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Mutter und Schwester waren furchtbar erschrocken; Rasumichin ebenfalls.

»Rodja, Rodja! Versöhne dich mit uns, wir wollen die Früheren sein!« rief die arme Mutter.

Er wandte sich langsam zur Tür und verließ langsam das Zimmer. Dunja holte ihn ein.

»Bruder! Was tust du unserer Mutter an!« flüsterte sie, und ihre Augen funkelten vor Empörung.

Er sah sie starr an.

»Macht nichts, ich werde kommen, ich werde euch besuchen!« murmelte er halblaut, als wäre er sich nicht ganz bewußt, was er sagen wolle, und verließ das Zimmer.

»Gefühlloser, böser Egoist!« rief Dunja aus.

»Er ist verrückt und nicht gefühllos! Er ist geisteskrank! Sehen Sie es denn nicht? Dann sind Sie selbst gefühllos!« flüsterte Rasumichin ihr erregt ins Ohr und druckte ihre Hand fest zusammen.

»Ich komme gleich!« rief er der vor Schreck erstarrten Pulcheria Alexandrowna zu und lief aus dem Zimmer.

Raskolnikow erwartete ihn am Ende des Korridors.

»Ich habe ja gewußt, daß du gleich herauslaufen wirst«, sagte er ihm. »Kehre zu ihnen zurück und bleibe bei ihnen ... Sei auch morgen mit ihnen ... und immer. Ich ... werde vielleicht kommen ... wenn es geht. Lebe wohl!«

Und er verließ ihn, ohne ihm die Hand zu reichen.

»Wo willst du denn hin? Was hast du? Was ist mit dir? Kann man denn so! ...« murmelte der ganz fassungslose Rasumichin.

Raskolnikow blieb noch einmal stehen.

»Ein für allemaclass="underline" frage mich nicht und über nichts. Ich habe dir nichts zu antworten ... Komme auch nicht zu mir. Vielleicht werde ich herkommen ... Laß mich ... sie aber verlasse nicht! Verstehst du mich?«

Im Korridor war es dunkel; sie standen neben der Lampe. Eine Minute lang sahen sie einander stumm an. Rasumichin erinnerte sich später sein Leben lang dieses Augenblicks. Der brennende und unverwandte Blick Raskolnikows wurde jeden Moment gespannter und drang in seine Seele, in sein Bewußtsein ein. Plötzlich fuhr Rasumichin zusammen. Es war, als wäre zwischen ihnen etwas Seltsames vorbeigeschwebt ... Ein Gedanke, eine leise Ahnung; etwas Schreckliches und Häßliches, das von beiden Seiten plötzlich verstanden wurde ... Rasumichin wurde bleich wie ein Toter.

»Verstehst du jetzt!?« sagte plötzlich Raskolnikow mit krankhaft verzerrtem Gesicht. »Kehre zurück, gehe zu ihnen«, fügte er plötzlich hinzu. Dann drehte er sich schnell um und verließ das Haus.

Ich will nicht beschreiben, wie es an diesem Abend bei Pulcheria Alexandrowna zuging, wie Rasumichin zu ihnen zurückkehrte, wie er sie beruhigte, wie er ihnen schwur, daß man Rodja nach seiner Krankheit Ruhe gönnen müsse, wie er schwur, daß Rodja unbedingt wiederkommen, daß er jeden Tag herkommen würde, daß er sehr, sehr heruntergekommen sei und daß man ihn nicht reizen dürfe; daß er, Rasumichin, auf ihn aufpassen werde, daß er einen guten, den besten Arzt, ein ganzes Konsilium für ihn bringen werde ... Mit einem Wort: Rasumichin wurde von diesem Abend an ihr Sohn und Bruder.

IV

Raskolnikow ging aber direkt zum Hause am Kanal, wo Ssonja wohnte. Es war ein altes, grüngestrichenes zweistöckiges Haus. Er fand nicht ohne Mühe den Hausknecht und bekam von ihm eine recht unbestimmte Auskunft, wo der Schneider Kapernaumow wohne. Er fand in einer Hofecke den Eingang zu einer engen und dunklen Treppe, stieg endlich in den ersten Stock hinauf und gelangte in eine Galerie, die das Stockwerk auf der Hofseite umgab. Während er im Dunkeln herumirrte und sich fragte, wo der Eingang zu Kapernaumow sein könne, ging plötzlich drei Schritte vor ihm eine Tür auf; er griff mechanisch nach ihr.

»Wer ist da?« fragte ängstlich eine weibliche Stimme.

»Das bin ich ... zu Ihnen«, antwortete Raskolnikow und trat in ein winziges Vorzimmer.

Hier stand auf einem durchgedrückten Stuhle ein verbogener Messingleuchter mit einer Kerze.

