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»Wie ich sehe, antwortest du diesmal nicht für deine Herrin«, schnaubte Quenthel. »Ich soll deine treulose Anmaßung also damit belohnen, dich im Haus Baenre zu schützen, wenn ich doch weiß, daß du nichts weiter bist als eine opportunistische Natter, die ihre Herrin in dem Moment im Stich läßt, wenn ihr der Sinn danach steht?«

»Ihr urteilt falsch«, sagte Danifae. »Die Tradition, die besten und nützlichsten Adligen eines besiegten Hauses aufzunehmen, ist bei meinem Volk eine Lebensart. Meine Herrin und ...«

In diesem Moment zischten und zuckten die Vipern an Quenthels Peitsche dicht vor Danifaes Gesicht und brachten sie zum Schweigen.

»Ich glaube«, entgegnete Quenthel, »ich urteile richtig. Du bist ein einfältiges Kitz, dem es an der Kraft fehlt, sich davor zu bewahren, die Sklavin einer anderen zu werden. Du bist für mich nichts weiter als nutzloser Schmuck – oder aber du bist eine sehr geduldige und geschickte kleine Speichelleckerin, womit du für mein Haus auch nicht von Nutzen wärst.« Sie lehnte sich zurück und grinste Danifae an. »Vielleicht sollte ich Halisstra von dieser Unterhaltung in Kenntnis setzen. Ich bezweifle, daß deine Herrin erfreut wäre zu erfahren, was du alles in ihrem Namen annimmst. Es geziemt sich nicht.«

»Das ist Euch vorbehalten, Herrin«, sagte Danifae und deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an. »Ihr könnt mit mir verfahren, wie Ihr wollt. Ich kann mich Euch nur zur Verfügung stellen.« Sie hob den Kopf und leckte sich die Lippen. »In meiner Gefangenschaft habe ich verstehen gelernt, was es bedeutet, Macht über einen anderen auszuüben. Wenn ich nicht selbst solche Macht ausüben kann, dann bleibt mir nur, mich in die Obhut einer Frau zu begeben, die diese Dinge auch versteht. Halisstra Melarn ist meine Herrin, aber nur, solange Ihr wollt. Wenn der Zeitpunkt kommt, da Ihr über diese Angelegenheit entscheiden wollt, dann bete ich dafür, daß Ihr mir Gelegenheit gebt, Euch meine Nützlichkeit zu demonstrieren und als Eure Sklavin zu leben. Ihr versteht es weit besser als meine Herrin, Macht auszuüben.«

»Hör auf mit deinen sinnlosen Schmeicheleien, Mädchen«, fuhr Quenthel sie an, erhob sich und baute sich bedrohlich und mit einem Lächeln auf den Lippen vor der Dienerin auf. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich sehe, was sich hinter deinem schönen Gesicht abspielt. Außerdem ist die Wertschätzung des Schweigens die einzige Tugend, die ich bei denen als angenehm empfinde, die ich unter meine Obhut nehme.«

»Ich flehe Euch an, Herrin«, murmelte Danifae. Sie beugte sich vor, um das Gesicht an Quenthels Oberschenkel zu schmiegen, und schlang mit geschlossenen Augen die Arme um die Knie der Baenre. »Ich täte alles, um Eure Gunst zu erlangen. Ich flehe Euch an.«

Quenthels schlangenköpfige Peitsche wand sich und vergrub sich in Danifaes silbernem Haar. Die Herrin der Akademie stand schweigend da und lächelte noch immer kühl. Als sie nach unten griff und mit einer Hand sanft Danifaes Kinn anhob, beugte sie sich zugleich vor und sah ihr tief in die Augen.

»Hör zu«, flüsterte Quenthel. »Ich weiß genau, welches Spiel du spielst, aber du wirst nicht gewinnen. Die Frauen des Hauses Baenre sind aus härterem Zeug gemacht als die des Hauses Melarn. Genieße jeden Herzschlag, dummes Mädchen, denn in dem Augenblick, in dem ich dich nicht mehr amüsant finde, endet dein Leben.«

Quenthel löste sich aus der Umklammerung und entfernte sich, um wieder ungeduldig in der Kammer auf und ab zu gehen. Danifae erhob sich und kehrte dorthin zurück, wo sie sich befunden hatte, als Halisstra gegangen war. Sie kniete sich huldvoll hin und sammelte sich, um zu warten.

