Quenthel knurrte ihn zornig an: »Ihr werdet nicht lange genug leben, um das mit anzusehen!«
Sie holte mit ihrer Peitsche aus, um das triumphierende Grinsen von Tziriks Gesicht zu prügeln. Doch noch ehe sie den Arm nach vorn bewegen konnte, machte Vhaeraun – der einen Pfeilschuß weit entfernt war und mit dem Rücken zu der Gruppe stand, während er unablässig auf den immer größer werdenden Riß im steinernen Gesicht einschlug – mit der linken Hand eine knappe Geste, ohne sich von dem Tor abzuwenden. Unter Quenthels Füßen schoß eine Säule schwarzer Magma in die Höhe, die sie mehrere Meter in die Luft wirbelte. Tzirik, der fast in Reichweite stand, blieb unversehrt, wohingegen die Drow in alle Richtungen davoneilten, um dem Aufprall der großen heißen Brocken aus geschmolzenem Gestein aus dem Weg zu gehen.
Vhaeraun wurde währenddessen in seinem hämmernden Rhythmus nicht für einen Moment langsamer. Er holte immer wieder aus, während Quenthel hinter ihm auf dem Pflaster des Platzes aufschlug und laut schrie, da Stücke des infernalischen Gesteins an ihrer Haut klebten und sich ins Fleisch brannten. Valas Hune und Ryld eilten ihr zu Hilfe. Danifae zuckte zusammen, konnte ihren Blick aber nicht von Vhaeraun abwenden, der in seinem zerstörerischen Bemühen nicht für einen Moment nachließ.
Pharaun betrachtete kopfschüttelnd die Szene und murmelte: »Wahnsinn.«
Mit der Hand beschrieb er eine sonderbare Geste und verschwand, vermutlich, um sich an einen Ort zu teleportieren, der sicherer war als dieser. Halisstra sah ihn verschwinden und starrte einen Moment lang auf die leere Stelle, ehe ein weiterer Treffer von Vhaerauns Schwert sie zu Boden warf. Geschlagen lag sie da, während ein Stück weiter Quenthel vor Schmerz schrie und um sich schlug.
»Ah«, hauchte Vhaeraun. Der Gott trat von dem Gesicht zurück, das durch eine leuchtend grüne Narbe gespalten war, die von der Mitte der Stirn über den Nasenrücken bis zum Kinn verlief. »Hast du noch immer nichts zu sagen? Willst du schweigend sterben?«
Das Gesicht blieb reglos, das wirbelnde Licht in den nach innen gerichteten Augen war unverändert, doch wieder schien etwas von einem schrecklichen Geräusch begleitet an der Struktur des Kosmos zu reißen. In der Luft nahe dem Gesicht entstand eine weitere schwarze Öffnung, aus der ebenfalls eine göttliche Gestalt hervortrat.
Während Vhaeraun schlank und anmutig war, besaß der Neuankömmling ein alptraumhaftes Aussehen. Er war halb Spinne, halb Drow und hielt in seinen sechs sehr muskulösen Armen schlagbereit ein ganzes Waffenarsenal an Schwertern und Streitkolben. Jedes der chitinartigen Beine lief in eine gefährliche scherenartige Klaue aus, nur sein Gesicht war perverserweise das eines attraktiven Drow.
»Geh, Maskierter«, befahl der Spinnengott mit gequälter, brummelnder Stimme. »Es ist dir verboten, hier einzudringen.«
»Wage es nicht, dich zwischen mich und meine Bestimmung zu stellen, Selvetarm!«
Der monströse Spinnengott Selvetarm wartete nicht länger, sondern schoß mit atemberaubender Geschwindigkeit vor, wirbelte alle seine Klingen in einer Angriffswelle, die innerhalb von zwei Herzschlägen ein Dutzend Giganten hätte verstümmeln können.
Vhaeraun wirbelte zur Seite und tänzelte durch den Sturm aus stählernen Klingen, als würde er Selvetarms Waffen nachjagen, nicht umgekehrt. Schläge, denen er nicht ausweichen wollte, blockte er einfach ab und parierte sie mit himmlischer Eleganz. Als die Waffen der Götter aufeinanderprallten, wurde der Grund von Donnerschlägen erschüttert.
Halisstra stemmte sich hoch und beobachtete erstaunt, was sich vor ihren Augen abspielte. Sie hätte die Szene unendlich lange beobachten können, doch Ryld tauchte neben ihr auf.
»Wir brauchen Eure heilenden Gesänge«, zischte er. »Quenthel hat schwere Verbrennungen.«
Was macht das noch? fragte sich Halisstra.
