»Keine dieser Möglichkeiten gefällt mir«, knurrte Quenthel. Sie drehte sich um und suchte die Mauern und Gebäude ringsum nach einem Fluchtweg ab. »Da. Unmittelbar hinter den Bauten dort drüben sehe ich die Wüste. Vielleicht geben sie die Verfolgung auf, wenn wir die Stadt verlassen.«
»Unklug, Herrin«, erwiderte Valas. Er kauerte an einem Torbogen, der zu ihrer momentanen Zufluchtsstätte führte und von wo aus er nach der nächsten Angriffswelle Ausschau hielt. »Wenn wir den Schutz dieser Mauern verlassen, werden sie ganz genau wissen, wo wir sind. Wir wären kilometerweit zu sehen, auch mit unseren Piwafwis. Sie wurden nicht dafür geschaffen, uns am hellichten Tage in einer völlig freien Umgebung zu schützen. Tarnung ist derzeit unsere beste Waffe.«
Ryld nickte. Er stand an einem anderen Eingang, sein Zwei-händer ruhte an seiner Schulter.
»Sie würden uns einkreisen und uns da draußen niederringen«, sagte der Meister Melee-Magtheres. »Das beste ist, wenn wir uns ständig innerhalb der Ruinen bewegen und darauf hoffen, daß die Lamien ... oh verdammt, wir bekommen wieder Gesellschaft.«
Irgendwo in dem Irrgarten aus eingestürzten Wänden außerhalb ihrer Zuflucht geriet Schutt ins Rutschen, als sich etwas Großes vorwärtsbewegte.
»Achtet auf Illusionen«, ermahnte Halisstra sie.
Sie hielt den Streitkolben in der Hand und zog an ihrem Schild, um sicher zu sein, daß er fest an ihrem Arm saß. Hinter ihr lauerte Danifae, einen langen Dolch in der Hand. Halisstra war unglücklich darüber, ihre Kriegsgefangene bewaffnen zu müssen, doch im Moment konnten sie jede Verstärkung gebrauchen, die sich ihnen bot, und zudem war es in Danifaes Interesse, ihren Beitrag zu leisten, damit sie nicht alle den Bewohnern von Hlaungadath zum Opfer fielen.
Die Lamien versuchten unterdessen eine neue Taktik. Sie ließen gegen ein Loch in der Mauer eine Angriffswelle von echsenartigen Asabis anrennen, wilden Kreaturen, die wütend fauchten, während sie mit Säbeln und Krummschwertern in ihren schuppigen Händen gegen den Draegloth anstürmten. Drei weitere ihrer Art hielten Valas auf Trab, während ein Paar Gargylen über die Mauern geschossen kam und hinter Ryld mitten in der Ruine landeten. Mit ihren weiten schwarzen Schwingen wirbelten sie bei jeder Bewegung gewaltige Staubwolken auf.
Fluchend wirbelte der Waffenmeister herum, um sich der neuen Bedrohung zu stellen.
Jeggred heulte zornig auf und machte einen Satz nach vorn, um sich dem Ansturm der Asabis in den Weg zu stellen, wobei er aufblitzende Klingen und schnappende Mäuler zur Seite schlug, während er selbst mit seinen großen Krallen nach den Echsenkriegern ausholte. Der weißhaarige Dämon setzte alle vier Arme ein, um ein schreckliches Blutbad anzurichten, doch selbst Jeggred ermüdete. Schläge, denen er mit seiner schier übernatürlichen Kraft hätte ausweichen müssen, trafen ihr Ziel. Mit dem äußeren linken Arm konnte er zwar einen Schlag mit einem Säbel abblocken, tat das aber so unglücklich, daß er selbst eine klaffende Wunde davontrug, die vom Ellbogen bis zum Handgelenk reichte. Eine weitere Klinge traf seinen Rumpf und hinterließ eine rote Spur auf dem weißen Brustfell. Der Draegloth schrie vor Wut und verdoppelte seine Anstrengungen.
Ryld schlug nach den Gargylen, während Halisstra und Quenthel zu ihm eilten. Quenthel schlug mit ihrer Peitsche nach einem von ihnen, und die Schlangenköpfe wanden sich um eines der klauenbewehrten Beine der Kreatur, um dann ihre Fangzähne tief in steinhartes Fleisch zu bohren. Doch die Gargyle stieg mit aller Macht auf und hob die Prinzessin hoch, bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Pharaun hob seinen Stab, um die Monster mit tödlichen Blitzen zu bombardieren, wirbelte aber herum und fiel hin, da sich ein Armbrustbolzen in seinen rechten Unterarm gebohrt hatte. Der Stab flog ihm aus der Hand.
