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»Bei den Göttern ...«, brachte Valas heraus und stöhnte entsetzt auf.

Sie alle spürten es im gleichen Moment, ein brutales Zerren an ihrer Seele, das die Steinebene und den schwarzen Tempel in tausend silberne Scherbe zerfallen ließ.

Halisstra machte den Mund auf, um einen Entsetzensschrei auszustoßen, doch bevor sie dafür noch einmal Luft holen konnte, wurde sie ins Nichts gewirbelt.

Halisstra erwachte abrupt und saß aufrecht auf dem modrigen alten Diwan in Tziriks Geheimraum. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß sie lebte. Die Erfahrung, ihre Seele durch Tziriks Vernichtung von einem Augenblick zum nächsten aus dem Abgrund der Dämonennetze nach Faerûn zurückkehren zu lassen, war nichts, was sie noch einmal machen wollte. Sie brauchte etwas mehr Zeit, um zu erfassen, daß sie keine körperlichen Schmerzen mehr hatte.

Was allerdings schmerzte, war ihr Herz. Ein gewaltiger, sengender Schmerz pulsierte im Mittelpunkt ihres Seins, eine Trauer, die so stechend und immens war, daß Halisstra sich nicht vorstellen konnte, je davon befreit zu werden.

Sie drückte die Hand gegen ihre Brust, als könne das etwas ändern, und sah sich langsam um. Die anderen erhoben sich ebenfalls und wirkten in unterschiedlicher Weise mitgenommen. Rechts von ihr lag Tzirik auf seinem Diwan, sein Leib war in Stücke gerissen, Blut war bis an die Wände der Kammer gespritzt, blutige Organe des Klerikers lagen achtlos weggeworfen auf dem Boden. Neben dem zerfleischten Leichnam des Priesters hockte Jeggred und leckte Blut von seinem weißen Fell. Zwei Jaelre-Krieger lagen daneben, ihre Kehlen waren zerfetzt.

»Herrin?« fragte der Draegloth. »Was ist passiert? Was habt Ihr erfahren?«

Quenthel sah Tziriks Leichnam an, dann die toten Jaelre. Sie zog die Brauen finster zusammen. »Was in Lolths Namen hast du dir dabei gedacht?« fragte sie. »Warum hast du ihn getötet?«

»Die Wachen? Es schien ihnen nicht zu gefallen, was ich mit dem Ketzer tat«, antwortete Jeggred.

»Nein, nicht sie«, sagte Quenthel. »Tzirik!«

Jeggred kniff die Augen zusammen und knurrte. Der Draegloth richtete sich auf und lief um die Diwane herum zu Pharaun. »Magier, wenn Ihr mich dazu veranlaßt habt, meine Pflicht zu verletzen ...«

»Pharaun ...«, sagte Quenthel und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, was aber nicht lange dauerte. Die Erinnerung kehrte zurück, und sie starrte den Meister Sorceres aufgebracht an. »Ihr ließt uns im Abgrund der Dämonennetze im Stich, als wir Euch am nötigsten brauchten! Erklärt mir das!«

»Ich hielt es für nötig«, entgegnete Pharaun. »Wir waren in Todesgefahr, aber wir konnten ohne Tzirik nicht fliehen, und es war offensichtlich, daß er nicht vorhatte, von dort wegzugehen. Die beste Chance zur Flucht war daher die, Jeggred eine Nachricht zu schicken und ihn anzuweisen, Tziriks stofflichen Leib zu vernichten. Da der Priester den Zauber für die Astralprojektion gewirkt hatte, beendete sein Tod für uns die Reise – zwar etwas abrupter, als es mir lieb war, doch ich sah keinen anderen Ausweg. Ich sagte Jeggred, Ihr hättet es befohlen, da ich nicht sicher sein konnte, ob er den Kleriker auch umbringen würde, wenn ich allein ihn darum bat.«

»Eure Feigheit hat uns vom einzigen Ort weggeholt, an dem wir auf Antworten hatten hoffen können«, knurrte Quenthel.

»Nein«, warf Halisstra ein. »Pharauns Besonnenheit ermöglichte uns die Flucht aus einer ausweglosen Situation, und zwar auf die einzige Weise, bei der die Hoffnung bestand, daß sie funktionieren würde.«

»Welchen Sinn hat ein Entkommen, wenn wir unsere Suche nicht zu Ende führen konnten?« wollte die Baenre wissen.