»Das sind Sie! Mein Gott!« rief Ssonja mit schwacher Stimme und blieb wie angewurzelt stehen.

»Wie kommt man in Ihr Zimmer? Hier?«

Raskolnikow bemühte sich, sie nicht anzusehen, und trat schnell in ihr Zimmer.

Nach einer Minute kam Ssonja mit der Kerze. Sie stellte die Kerze hin und blieb vor ihm stehen, ganz fassungslos, in unbeschreiblicher Erregung und durch seinen unerwarteten Besuch sichtbar erschreckt. Ihr bleiches Gesicht rötete sich plötzlich, und Tränen traten ihr sogar in die Augen ... Sie empfand peinliches Unbehagen, und Scham, und eine süße Wonne ... Raskolnikow wandte sich schnell weg und setzte sich auf den Stuhl vor dem Tisch. Mit einem flüchtigen Blick hatte er schon das ganze Zimmer gestreift.

Es war ein großes, doch außerordentlich niedriges Zimmer, das einzige, das die Kapernaumows vermieteten; die verschlossene Tür in der Wand links führte zu ihnen. An der gegenüberliegenden Wand rechts war noch eine andere Tür, die immer fest verschlossen war. Hinter dieser Tür befand sich die Nachbarwohnung mit einer anderen Nummer. Ssonjas Zimmer glich einer Scheune; es hatte die Form eines unregelmäßigen Vierecks, was ihm etwas Häßliches verlieh. Die Wand mit den auf den Kanal hinausgehenden drei Fenstern durchschnitt das Zimmer irgendwie schief, und eine Ecke war daher sehr spitz und verlief in die Tiefe, so daß man in sie bei der schwachen Beleuchtung nicht mal ordentlich hinausschauen konnte; die andere Ecke war dafür häßlich stumpf. In diesem ganzen großen Zimmer waren fast keine Möbel. In der Ecke rechts befand sich das Bett; neben ihm, näher zur Tür, stand ein Stuhl. An der gleichen Wand, wo das Bett war, standen dicht neben der Tür, die in die fremde Wohnung führte, ein einfacher ungestrichener Tisch mit einer blauen Decke und daneben zwei Rohrstühle. An der entgegengesetzten Wand, in der Nähe des spitzen Winkels, stand eine kleine Kommode aus einfachem Holz, die wie im Leeren verloren aussah. Das war alles, was sich im Zimmer befand. Die gelblichen, schmierigen und abgerissenen Tapeten waren in allen Ecken schwarz geworden; im Winter war es hier sicher feucht und dunstig. Die Armut war ganz offensichtlich, selbst vor dem Bett war kein Vorhang.

Ssonja blickte schweigend auf ihren Gast, der so aufmerksam und ungeniert ihr Zimmer betrachtete, und fing sogar schließlich an, vor Angst zu zittern, als stünde sie vor einem Richter, vor einem, der über ihr Schicksal zu entscheiden hatte.

»Ich komme spät ... Ist schon elf?« fragte er, sie noch immer nicht ansehend.

»Ja, es ist schon elf«, murmelte Ssonja. »Ach ja, gewiß!« beeilte sie sich zu sagen, als wäre es ein Ausweg für sie. »Die Uhr bei den Wirtsleuten hat eben geschlagen ... ich habe es selbst gehört ... Es ist schon elf.«

»Ich komme zu Ihnen zum letztenmal,« fuhr Raskolnikow fort, »und wenn es auch das erste Mal ist, – ich sehe Sie vielleicht nie wieder ...«

»Reisen Sie fort? ...«

»Ich weiß nicht ... es wird sich morgen zeigen ...«

»So kommen Sie morgen nicht zu Katerina Iwanowna?« fragte Ssonja mit bebender Stimme.

»Ich weiß es nicht. Es wird sich morgen früh zeigen ... Aber es handelt sich jetzt nicht darum: ich komme, um Ihnen ein Wort zu sagen ...«

Er richtete auf sie seinen nachdenklichen Blick und merkte plötzlich, daß er saß, während sie vor ihm stand.

»Warum stehen Sie? Setzen Sie sich!« sagte er plötzlich mit veränderter, stiller und freundlicher Stimme.

Sie setzte sich. Er sah sie eine Minute lang freundlich und fast mitleidvoll an.

»Wie mager Sie sind! Was haben Sie für eine Hand! Ganz durchsichtig ist sie. Die Finger wie bei einer Toten.«

Er ergriff ihre Hand. Ssonja lächelte schwach.

»Ich war immer so«, sagte sie.

»Auch als Sie zu Hause lebten?«

»Ja.«

»Nun, selbstverständlich!« sagte er kurz, und sein Gesichtsausdruck und der Ton seiner Stimme veränderten sich wieder.

Er sah sich noch einmal um.

»Sie mieten das Zimmer von Kapernaumow?«

»Ja ...«