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»Dunja,« fuhr Raskolnikow mit Mühe fort, »ich wünsche diese Ehe nicht, und darum mußt du gleich morgen beim ersten Wort dem Luschin absagen, damit wir ihn nicht mehr riechen!«

»Mein Gott!« rief Pulcheria Alexandrowna aus.

»Bruder, überlege dir, was du sagst!« begann Awdotja Romanowna auffahrend, beherrschte sich aber gleich wieder. »Vielleicht bist du jetzt nicht imstande, bist müde«, sagte sie sanft.

»Im Fieber? Nein ... Du heiratest den Luschin nur um meinetwillen. Ich nehme aber das Opfer nicht an. Schreibe ihm darum morgen einen Brief ... mit einer Absage ... Morgen früh gibst du ihn mir zu lesen, und die Sache ist erledigt!«

»Ich kann es nicht tun!« rief das junge Mädchen gekränkt: »Mit welchem Recht ...«

»Dunjetschka, auch du bist hitzig, hör auf, morgen ... Siehst du denn nicht ...« rief die Mutter erschrocken, sich zu Dunja stürzend. »Ach, gehen wir lieber fort!«

»Er phantasiert!« rief der betrunkene Rasumichin. »Wie würde er es sonst wagen! Morgen ist dieser ganze Unsinn aus seinem Kopfe weg ... Heute hat er ihn tatsächlich hinausgeworfen. Das war wirklich so. Nun wurde jener böse ... Er hat hier Reden geschwungen, mit seinem Wissen geprahlt und ist schließlich mit eingezogenem Schwanz abgezogen ...«

»So ist es wirklich wahr?« rief Pulcheria Alexandrowna.

»Bis auf morgen, Bruder«, sagte Dunja mitleidsvoll. »Wollen wir gehen, Mamachen ... Leb wohl, Rodja!«

»Hör, Schwester«, sagte er ihr wieder, seine letzten Kräfte zusammennehmend: »ich phantasiere nicht; diese Ehe ist eine Gemeinheit. Mag ich ein Schuft sein, du darfst es aber nicht! ... nur einer von beiden ... und wenn ich auch ein Schuft bin, so werde ich eine solche Schwester nicht als Schwester anerkennen. Entweder ich oder Luschin! Geht ...«

»Du bist ja verrückt geworden! Despot!« brüllte Rasumichin, aber Raskolnikow antwortete nicht, war vielleicht auch gar nicht imstande, zu antworten. Er legte sich aufs Sofa und wandte sich völlig erschöpft zur Wand. Awdotja Romanowna blickte Rasumichin neugierig an; ihre schwarzen Augen funkelten; Rasumichin fuhr unter diesem Blicke sogar zusammen. Pulcheria Alexandrowna stand wie vom Blitz getroffen da.

»Ich kann doch unmöglich weggehen!« flüsterte sie fast verzweifelt Rasumichin zu. »Ich bleibe hier, irgendwo ... begleiten Sie Dunja nach Hause.«

»Sie verderben die ganze Sache«, antwortete Rasumichin außer sich, gleichfalls flüsternd. »Gehen wir wenigstens auf die Treppe hinaus. Nastasja, leuchte uns! Ich schwöre Ihnen,« fuhr er halblaut auf der Treppe fort, »er hat vorhin mich und den Arzt beinahe verprügelt! Verstehen Sie das? Den Arzt selbst! Und jener gab ihm nach, um ihn nicht zu reizen, und ging fort, ich aber blieb unten, um aufzupassen. Nun hat er sich angekleidet und ist durchgebrannt. Er wird auch jetzt durchbrennen, wenn Sie ihn reizen werden, bei Nacht, und wird sich etwas antun ...«

»Ach, was sagen Sie?«

»Auch kann Awdotja Romanowna unmöglich allein ohne Sie in diesen möblierten Zimmern bleiben. Bedenken Sie doch, wo Sie abgestiegen sind, als hätte dieser Schuft, Pjotr Petrowitsch keine bessere Wohnung für Sie finden können! Übrigens, wissen Sie, ich bin ein wenig betrunken und habe darum ... geschimpft; beachten Sie nicht ...«

»Ich gehe aber zur Wirtin«, bestand Pulcheria Alexandrowna auf ihrem Willen, »und will sie anflehen, mir und Dunja irgendeinen Platz für diese Nacht zu geben. Ich kann ihn nicht so zurücklassen, ich kann es nicht!«

