Выбрать главу

»Ich hab sie dir schon gegeben, hast du es vergessen?« antwortete Dunja, sich freundlich und linkisch zu ihm umwendend.

»Nun, was macht's, gib sie mir noch einmal!«

Und er drückte ihre Finger stark zusammen. Dunjetschka lächelte ihm zu, wurde rot, entriß ihm schnell ihre Hand und folgte der Mutter; sie war, sie wußte selbst nicht warum, selig.

»Nun, das ist ja schön!« sagte er zu Ssonja, wieder in sein Zimmer zurückkehrend und sie heiter anblickend. »Gott gebe den Toten die Ruhe und den Lebenden das Leben! Nicht wahr? Nicht wahr? Es ist doch wahr?«

Ssonja sah ihm sehr verwundert in sein plötzlich erhelltes Gesicht; er blickte sie einige Sekunden stumm und unverwandt an; alles, was ihr verstorbener Vater von ihr erzählt hatte, ging ihm in diesem Augenblick wieder durch den Sinn ...

»Mein Gott, Dunjetschka!« sagte Pulcheria Alexandrowna, sobald sie wieder auf der Straße waren. »Jetzt bin ich selbst fast froh, daß wir weggegangen sind: es ist mir gleich irgendwie leichter zumute. Nun, habe ich gestern im Eisenbahnwagen denken können, daß ich mich sogar darüber freuen würde?«

»Ich sage Ihnen wieder, Mamachen, daß er noch sehr krank ist. Sehen Sie es denn nicht selbst? Vielleicht ist er darum so herunter, weil er so viel unsertwegen gelitten hat. Man muß nachsichtig sein, und dann kann man vieles, vieles verzeihen.«

»Du warst aber nicht nachsichtig!« unterbrach sie sofort hitzig und eifersüchtig Pulcheria Alexandrowna. »Weißt du, Dunja, ich habe euch beide angesehen: du bist sein Ebenbild, und zwar weniger was das Gesicht, als was die Seele betrifft: ihr seid beide Melancholiker, beide finster und hitzig; beide hochmütig und beide hochherzig ... Es kann doch nicht sein, daß er ein Egoist ist, Dunjetschka! Wie? ... Und wenn ich daran denke, was sich heute abend abspielen wird, so steht mir das Herz still!«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Mamachen: es wird kommen, was kommen muß.«

»Dunjetschka, bedenke doch, in welcher Lage wir jetzt sind! Was, wenn Pjotr Petrowitsch seinen Antrag zurückzieht?« entschlüpfte es unbedachterweise der armen Pulcheria Alexandrowna.

»Was ist er dann wert, wenn er es tut?« antwortete Dunjetschka scharf und verächtlich.

»Das haben wir gut getan, daß wir jetzt weggegangen sind«, unterbrach sie Pulcheria Alexandrowna hastig. »Er hat etwas Eiliges vor und will weggehen; soll er nur ausgehen und wenigstens frische Luft atmen ... es ist bei ihm so furchtbar dumpf ... wo soll man hier aber frische Luft atmen? In den hiesigen Straßen ist es wie in einem ungelüfteten Zimmer. Mein Gott, was ist das für eine Stadt! ... Wart, geh zur Seite, man wird dich noch erdrücken, die Leute tragen etwas! Da haben sie eben ein Klavier vorbeigetragen ... wie sie nur stoßen ... Vor diesem Fräulein habe ich auch große Angst ...«

»Vor was für einem Fräulein, Mamachen?«

»Nun, vor dieser Ssofja Ssemjonowna, die eben da war ...«

»Warum denn?«

»Ich habe so eine Vorahnung, Dunja. Du magst mir glauben oder nicht, als sie aber hereinkam, dachte ich im gleichen Augenblick, daß die Hauptsache in ihr liegt ...«

»Nichts liegt in ihr!« rief ärgerlich Dunja. »Wie merkwürdig sind Sie doch mit Ihren Vorahnungen, Mama! Er kennt sie ja erst seit gestern und hat sie nicht einmal wiedererkannt, als sie eintrat.«

»Nun, du wirst sehen! ... Sie macht mir Angst, du wirst sehen, wirst sehen! Und wie ich erschrak: sie sieht mich an, sieht mich an, hat solche Augen, daß ich kaum sitzen bleiben konnte, weißt du noch, als er sie vorzustellen begann? Es kommt mir so sonderbar vor: Pjotr Petrowitsch schreibt über sie solche Dinge, und er stellt sie uns vor, sogar dir! Also muß sie ihm teuer sein!«

»Was er nicht alles schreibt! Man hat auch über uns manches geschrieben und gesprochen, haben Sie es schon vergessen? Ich aber bin überzeugt, ... daß sie ein herrliches Mädchen ist und daß alles ein Unsinn ist!«

»Gebe es Gott!«

»Und Pjotr Petrowitsch ist eine gemeine Klatschbase«, schnitt Dunjetschka plötzlich ab.

Pulcheria Alexandrowna knickte förmlich ein. Das Gespräch brach ab.

»Hör mal, was ich von dir will ...« sagte Raskolnikow, Rasumichin zum Fenster führend.