»Es hätte dort keine Antworten gegeben«, erwiderte Halisstra. »Wir hätten bis zum Ende aller Zeit vor ihr zu Kreuze kriechen können, und es hätte Lolth nicht gekümmert. Die Reise war sinnlos, und es war eine Reise, derer Ihr Euch ohnehin nie gewiß wart. Oder gab es im Abyss Lagerhäuser, die Ihr hättet plündern können?«

»Im Abgrund der Dämonennetze habe ich Euch Eure Gotteslästerung und Euren Hochmut durchgehen lassen, aber das wird nicht noch einmal geschehen«, sagte Quenthel. »Wenn Ihr noch einmal so mit mir redet, lasse ich Euch die Zunge an der Wurzel herausreißen. Ihr werdet für Euren mangelnden Glauben bestraft werden, Halisstra. Lolth wird Euch dafür unvorstellbare Qualen auferlegen.«

»Wenigstens wäre das ein Zeichen, daß sie noch lebt«, erwiderte Halisstra.

Sie stand auf und begann, ihre Habe einzusammeln. In den Hallen jenseits der Kammer waren beunruhigte Rufe und eilige Schritte zu hören, doch sie nahm davon kaum etwas wahr.

»Die Jaelre kommen«, sagte Danifae. »Sie könnten etwas gegen die Ausweidung Tziriks einzuwenden haben.«

»Ich würde mir lieber nicht den Weg aus der Burg freikämpfen müssen«, erklärte Ryld. »Ich habe genug gekämpft.«

Mit einem kehligen Knurren riß sich Quenthel von Halisstra los und sah sich um. Verärgert biß sie sich auf die Lippe, als ringe sie mit einer Idee, die ihr nicht gefiel. Schließlich murmelte sie einen Fluch und sah zu Pharaun.

»Habt Ihr einen Zauber, der uns hier herausbringt?«

Pharaun verzog den Mund zu einem Grinsen, offenbar zufrieden, daß Quenthel sich so schnell wieder an ihn wenden mußte, wo sie doch gerade eben noch sein Handeln verdammt hatte.

»Es ist zwar etwas gewagt, aber ich glaube, ich kann uns alle von hier wegteleportieren«, sagte er. »Wohin wollen wir? Ich kann uns nicht ungefährdet ins Unterreich zurückbringen, aber sonst ...«

»Hauptsache weg von hier«, erwiderte Quenthel. »Wir brauchen Zeit, um über das nachzudenken, was wir gesehen und erfahren haben und müssen überlegen, was wir als nächstes tun.«

»Die Höhlenöffnung, in der wir ankamen, als wir das Labyrinth durch das Portal verließen«, sagte Valas. »Das ist mehrere Tagesmärsche von hier entfernt, und dorthin reisen nicht viele.«

»Gut«, meinte Quenthel knapp. »Bringt uns hin.«

»Dann faßt Euch an den Händen«, sagte Pharaun.

Er nahm Ryld und Halisstra an die Hand, dann sprach er einen kurzen Satz, während von außen versucht wurde, in die Geheimkammer einzudringen. Im nächsten Augenblick standen sie auf dem kalten, moosbewachsenen Boden der Höhlenöfrhung auf der Lichtung. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Der Himmel im Osten war von einem perlmutternen Grau, kalter Tau lag schwer auf dem Grund ringsum. Das Tal war kahl und freudlos wie beim ersten Mal, als die Gruppe dort ihr Lager aufgeschlagen hatte, was kaum mehr als ein Zehntag her war. Der Schnee war größtenteils geschmolzen, eisiges Wasser floß in Rinnsalen ins Schlundloch und verschwand irgendwo unterhalb des Hügels.

»Da wären wir«, verkündete Pharaun. »Wenn niemand etwas dagegen hat, werde ich mir in der Höhle da unten den bequemsten Flecken suchen und wie ein verdammter Mensch schlafen.«

Er kletterte die rutschigen Felsen nach unten, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Ruht Euch später aus, Magier«, rief Quenthel. »Wir müssen überlegen, was wir als nächstes tun. Wir müssen über die Bedeutung der Dinge reden, die wir sahen und –«

»Was wir sahen, ist ohne Bedeutung«, sagte Halisstra. »Es ist auch nicht wichtig, was wir als nächstes tun. Ich schließe mich Pharaun an.«

Sie brachte die Energie auf, leichtfüßig von Findling zu Findling zu springen, und zog sich in die angenehme und vertraute Finsternis der Höhle zurück.

Hinter ihr kochte Quenthel vor Wut, und Jeggred grollte. Doch Ryld und Valas schulterten ihr Gepäck und folgten Pharaun auch in die Höhle. Danifae wandte sich zu Quenthel um und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Wir sind alle über das beunruhigt, was wir sahen«, sagte sie. »Aber wir sind auch müde. Wir werden klarer denken können, wenn wir uns eine Weile ausruhen konnten. Vielleicht wird uns dann der Wille Lolths klarer sein.«