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Die schrecklichste Erinnerung war für ihn, daß er sich gestern als »niedrig und gemein« gezeigt hatte, nicht nur weil er betrunken war, sondern auch weil er vor dem jungen Mädchen, deren Lage er ausnutzte, aus dümmster voreiliger Eifersucht ihren Bräutigam beschimpft hatte, ohne ihre gegenseitigen Beziehungen und Verpflichtungen, ohne sogar den Menschen selbst richtig zu kennen. Welches Recht hatte er auch, so vorschnell und übereilt über ihn zu urteilen? Wer hat ihn zum Richter berufen? Ist denn so ein Geschöpf wie Awdotja Romanowna imstande, sich einem unwürdigen Menschen für Geld hinzugeben? Also muß er auch Vorzüge haben. Die möblierten Zimmer? Ja, woher hätte er auch wissen sollen, daß es solche Zimmer sind? Er richtet doch auch eine Wohnung ein ... pfui, wie gemein war das! Und was ist das für eine Entschuldigung, daß er damals betrunken war? Eine dumme Ausrede, die ihn noch mehr herabsetzte! Im Weine hat sich wirklich die Wahrheit gezeigt, nämlich: »Der ganze Schmutz seines neidischen rohen Herzens!« Und ist denn solch ein Gedanke ihm, Rasumichin, überhaupt erlaubt? Wer ist er im Vergleich mit diesem jungen Mädchen, er, der betrunkene Skandalmacher und gestrige Aufschneider? »Ist denn eine solche zynische und lächerliche Nebeneinanderstellung überhaupt möglich?« Rasumichin errötete furchtbar bei diesem Gedanken, und im gleichen Augenblick fiel es ihm plötzlich ein, daß er ihnen gestern auf der Treppe gesagt hatte, die Wirtin würde seinetwegen auf Awdotja Romanowna eifersüchtig sein ... das war schon ganz unerträglich. Er schlug aus aller Kraft mit der Faust auf den Küchenherd, verletzte sich die Hand und schlug einen Ziegelstein heraus.

»Natürlich«, sagte er sich nach einer Minute mit einem eigentümlichen Gefühl von Selbsterniedrigung, »alle diese Gemeinheiten kann ich jetzt nicht mehr beschönigen oder wiedergutmachen ... also darf ich daran nicht mal denken, muß vielmehr schweigend hingehen und ... meine Pflicht tun ... ebenfalls schweigend und ... und nicht um Entschuldigung bitten und nichts sagen und ... und natürlich ist jetzt alles verloren!«

Trotzdem untersuchte er beim Ankleiden seinen Anzug sorgfältiger als gewöhnlich. Andere Kleider hatte er nicht, und wenn er auch welche gehabt hätte, so hätte er sie vielleicht gar nicht angezogen, »absichtlich nicht«. Aber Zyniker und Schmutzfink durfte er keineswegs bleiben: er hatte kein Recht, die Gefühle anderer zu verletzen, um so mehr, als diese anderen seiner benötigten und ihn selbst zu sich riefen. Er reinigte seinen Anzug sorgfältig mit einer Bürste. Seine Wäsche war immer erträglich; in dieser Beziehung war er besonders reinlich.

An diesem Morgen wusch er sich auch besonders sorgfältig – bei Nastasja fand sich ein Stück Seife –, er wusch sich den Kopf, den Hals und besonders die Hände. Als er aber vor der Frage stand, ob er sich auch seine Borsten rasieren sollte oder nicht (Praskowja Pawlona hatte ausgezeichnete Rasiermesser, die vom verstorbenen Herrn Sarnizyn geblieben waren), so entschied er diese Frage, sogar mit Wut, im negativen Sinne: »Soll es nur so bleiben! Sie werden noch glauben, ich hätte mich rasiert, um ... ja, sie werden es gewiß glauben! Nein, um nichts in der Welt!« –

Und ... und die Hauptsache ist, daß er so roh und schmutzig ist und Wirtshausmanieren hat; er weiß zwar, daß er ein einigermaßen anständiger Mensch ist ... aber kann man denn damit prahlen, daß man ein anständiger Mensch ist? Jeder Mensch muß anständig sein und noch mehr als er, und ... und er hat auch einiges (er weiß es noch) auf dem Gewissen ... nicht daß es etwas Unehrenhaftes wäre, aber immerhin! ... Und was er bloß für Gedanken gehabt hat! Hm! ... Und wenn er dabei an Awdotja Romanowna denkt! Na, zum Teufel damit ... Soll es nur so bleiben! – »Ich will absichtlich so schmutzig und schmierig sein und nach dem Wirtshaus riechen, ich spucke drauf! Und ich will es noch mehr sein!« ...

