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»Er hat mir nie etwas über diese Geschichte erzählt,« antwortete Rasumichin vorsichtig, »aber ich habe manches von der Frau Sarnizyna selbst gehört, die in ihrer Art auch wenig gesprächig ist, und was ich gehört habe, mutet vielleicht sogar etwas seltsam an ...«

»Aber was, was haben Sie gehört?« fragten beide Frauen zugleich.

»Es ist übrigens nichts Besonderes. Ich erfuhr nur, daß diese Heirat, die endgültig beschlossen war und nur infolge des Todes der Braut nicht zustande kam, der Frau Sarnizyna selbst sehr gegen den Strich ging ... Außerdem sagt man, daß die Braut sehr unschön, das heißt sogar ausgesprochen häßlich gewesen sei ... und kränklich, und ... und so sonderbar ... übrigens, glaube ich nicht ohne gewisse Vorzüge. Sie muß sicher irgendwelche Vorzüge gehabt haben, sonst wäre es nicht möglich, zu verstehen ... Eine Mitgift hatte sie nicht, er würde auch nicht auf eine Mitgift rechnen ... Es ist überhaupt schwer, in solch einer Sache zu urteilen.«

»Ich bin überzeugt, daß sie ein würdiges junges Mädchen war«, bemerkte Awdotja Romanowna kurz.

»Gott verzeih es mir, aber ich freute mich damals über ihren Tod, obwohl ich nicht weiß, wer von den beiden den anderen zugrunde gerichtet hätte: er sie, oder sie ihn?« schloß Pulcheria Alexandrowna. Dann begann sie vorsichtig, mit Pausen, jeden Augenblick Dunja anblickend, was jener offenbar unangenehm war, Rasumichin wieder über den gestrigen Auftritt zwischen Rodja und Luschin auszufragen.

Dieser Vorfall machte ihr, wie man sehen konnte, die größten Sorgen, so daß sie fast vor Angst zitterte. Rasumichin erzählte die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten wieder, fügte aber diesmal auch sein eigenes Urteil hinzu: er beschuldigte Raskolnikow direkt, daß er Pjotr Petrowitsch mit Absicht gekränkt habe, und entschuldigte ihn diesmal sehr wenig durch seine Krankheit.

»Er hat es noch vor seiner Krankheit beschlossen«, fügte er hinzu.

»Das ist auch meine Meinung«, sagte Pulcheria Alexandrowna tief bekümmert.

Diesmal war sie aber sehr überrascht, daß Rasumichin sich so vorsichtig und sogar anscheinend mit Achtung über Pjotr Petrowitsch geäußert hatte. Dies überraschte auch Awdotja Romanowna.

»Sie sind also dieser Meinung von Pjotr Petrowitsch?« Pulcheria Alexandrowna konnte sich nicht enthalten, diese Frage zu stellen.

»Über den künftigen Mann Ihrer Tochter kann ich keiner anderen Meinung sein«, antwortete Rasumichin fest und überzeugt. »Und das sage ich nicht aus banaler Höflichkeit, sondern weil ... weil ... nun schon aus dem Grunde allein, weil Awdotja Romanowna diesen Menschen selbst und freiwillig ihrer Wahl würdigte. Und wenn ich ihn gestern so beschimpft habe, so doch nur, weil ich blödsinnig betrunken war und auch ... verrückt; ja, verrückt, meiner Sinne nicht mächtig, vollständig wahnsinnig ... und heute schäme ich mich dessen! ...«

Er errötete und verstummte. Auch Awdotja Romanowna errötete, unterbrach aber nicht das Schweigen. Seitdem man über Luschin zu sprechen angefangen hatte, hatte sie noch kein Wort gesagt.

Pulcheria Alexandrowna befand sich ohne die Unterstützung seitens der Tochter offenbar in Verlegenheit. Schließlich erklärte sie, stotternd und ständig nach der Tochter blickend, daß ein gewisser Umstand sie jetzt außerordentlich beunruhige.

»Sehen Sie, Dmitrij Prokofjitsch«, fing sie an. »Ich werde mit Dmitrij Prokofjitsch ganz offen sein, nicht wahr, Dunjetschka?«

»Natürlich, Mamachen«, antwortete Awdotja Romanowna mit Nachdruck.

