Henne mit dem Ei! Und dabei plagiiert ihr fremde Autoren. Ihr habt keine Spur von einem selbständigen Leben! Aus Spermacetsalbe seid ihr alle gemacht und habt statt Blut – Molke! Keinem von euch glaube ich! Eure erste Sorge unter allen Umständen ist, möglichst wenig einem Menschen zu gleichen! Ha-alt!« rief er mit doppelter Wut, als er merkte, daß Raskolnikow wieder Anstalten machte, wegzugehen. »Hör mich zu Ende! Du weißt, heute kommen Leute zu mir, um mit mir meine neue Wohnung einzuweihen; vielleicht sind sie schon gekommen, aber ich habe dort meinen Onkel zurückgelassen – ich war eben auf einen Sprung dort –, um die Gäste zu empfangen. Wenn du also kein Dummkopf wärest, kein gemeiner Dummkopf, kein Idiot, keine Übersetzung aus dem Ausländischen ... siehst du, Rodja, ich gebe zu, du bist ein gescheiter Bursche, aber ein Dummkopf! – wenn du also kein Dummkopf wärest, so würdest du heute abend lieber zu mir kommen und bei mir ein Stündchen verbringen, als dir die Sohlen ablaufen. Wenn du schon mal ausgegangen bist, so ist nichts zu machen! Ich würde dir so einen weichen Sessel heranrollen, die Wirtsleute haben einen ... Tee und Gesellschaft ... Und wenn es dir nicht paßt, so lege ich dich aufs Sofa hin, – dann liegst du immerhin unter uns ... Auch Sossimow kommt. Wirst du kommen?«

»Nein.«

»Unsinn!« rief Rasumichin ungeduldig aus. »Woher weißt du das? Du kannst für dich nicht garantieren! Gar nichts verstehst du davon ... Tausendmal habe ich mich mit Menschen ebenso verzankt und bin doch immer wieder zu ihnen zurückgekehrt ... Man schämt sich und kehrt zum Menschen zurück! Merk es dir also: Haus Potschinkow, zweiter Stock ...«

»Dann werden Sie, Herr Rasumichin, vielleicht auch jemand gestatten, Sie zu schlagen, nur um jenem die Wohltat zu erweisen?!«

»Wen? Mich! Schon für den bloßen Einfall schraube ich einem die Nase ab! Haus Potschinkow, Nr. 47, Wohnung des Beamten Babuschkin ...«

»Ich komme nicht, Rasumichin!« Raskolnikow wandte sich um und ging.

»Ich wette, daß du kommst!« schrie ihm Rasumichin nach. »Sonst bist du ... sonst will ich von dir nichts mehr wissen! Halt, hallo! Ist Samjotow hier?«

»Ja.«

»Hast ihn gesehen?«

»Ja.«

»Und gesprochen?«

»Ja.«

»Worüber? Nun, hol dich der Teufel, kannst es mir auch nicht sagen. Haus Potschinkow, 47, bei Babuschkin, merk es dir.«

Raskolnikow ging bis zur Ssadowaja und bog um die Ecke. Rasumichin sah ihm nachdenklich nach. Endlich fuhr er mit der Hand durch die Luft und trat ins Haus, blieb aber auf der Mitte der Treppe stehen.

»Hol der Teufel!« fuhr er fort, beinahe laut. »Er spricht vernünftig, und doch macht er den Eindruck ... Ich bin aber auch ein Dummkopf! Sprechen denn nicht auch die Verrückten vernünftig? Sossimow scheint aber gerade das zu befürchten!« Er schlug sich mit dem Finger an die Stirne. »Nun, und wenn ... wie kann man ihn jetzt nur allein gehen lassen? Er wird sich noch ertränken ... Ach, ich habe mich blamiert! Das geht nicht!« Und er lief zurück, um Raskolnikow einzuholen, jener war aber schon verschwunden.