Bei solchen Monologen traf ihn Sossimow an, der im Gastzimmer Praskowja Pawlownas übernachtet hatte.

Er war eben im Begriff, nach Hause zu gehen, und wollte vor dem Weggehen nach dem Kranken schauen. Rasumichin berichtete ihm, daß jener wie ein Murmeltier schlafe. Sossimow ordnete an, daß man ihn nicht wecke, bis er selbst aufwache. Gegen elf Uhr wollte er wiederkommen.

»Wenn er nur zu Hause bleibt«, fügte er hinzu. »Pfui Teufel! Selbst über meinen Patienten habe ich keine Gewalt, und da soll ich ihn noch behandeln. Weißt du nicht, wird er zu ihnen gehen, oder werden sie herkommen?«

»Ich glaube, sie werden herkommen«, antwortete Rasumichin, der den Sinn der Frage erriet. »Ich werde fortgehen. Du als Arzt hast natürlich mehr Rechte als ich.«

»Auch ich bin doch kein Beichtvater; ich werde kommen und gleich wieder weggehen; auch ohne sie habe ich genug zu tun.«

»Eines macht mir nur Sorge«, unterbrach ihn Rasumichin düster. »Gestern habe ich ihm im Rausche auf dem Wege hierher allerlei Dummheiten ausgeplaudert ... verschiedenes ... unter anderem deine Befürchtung, daß er ... zum Wahnsinn neige ...«

»Auch den Damen hast du es gestern ausgeplaudert.«

»Ich weiß, daß es dumm ist! Du kannst mich schlagen. Hast du wirklich einen bestimmten Gedanken darüber gehabt?«

»Ich sage doch, daß es Unsinn ist! Was für einen bestimmten Gedanken? Du hast ihn mir doch selbst als einen Monomanen geschildert, als du mich zu ihm führtest ... Nun, und gestern haben wir diesen Verdacht noch mehr geschürt, eigentlich du, mit diesen Erzählungen ... von dem Anstreicher; das war ein schönes Gespräch, wenn er vielleicht wirklich deswegen verrückt geworden ist! Wenn ich nur sicher wüßte, was damals im Polizeibureau geschehen ist und daß ihn dort irgendeine Kanaille mit ihrem Verdacht beleidigt hat! Hm! ... dann hätte ich gestern solch ein Gespräch nicht geduldet. Diese Monomanen machen doch aus einem Tropfen einen Ozean und sehen jeden Unsinn leibhaftig vor sich ... Soweit ich mich erinnere, war mir gestern aus der Erzählung Samjotows die Hälfte der Sache klar geworden. Aber was hat das zu sagen! Ich kenne einen Fall, wo ein vierzigjähriger Mann, ein Hypochonder, der es nicht ertragen konnte, daß ein achtjähriger Junge sich über ihn bei Tisch täglich lustig machte, ihn ermordete! Hier aber: sein zerlumpter Zustand, die Frechheit des Revieraufsehers, die beginnende Krankheit und dazu dieser Verdacht! Und das sagt man einem rasenden Hypochonder! Bei seiner wahnsinnigen außergewöhnlichen Eitelkeit! Hier sitzt vielleicht gerade der Ausgangspunkt der ganzen Krankheit! Na, hol's der Teufel! Dieser Samjotow ist übrigens wirklich ein netter Junge, aber hm! ... es war ganz unnötig, daß er es gestern erzählte. Ein furchtbarer Schwätzer!«

»Wem hat er es denn erzählt? Doch nur mir und dir!«

»Und dem Porfirij.«

»Was macht das, daß er es auch Porfirij erzählt hat?«

»Übrigens, hast du irgendeinen Einfluß auf jene, ich meine auf seine Mutter und Schwester? Sie müßten ihn heute vorsichtiger behandeln ...«

»Sie werden sich schon einigen!« antwortete Rasumichin unwillig.

»Warum ist er nur so über Luschin hergefallen? Der Mensch hat doch Geld und ist ihr anscheinend gar nicht zuwider ... sie haben wohl keinen Heller? Wie?«

»Was fragst du mich so aus?« rief Rasumichin gereizt. »Woher soll ich wissen, ob sie einen Heller haben oder nicht? Frag sie selbst, vielleicht wirst du es erfahren.«

»Pfui, wie dumm du zuweilen bist! Der gestrige Rausch sitzt dir noch im Kopfe ... Auf Wiedersehen; bedanke dich in meinem Namen bei deiner Praskowja Pawlowna für das Nachtquartier. Sie hat sich eingeschlossen, hat auf mein ›Guten Morgen‹ durch die Tür nicht geantwortet, war aber schon um sieben Uhr aufgestanden; man hatte ihr den Samowar aus der Küche durch den Korridor gebracht ... Ich bin nicht für würdig befunden worden, ihr Antlitz zu schauen ...«