»Es handelt sich um folgendes«, beeilte sie sich, als hätte man ihr durch die Erlaubnis, von ihrem Kummer zu sprechen, eine schwere Last vom Herzen genommen. »Heute in aller Frühe erhielten wir von Pjotr Petrowitsch ein Billett als Antwort auf unsere gestrige Mitteilung über unsere Ankunft. Sehen Sie, er sollte uns gestern, wie er es versprochen, auf dem Bahnhofe erwarten. Statt dessen schickte er auf den Bahnhof einen Diener mit der Adresse dieser möblierten Zimmer und um uns den Weg zu zeigen; Pjotr Petrowitsch ließ aber sagen, daß er heute früh uns hier aufsuchen würde. Statt dessen kam heute früh von ihm dieses Billett ... Es ist das beste, wenn Sie es selbst lesen; es ist ein Punkt dabei, der mir große Sorge macht ... Sie werden gleich selbst sehen, was das für ein Punkt ist, und sagen Sie mir Ihre aufrichtige Meinung, Dmitrij Prokofjitsch! Sie kennen besser als alle den Charakter Rodjas und können uns darum besser als alle raten. Ich will Ihnen im voraus sagen, daß Dunjetschka ihren Entschluß schon gefaßt hat, gleich vom ersten Schritt an; aber ich weiß noch nicht, was ich tun soll und ... und habe darum Sie erwartet.«

Rasumichin entfaltete das mit dem gestrigen Datum versehene Billett und las folgendes:

»Sehr geehrte gnädige Frau, Pulcheria Alexandrowna, ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich infolge plötzlich eingetretener Hindernisse Sie nicht auf dem Bahnhofe habe empfangen können und deshalb zu diesem Zweck einen sehr gewandten Menschen hinschickte. Ebenso muß ich auf die Ehre, Sie morgen früh zu sehen, verzichten, weil ich unaufschiebbare Angelegenheiten im Senat zu erledigen habe und Ihre verwandtschaftliche Zusammenkunft mit Ihrem Sohn und Awdotja Romanownas mit ihrem Bruder nicht stören möchte. Ich werde mir aber die Ehre nehmen, Sie spätestens morgen, Punkt acht Uhr abends in Ihrer Wohnung aufzusuchen, wobei ich mir erlaube, dem eine inständige und, ich möchte sagen, dringende Bitte hinzuzufügen, daß Rodion Romanowitsch bei unserer gemeinsamen Begegnung nicht mehr anwesend sei, da er mich bei meinem gestrigen Krankenbesuch bei ihm in einer beispiellosen und sehr kränkenden Weise beleidigt hat und da ich außerdem mit Ihnen eine notwendige und ausführliche Aussprache über einen gewissen Punkt haben möchte, über den ich Ihre eigene Meinung hören will. Ich habe die Ehre, Ihnen im voraus mitzuteilen, daß ich, falls ich entgegen meiner Bitte, Rodion Romanowitsch antreffe, genötigt sein werde, mich sofort zurückzuziehen, und die Folgen können Sie sich dann selbst zuschreiben. Ich schreibe Ihnen dies in der Voraussetzung, daß Rodion Romanowitsch, der bei meinem Besuche so schwer krank zu sein schien, aber nach zwei Stunden plötzlich gesund geworden ist, folglich auch ausgehen und zu Ihnen kommen kann. Davon habe ich mich mit meinen eigenen Augen in der Wohnung eines von Pferden überfahrenen Trunkenboldes überzeugt, der an diesen Verletzungen auch gestorben ist und dessen Tochter, einem Mädchen von verrufenem Lebenswandel, er unter dem Vorwande, daß es für die Beerdigung sein solle, einen Betrag von etwa fünfundzwanzig Rubel ausgehändigt hat, was mich sehr überraschte, da ich weiß, mit welcher Mühe Sie diese Summe aufgetrieben haben. Indem ich hierbei meine besondere Hochachtung der verehrten Awdotja Romanowna ausspreche, bitte ich Sie, den Ausdruck meiner achtungsvollen Ergebenheit entgegenzunehmen.

Ihr ergebenster Diener

P. Luschin.«

»Was soll ich jetzt machen, Dmitrij Prokofjewitsch?« begann Pulcheria Alexandrowna fast weinend. »Wie kann ich Rodja bitten, nicht zu kommen. Er hat gestern so eindringlich darauf bestanden, daß wir Pjotr Petrowitsch absagen, und nun verlangt jener, daß wir ihn selbst nicht empfangen? Er wird ja absichtlich kommen, wenn er es erfährt, und ... was wird dann geschehen?«

»Machen Sie es so, wie Awdotja Romanowna beschlossen hat«, antwortete Rasumichin ruhig und sofort.

»Ach, mein Gott! Sie sagt ... Sie sagt, Gott weiß was, und erklärt mir nicht den Zweck! Sie sagt, es würde besser sein, das heißt nicht besser, aber es sei aus irgendeinem Grunde dringend notwendig, daß auch Rodja unbedingt heute um acht Uhr herkäme und daß sie sich beide hier träfen ... Ich aber hatte die Absicht, ihm diesen Brief gar nicht zu zeigen, sondern es irgendwie durch Ihre Vermittlung so einzurichten, daß er nicht käme ... denn er ist so reizbar ... Ich verstehe auch gar nicht, was für ein Trunkenbold dort gestorben ist, und was für eine Tochter, und wie er dieser Tochter sein letztes Geld hat hergeben können ... das Geld, das ...«