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»Was entschuldigst du dich! Wie mich das alles anödet!« schrie Raskolnikow übertrieben gereizt.

Übrigens war es zum Teil Verstellung.

»Ich weiß, ich weiß, ich verstehe. Du kannst überzeugt sein, daß ich es verstehe. Ich schäme mich, davon zu sprechen ...«

»Wenn du dich schämst, so sprich eben nicht!«

Beide verstummten. Rasumichin war mehr als entzückt, und Raskolnikow fühlte es mit Ekel. Auch das, was Rasumichin eben über Porfirij gesagt hatte, machte ihm Sorgen.

– Dem muß man auch etwas vorjammern – dachte er, erbleichend und klopfenden Herzens –, und zwar so natürlich als möglich. Das Natürlichste wäre, gar nicht zu jammern. Forciert nicht jammern. Nein, ›forciert‹ wäre wieder unnatürlich ... Nun, es wird sich schon irgendwie machen ... wir wollen sehen ... gleich ... Ist es gut oder nicht gut, daß ich hingehe? Der Falter fliegt selbst ins Licht. Das Herz klopft so, und das ist nicht gut! ... –

»In diesem grauen Hause«, sagte Rasumichin.

– Das Wichtigste ist, ob Porfirij weiß oder nicht weiß, daß ich gestern bei dieser Hexe in der Wohnung gewesen bin ... und nach dem Blut gefragt habe ... Das muß ich sofort feststellen, gleich beim ersten Schritt, wenn ich eintrete, ich muß es in seinem Gesichte lesen: sonst ... und wenn ich auch zugrundegehe, – ich muß es feststellen! –

»Weißt du was?« wandte er sich plötzlich an Rasumichin mit einem schalkhaften Lächeln. »Mir ist es schon heute früh aufgefallen, daß du in so ungewöhnlicher Erregung bist! Ist es so?«

»In was für einer Erregung? In gar keiner Erregung!« rief Rasumichin auffahrend.

»Nein, Bruder, es ist dir doch anzusehen. Vorhin hast du auf dem Stuhle so gesessen, wie du sonst nie zu sitzen pflegst: nur am äußersten Endchen, und zucktest, als ob du Krämpfe hättest. Ganz ohne jeden Grund sprangst du auf. Bald warst du böse und machtest bald wieder ein zuckersüßes Gesicht. Du wurdest sogar rot; besonders, als man dich zum Essen einlud, da wurdest du furchtbar rot.«

»Nichts dergleichen! Du lügst! ... Was meinst du eigentlich damit?«

»Du drehst und windest dich wie ein Schuljunge! Pfui Teufel, da ist er schon wieder rot geworden!«

»Was bist du eigentlich für ein Schwein!«

»Und warum bist du verlegen? Romeo! Wart nur, ich werde es heut irgendwem wiedererzählen, ha-ha-ha! Mein Mamachen wird darüber lachen ... und noch jemand ...«

»Hör, hör, hör, im Ernst, das ist doch ... Was soll es denn heißen, Teufel!« rief Rasumichin ganz verwirrt und kalt vor Schreck. »Was willst du ihnen erzählen? Ich werde, Bruder ... Pfui, was du für ein Schwein bist!«

»Du bist einfach eine Frühlingsrose! Und wie dir das steht, wenn du es bloß wüßtest! Ein baumlanger Romeo! Und wie du dich heute gewaschen hast, hast dir sogar die Nägel gereinigt, wie? Wann hat man das bei dir gesehen? Bei Gott, du hast dir sogar das Haar mit Pomade eingeschmiert! Bück dich mal!«

»Schwein!!!«

Raskolnikow lachte so, daß er sich anscheinend nicht mehr halten konnte. Mit diesem Lachen traten sie auch in die Wohnung Porfirij Petrowitschs. Das war alles, was Raskolnikow wollte: in der Wohnung konnte man natürlich hören, daß sie lachend eingetreten waren und im Vorzimmer noch immer lachten.

»Kein Wort hier, oder ich ... zermalme dich!« flüsterte Rasumichin wütend und packte Raskolnikow an der Schulter.

V

Jener trat aber schon in die Wohnung. Er sah dabei so aus, als nähme er sich mit aller Gewalt zusammen, um nicht wieder loszuplatzen. Ihm folgte mit gänzlich entstelltem, wütendem Gesicht, rot wie eine Pfingstrose und verlegen der lange und linkische Rasumichin. Sein Gesicht und seine ganze Figur waren in diesem Augenblick wirklich komisch und rechtfertigten Raskolnikows Lachen. Raskolnikow, der noch nicht vorgestellt war, verbeugte sich vor dem Hausherrn, der mitten im Zimmer stand und die beiden fragend ansah; dann reichte er ihm die Hand und drückte die seine, immer noch mit dem Ausdrucke der größten Anstrengung, seine Heiterkeit zu unterdrücken oder wenigstens einige Worte zu sagen, um sich vorzustellen. Kaum hatte er aber ein ernstes Gesicht gemacht und etwas gemurmelt, als er plötzlich wie unwillkürlich wieder Rasumichin anblickte und sich nicht mehr beherrschen konnte: das unterdrückte Lachen kam um so ungestümer zum Ausbruch, je stärker es bisher zurückgehalten worden war. Die ungewöhnliche Wut, mit der Rasumichin dieses »herzliche« Lachen aufnahm, verlieh dieser ganzen Szene den Anschein einer aufrichtigen Lustigkeit und, was die Hauptsache war, Natürlichkeit. Rasumichin half wie mit Absicht nach.