»Die Dächer!« rief Pharaun.
Halisstra wich vor den Gargylen zurück und blinzelte in den grellen Himmel, um nach weiteren Angreifern zu suchen. Loh-farbene Schemen hockten auf einer hohen Mauer, die vielleicht vierzig oder fünfzig Schritt entfernt war – eine Handvoll Lamien mit schweren Armbrüsten, deren hübsche Gesichter von einem boshaften Grinsen verzerrt waren und die darauf warteten, daß sich eine Gelegenheit gab, um auf die Gruppe zu feuern. Noch während Halisstra zu ihnen sah, zielte eine der Lamien auf Ryld. Der Bolzen jagte am Kopf des Waffenmeisters vorbei und riß ein Stück aus der lockeren Steinwand hinter ihm. Ryld zuckte zusammen und tauchte zur Seite weg.
»Jemand muß sich um die Scharfschützen kümmern!« rief er, während er auf die Gargylen einschlug.
Eine Sekunde später rasten zwei weitere Bolzen auf Ryld zu. Einer prallte vom Brustpanzer ab, der andere traf ihn an der rechten Seite, da er beide Arme gehoben hatte, um zuzuschlagen. Der Bolzen blieb in der Armöffnung seiner Rüstung stekken, woraufhin Ryld zwei Schritte zurücktaumelte und in den Staub fiel.
Halisstra bückte sich und hob Pharauns Zauberstab auf.
»Hilf Quenthel«, wies sie Danifae an.
Sie richtete den Stab auf die Lamien auf der Mauer. Daß sie etwas über den Umgang mit solchen Objekten wußte, war eine Sache, die sie normalerweise nicht hätte offenbaren wollen. Aber dieser Kampf befand sich in einer verzweifelten Phase. Sie sprach ein arkanes Wort, dann jagte ein purpurfarbener Blitz auf die erste Lamia zu und schleuderte die Kreatur in einem Regen aus zerschmetterten Steinen von der Mauer. Donner hallte in der Ruine nach. Sie zielte auf die nächste Lamia, doch die Geschöpfe waren nicht dumm, sondern gaben sofort ihren ungeschützten Platz auf und brachten sich hinter der Mauer in Sicherheit.
Aus dem Schatten an der Rückwand kehrte Pharaun in den Kampf zurück, bewaffnet mit einem weiteren Stab. Dieser ließ einen Feuerball entstehen, den der Magier auf die Gargylen über ihnen schleuderte. Schmerzensschreie ausstoßend flatterten die Kreaturen davon, nur die eine, die bereits das Gift von Quenthels Peitsche in sich trug, kam nicht weit, als auf einmal die Flügel ihren Dienst versagten. Das Geschöpf stürzte ein Stück entfernt auf ein Dach.
Valas entledigte sich seines letzten Angreifers mit einem beidhändigen Schlag, der die Kreatur fast in zwei Hälften zerteilte, während Jeggred angestrengt atmend inmitten eines regelrechten Haufens aus Asabi-Leichen stand. Der Magier sah sich um und entdeckte Ryld am Boden.
»Verdammt«, murmelte er.
Er kniete neben dem Waffenmeister nieder und drehte ihn um. Ryld lag im Sterben. Blut strömte aus der Wunde, in der der Bolzen steckte, er konnte mit Mühe atmen, und seine grauen Lippen war blutbeschmiert. Pharaun verzog sein Gesicht zu einer finsteren Miene, dann sah er zu Quenthel.
»Tut etwas«, sagte er. »Wir brauchen ihn.«
Quenthel verschränkte die Arme und sagte kühclass="underline" »Leider gewährt mir Lolth im Moment nicht die Gunst von Heilzaubern, und die übrige Heilmagie, die ich auf unsere Reise mitgenommen hatte, ist schon fast verbraucht. Ich kann wenig für ihn tun.«
Halisstra kniff die Augen zusammen und dachte nach. Wieder gefiel ihr der Gedanke an das, was sie gleich tun würde, nicht, aber es konnte helfen, wenn sie ihr Geheimnis offenbarte: Wenn sie der Gruppe aus Menzoberranzan zeigte, was sie konnte, würde man sich ihrer nicht so schnell entledigen.
Außerdem, dachte sie, werden sie es vermutlich ohnehin längst wissen.
»Macht Platz«, sagte sie. »Ich kann helfen.«