Als sie so sprachen, standen sie draußen auf dem Treppenabsatz vor der Tür zur Wohnung der Wirtin, Nastasja leuchtete ihnen von der letzten Stufe herab. Rasumichin war in ungewöhnlicher Erregung. Vor einer halben Stunde, als er Raskolnikow nach Hause begleitete, war er zwar übermäßig gesprächig, dessen er sich auch bewußt war, dabei aber vollkommen munter und beinahe frisch, trotz der ungeheuren Menge des von ihm ausgetrunkenen Weines. Sein jetziger Zustand glich aber einer Ekstase, und zugleich stieg ihm der ganze Wein mit doppelter Kraft auf einmal in den Kopf. Er stand mit den beiden Damen, hielt sie beide an den Händen fest, redete ihnen zu, drückte ihnen, während er seine Gründe mit erstaunlicher Offenheit darlegte, die Hände bei jedem Wort so fest zusammen, daß es ordentlich wehtat, und verschlang dabei, ohne sich im geringsten zu genieren, Awdotja Romanowna mit den Augen. Vor Schmerz versuchten sie ab und zu ihre Hände seiner großen knochigen Hand zu entreißen, sobald er aber die Absicht merkte, zog er sie noch fester zu sich heran. Wenn sie ihm jetzt befohlen hätten, kopfüber von der Treppe hinunterzuspringen, um ihnen damit einen Dienst zu erweisen, so hätte er es, ohne zu überlegen und ohne zu zweifeln, getan. Pulcheria Alexandrowna, ganz aufgeregt vom Gedanken an ihren Rodja, fühlte zwar, daß der junge Mann allzu exzentrisch sei und ihre Hand viel zu stark drücke, doch da er für sie die Vorsehung war, wollte sie alle diese exzentrischen Einzelheiten nicht beachten. Trotz der gleichen Aufregung und obwohl sie nicht zu den Angstlichen zählte, beobachtete Awdotja Romanowna erstaunt und sogar fast erschrocken die in wildem Feuer brennenden Blicke des Freundes ihres Bruders, und nur das grenzenlose Vertrauen, das sie aus den Berichten Nastasjas über diesen schrecklichen Menschen geschöpft hatte, hielt sie davon ab, von ihm wegzulaufen und die Mutter mit sich mitzuziehen. Sie verstand auch, daß es ihnen vielleicht nicht mehr möglich war, vor ihm zu fliehen. Nach zehn Minuten wurde sie aber schon bedeutend ruhiger: Rasumichin hatte die Fähigkeit, sich in jedem Zustand, in dem er sich befand, gleich in seinem wahren Lichte zu zeigen, und so sahen sie sehr bald, mit wem sie es zu tun hatten.

»Zu der Wirtin geht es nicht, und es ist ein furchtbarer Unsinn!« schrie er, indem er Pulcheria Alexandrowna zu überreden suchte. »Obwohl Sie seine Mutter sind, bringen Sie ihn doch zur Raserei, wenn Sie hier bleiben, und dann kann weiß der Teufel was werden! Hören Sie, ich will folgendes tun: einstweilen wird bei ihm Nastasja sitzen, und ich begleite Sie beide nach Hause, denn Sie können unmöglich allein durch die Straße gehen: bei uns in Petersburg ist es in dieser Beziehung ... Na, ich spucke drauf! ... Dann laufe ich sofort von Ihnen her und bringe Ihnen in einer Viertelstunde, mein Ehrenwort drauf, den Bericht, wie es ihm geht, ob er schläft, usw. Dann, hören Sie, dann laufe ich von Ihnen sofort zu mir nach Hause – dort habe ich Gäste sitzen, sie sind alle betrunken – ich nehme Sossimow mit – es ist der Arzt, der ihn behandelt, er sitzt jetzt bei mir und ist nicht betrunken; der ist niemals betrunken! – Ich schleppe ihn zu Rodja und komme dann gleich wieder zu Ihnen; so erhalten Sie in einer Stunde zwei Berichte über ihn – auch vom Arzt, verstehen Sie, vom Arzt selbst, und das ist doch etwas ganz anderes als von mir! Wenn es schlecht geht, so schwöre ich Ihnen, daß ich Sie zu ihm herbringe, und wenn es gut geht, können Sie sich schlafen legen. Ich aber bleibe die ganze Nacht hier im Flur, er wird es gar nicht hören; den Sossimow werde ich aber zwingen, bei der Wirtin zu nächtigen, damit er gleich zur Hand sei. Nun, wen braucht er jetzt notwendiger, Sie oder den Arzt? Der Arzt ist doch wichtiger, wichtiger. Gehen Sie also nach Hause! Zu der Wirtin ist es ganz unmöglich; mir ist es möglich, Ihnen aber nicht – sie wird Sie nicht hereinlassen, weil ... weil sie dumm ist ... Sie wird auf Awdotja Romanowna eifersüchtig sein, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, und auch auf Sie ... Auf Awdotja Romanowna auf jeden Fall. Sie hat einen vollkommen – vollkommen unberechenbaren Charakter! Übrigens bin auch ich dumm ... Ich spucke drauf! Gehen wir! Vertrauen Sie mir? Nun, vertrauen Sie mir oder nicht?«

»Gehen wir, Mamachen«, sagte Awdotja Romanowna. »Er wird es sicher so machen, wie er versprochen hat. Er hat den Bruder schon einmal lebendig gemacht, und wenn es wahr ist, daß der Arzt wirklich bereit ist, hier zu nächtigen, so kann man sich doch wirklich nichts Besseres wünschen!«