»Pfui Teufel!« brüllte er, schwang den Arm und traf ein kleines rundes Tischchen, auf dem ein leeres Teeglas stand.

Alles flog klirrend zu Boden.

»Warum soll man gleich die Möbel demolieren, meine Herren? Das ist bloß ein Schaden für den Staat!« rief Porfirij Petrowitsch lustig.

Die Szene stellte sich wie folgt dar: Raskolnikow beendete gerade seine Lachsalve, seine Hand in der des Hausherrn lassend, und wartete, doch mit Takt, auf den Augenblick, um schneller und natürlicher zu enden. Rasumichin, der durch den Fall des Tischchens und das Unglück mit dem Teeglase ganz verwirrt war, blickte düster auf die Scherben, spuckte aus und wandte sich jäh nach dem Fenster, wo er sich mit dem Rücken gegen das Publikum mit furchtbar finsterem Gesicht hinpflanzte und, ohne etwas zu sehen, zum Fenster hinausschaute. Porfirij Petrowitsch lachte und wollte noch mehr lachen, wartete aber offenbar auf eine Erklärung. Samjotow, der auf einem Stuhl in der Ecke gesessen und sich beim Erscheinen der Gäste erhoben hatte, stand erwartungsvoll da, den Mund zu einem Lächeln verzogen, und betrachtete diese ganze Szene verständnislos und sogar mißtrauisch, Raskolnikow sogar mit einer gewissen Bestürzung. Die unerwartete Anwesenheit Samjotows berührte Raskolnikow unangenehm.

– Das muß ich noch besonders in Betracht ziehen! – dachte er.

»Entschuldigen Sie, bitte,« begann er sehr verlegen, »Raskolnikow ...«

»Aber ich bitte Sie, sehr angenehm, Sie kamen ja so angenehm herein ... Was, er will mich nicht mal begrüßen?« sagte Porfirij Petrowitsch und wies mit dem Kopf auf Rasumichin.

»Bei Gott, ich weiß nicht, warum er auf mich so wütend ist. Ich habe ihm unterwegs nur gesagt, daß er einem Romeo ähnlich sieht, und ... ich bewies es ihm auch, und sonst gab's, glaube ich, nichts.«

»Schwein!« versetzte, ohne sich umzuwenden, Rasumichin.

»Also hatte er wohl triftige Gründe, um wegen eines einzigen Wörtchens so böse zu werden«, bemerkte Porfirij lachend.

»Du! Untersuchungsrichter! ... Hol euch alle der Teufel!« platzte Rasumichin heraus. Plötzlich fing er selbst zu lachen an und ging mit lustigem Gesicht, als ob nichts geschehen wäre, auf Porfirij Petrowitsch zu.

»Schluß! Ihr seid alle Dummköpfe! Zur Sache: Das ist mein Freund Rodion Romanowitsch Raskolnikow; erstens hat er von dir viel gehört und will dich kennenlernen, und zweitens hat er ein kleines Anliegen an dich. Bah! Samjotow! Wie kommst du her? Seid ihr denn bekannt? Kennt ihr euch schon lange?«

– Nanu, was ist das? – fragte sich Raskolnikow unruhig.

Samjotow schien verlegen, doch nicht allzusehr.

»Wir haben uns ja gestern bei dir kennengelernt«, sagte er ungezwungen.

»Also hat mir Gott den Schaden erspart; in der vorigen Woche hat er mich bestürmt, daß ich ihn irgendwie mit dir, Porfirij, bekannt mache, und nun habt ihr auch ohne meine Hilfe die Nasen zusammengesteckt ... Wo hast du deinen Tabak?«

Porfirij Petrowitsch war in seinem Hausanzug: in einem Schlafrock, sehr sauberer Wäsche und abgetretenen Morgenschuhen. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, unter Mittelgröße, wohlbeleibt, sogar mit einem Bäuchlein, glattrasiert, ohne Schnurr- und Backenbart, mit kurzgeschorenem, großem, rundem Schädel, der hinten im Nacken besonders stark gewölbt war. Das etwas aufgedunsene, runde und stumpfnasige Gesicht war von einer ungesunden dunkelgelben Farbe, aber recht munter und sogar spöttisch. Es war sogar fast gutmütig, wäre nicht der Ausdruck der Augen mit dem wässerigen Glanz und den weißen, immer zuckenden, gleichsam jemand zuzwinkernden Wimpern gewesen. Der Blick dieser Augen harmonierte so gar nicht mit dieser ganzen Gestalt, die sogar etwas Weibisches an sich hatte, und verlieh ihr einen viel ernsteren Ausdruck, als man es von ihr beim ersten Anblick erwartete.