Dennoch erhob sie sich und bahnte sich den Weg zu der gestürzten Priesterin. Quenthel wand sich auf dem Boden und stieß gequält den Atem aus, während sie erfolglos versuchte, den Schmerz zu kontrollieren. Ohne von dem unglaublichen Duell Notiz zu nehmen, das zwischen den beiden Göttern hin und her ging, konzentrierte sich Halisstra auf die Verletzungen der Baenre und schaffte es, zu einem Bae’qeshel-Lied anzusetzen. Sie legte ihre Hände auf Quenthels Verbrennungen und wirkte ihren Zauber, so gut sie konnte, während sie feststellte, daß die Ausübung ihres Talents sie für einen Moment zur Ruhe kommen ließ. Quenthel hörte auf, um sich zu schlagen, und öffnete die Augen. Da sie ihren Zauber gewirkt hatte, ließ Halisstra sich einfach wieder fallen und starrte zu den kämpfenden Göttern.
»Was sollen wir tun?« flüsterte sie. »Was können wir tun?«
»Ausharren«, erwiderte Ryld. Er legte die Hand in stählernem Griff um ihren Arm und sah ihr tief in die Augen. »Wartet und seht. Etwas wird geschehen.«
Auch er sah wieder zu Vhaeraun und Selvetarm.
Valas erhob sich neben Quenthel und ging gebückt, um seine Balance zu wahren, zu Tzirik.
»Tzirik! Was geschieht mit diesem Ort, mit uns, wenn Vhaeraun Selvetarm besiegt und das Gesicht zerstört? Könnt Ihr uns fortbringen?«
»Was mit uns geschieht, ist ohne Bedeutung«, gab der Priester zurück.
»Vielleicht für Euch, aber für mich ist es von großer Bedeutung«, murmelte Valas Hune. »Habt Ihr uns hergebracht, damit wir hier sterben?«
»Ich habe Euch nicht hergebracht, sondern Ihr mich«, korrigierte der Priester, schenkte Valas aber kaum Aufmerksamkeit. »Niemand außer den Priesterinnen der Spinnenkönigin könnte so nah an ihren Tempel herankommen, nicht einmal der Maskierte Gott. Was geschehen wird, wenn Vhaeraun Selvetarm besiegt, das werden wir ja sehen.«
Er konzentrierte sich wieder auf die sich duellierenden Götter.
Der Maskierte Gott und der Kämpe Lolths kämpften wie besessen. Schleim trat aus etlichen schwarzen Wunden aus dem Chitinkörper der Halbspinne, und schwarzer Schatten strömte aus einer Handvoll Schwertwunden, die dem eleganten Vhaeraun zugefügt worden waren. Während die Götter einander auf der materiellen Ebene bekämpften und mit schwindelerregender Geschwindigkeit aufeinander einschlugen, attackierten sie einander gleichzeitig auch magisch und psychisch. Sie schleuderten Zauber von entsetzlicher Macht aufeinander, die tödlicher waren als Selvetarms sechs wirbelnde Klingen. Die Blicke waren in einem unglaublichen Willenskampf aufeinander gerichtet, dessen Gewalt an dem zerrte, was Halisstra noch von ihrem Verstand geblieben war, die hundert Schritt weit entfernt war. Schläge, die ihr Ziel verfehlten, und abgewehrte Zauber sorgten rings um die Gottheiten für verheerende Schäden. In der Mauer und in den Pflastersteinen auf dem Platz klafften tiefe Krater, und mehr als einmal wären die sterblichen Zuschauer um ein Haar ausgelöscht worden.
»Hinterhältiger Schakal!« zischte Selvetarm. »Dein Verrat wird bestraft werden!«
»Einfältiger Tor. Natürlich nicht!« gab Vhaeraun zurück.
Er machte einen Satz zwischen Selvetarms wirbelnde Klingen und stach mit seinem Schattenschwert nach dem knollenförmigen Unterleib des Spinnengottes. Der Kämpe Lolths kreischte und zuckte zurück, doch im nächsten Moment bekam er Vhaerauns Knöchel mit einer seiner Scheren zu fassen und warf den Gott zu Boden. Wieselflink ließ er einen Hagel tödlicher Schläge auf den Maskierten Gott niederregnen.
Vhaeraun reagierte, indem er einen gewaltigen Schlag mit brennender Schattenmasse führte, der aus einer unglaublichen Höhe herabstürzte und beide Götter in schwarzes Feuer tauchte. Selvetarm brüllte von göttlichem Zorn erfüllt laut auf und schlug immer wieder auf Vhaeraun ein.
Ein entsetzliches, knirschendes Geräusch ertönte, das Halis-stra und den anderen bis in die Knochen fuhr, dann zerfiel der Platz unter den Kämpfenden. Die beiden Götter waren noch immer in ihren wilden Kampf verstrickt, während sie durch die große Tempelinsel fielen und in das schwarze Nichts stürzten. Irgendwo in der Tiefe war noch ein Flackern und Aufblitzen zu sehen. Minutenlang reagierten die Drow überhaupt nicht, außer daß sie aufstanden. Doch sie sagten nichts, während Tzirik die Arme verschränkte und einfach wartete.