»Ich werde also Katerina Iwanowna sagen, daß Sie kommen werden ...« sagte Ssonja eilig und wollte sich schon verabschieden.

»Sofort, Ssofja Ssemjonowna, wir haben keine Geheimnisse, Sie stören nicht ... Ich möchte Ihnen noch ein paar Worte sagen ... Hör mal«, wandte er sich plötzlich wieder an Rasumichin: »Du kennst doch den ... Wie heißt er noch? ... Porfirij Petrowitsch?«

»Und ob! Er ist doch mein Verwandter. Was willst du denn von ihm?« fügte er mit plötzlich erwachter Neugierde hinzu.

»Er hat jetzt doch diesen Fall ... nun den Mord ... von dem ihr gestern gesprochen habt ... in Behandlung?«

»Ja ... und?« Rasumichin riß die Augen auf.

»Er hat die Pfandgeber vernommen, und ich habe dort auch Pfänder liegen, es ist nichts von Wert, aber es ist auch ein Ring von der Schwester dabei, den sie mir zum Andenken geschenkt hat, bevor ich herreiste, und die silberne Uhr von meinem Vater. Alles zusammen hat einen Wert von fünf oder sechs Rubeln, aber mir sind die Sachen ein teures Andenken. Was soll ich jetzt also anfangen? Ich will nicht, daß diese Sachen verlorengehen. Ich zitterte vorher, die Mutter könnte die Uhr sehen wollen, als wir von Dunjetschkas Uhr sprachen. Es ist der einzige Gegenstand, der vom Vater geblieben ist. Sie wird krank werden, wenn die Uhr verlorengeht! Ja, diese Frauen! Sage mir also, was ich tun soll! Ich weiß, daß man es auf dem Polizeibureau anmelden muß. Wäre es aber nicht besser, zu Porfirij selbst zu gehen? Was? Wie glaubst du? Ich möchte es so schnell als möglich erledigen. Du wirst sehen, Mamachen wird mich noch vor dem Essen danach fragen!«

»Keineswegs auf das Polizeibureau, sondern unbedingt zu Porfirij!« rief Rasumichin in ungewöhnlicher Erregung. »Nun, wie bin ich froh! Was sollen wir es noch aufschieben, komm gleich mit, es sind nur zwei Schritte, wir treffen ihn sicher an!«

»Meinetwegen ... wollen wir gehen ...«

»Er wird sich aber sehr, sehr, sehr, sehr freuen, dich kennenzulernen! Ich habe ihm viel von dir erzählt, bei verschiedenen Gelegenheiten ... Auch gestern habe ich von dir gesprochen. Also komm! ... Du hast also die Alte gekannt? Das ist gut! ... Aus-ge-zeichnet hat es sich gefügt! ... Ach, ja ... Ssofja Iwanowna ...«

»Ssofja Ssemjonowna,« korrigierte ihn Raskolnikow, »Ssofja Ssemjonowna, das ist mein Freund Rasumichin, ein vortrefflicher Mensch ...«

»Wenn Sie jetzt gehen müssen ...« fing Ssonja an, ohne Rasumichin anzusehen und darum noch verlegener werdend.

»Gehen wir!« beschloß Raskolnikow. »Ich will Sie heute noch besuchen, Ssofja Ssemjonowna, sagen Sie mir nur, wo Sie wohnen.«

Er schien weniger verlegen zu sein, als einfach Eile zu haben, und mied ihre Blicke. Ssonja gab ihm ihre Adresse und wurde dabei rot. Sie verließen zusammen das Zimmer.

»Schließt du denn gar nicht ab?« fragte Rasumichin, als letzter die Treppe hinabsteigend.

»Niemals! ... Übrigens will ich mir schon seit zwei Jahren ein Schloß kaufen«, fügte er nachlässig hinzu. »Es sind doch glückliche Menschen, die nicht abzuschließen brauchen?« wandte er sich lachend an Ssonja.

Vor dem Tore blieben sie stehen.

»Müssen Sie nach rechts, Ssofja Ssemjonowna? Übrigens: wie haben Sie mich gefunden?« fragte er sie. Er schien ihr aber etwas ganz anderes sagen zu wollen: er wollte ihr immer in ihre stillen, heiteren Augen blicken, aber es gelang ihm nicht ...

»Sie haben doch gestern Poljetschka Ihre Adresse gegeben?«

»Polja? Ach ja ... Poljetschka! Das ist ... die Kleine ... ist das Ihre Schwester? So, habe ich ihr die Adresse gegeben?«

»Haben Sie es denn schon vergessen?«

»Nein ... ich erinnere mich noch ...«

»Mir hat von Ihnen auch schon der Verstorbene erzählt ... Damals kannte ich aber noch Ihren Familiennamen nicht, und auch er selbst kannte ihn nicht ... Jetzt kam ich aber ... Und da ich gestern Ihren Namen erfuhr ... so fragte ich heute: Wohnt hier Herr Raskolnikow? Ich wußte gar nicht, daß auch Sie in Aftermiete wohnen ... Leben Sie wohl ... Ich muß zu Katerina Iwanowna ...«