Halisstra atmete im Schatten des Gangs langsam aus und zwang ihre Gliedmaßen, wieder Ruhe zu finden. Ihr war nicht klar gewesen, wie sehr sie sich angespannt hatte.

Was soll ich damit anfangen? überlegte sie.

Mehr als einmal hatte sie sich in den vielen Jahren Danifaes Schönheit bedient, um sich eine Gunst zu sichern. Wenn sie Danifae zur Rechenschaft zog, wieso sie es gewagte hatte, in Halisstras Abwesenheit auf Quenthel zuzugehen, dann konnte sie sich die Antwort schon jetzt denken. Danifae würde behaupten, sie habe nur herausfinden wollen, wie Quenthel zu Halisstra stehe, indem sie die bröckelnde Loyalität zum Haus Melarn vortäuschte – eine plausible Entschuldigung, um sich Quenthel unter diesen Umständen zu nähern. Danifae konnte darauf beharren, sie habe Quenthel nur gesagt, was sie hatte hören wollen, um in Erfahrung zu bringen, ob es für sie und ihre Herrin einen Platz im mächtigen Haus der Priesterin gab. Wahrscheinlich würde sie dann eine ganze Reihe unterwürfiger Entschuldigungen folgen lassen und Halisstra bitten, sie zu töten, wenn ihr Handeln aus irgendeinem Grund den Mißfallen ihrer adligen Herrin erregt haben sollte.

Aber war auch anzunehmen, daß Danifae sich nicht unter falschen Voraussetzungen Quenthel genähert hatte? Wenn die Dienerin einen Weg fand, sich von dem Bindezauber zu befreien, der sie zur Gefangenen machte, dann würde sie dafür Quenthels Zustimmung benötigen, da sie ansonsten die Freiheit womöglich auf Kosten ihres Lebens erlangte. Es war durchaus möglich, daß nur die tödliche Launenhaftigkeit einer hochgeborenen Priesterin Danifae davon abhielt, um die Auflösung ihrer Unterwerfung zu bitten. Sollte Danifae ihre Freiheit erlangen und darauf hoffen, daß Quenthel ihr diese Freiheit weiterhin garantierte, dann konnte es durchaus sein, daß die Baenre sich entschied, die Frau allein wegen dieser Anmaßung zu vernichten. Jeder Drow wäre es ein Vergnügen, den Träumen einer Sklavin Nahrung zu geben, um sie dann in einem Augenblick finsterer Lust zu zerschmettern.

Noch vor einem Tag hätte Halisstra Danifae als ihren kostbarsten Besitz bezeichnet. Sie war nicht nur zu unerschütterlicher Loyalität verpflichtet, sondern sie diente sogar als Vertraute, vielleicht sogar als ihre Freundin – auch wenn ihre Treue bloß die Folge eines Zaubers war. Sie hatten vieles geteilt und gemeinsam zahlreiche Intrigen geplant. Danifae war ihr bereitwillig in ihr selbstauferlegtes Exil gefolgt, hatte freiwillig ihre Leiden mitgetragen und ihren Dienst fortgesetzt. Natürlich hätte sie einen schrecklichen Preis dafür gezahlt, wenn sie nach Halisstras Flucht im Haus Melarn geblieben wäre. Aber war sie ihr etwas zu bereitwillig gefolgt?

»Hier stehe ich und habe Angst davor, meine Dienerin zur Rede zu stellen oder zu disziplinieren«, hauchte Halisstra. »Lolth hat mich wahrhaft tief sinken lassen.«

Halisstra hatte die Kälte in ihrem Herzen wieder unter Kontrolle und kehrte behutsam zu Ryld zurück. Der Appetit war ihr vergangen, doch sie durfte keinen Verdacht aufkommen lassen. Also machte sie erneut kehrt und begab sich ins Versteck der Gruppe, wobei sie sich ein leises Schlurfen ihrer Stiefelsohlen auf dem sandbedeckten Steinboden erlaubte, das sich in der Totenstille der Kammer fortpflanzte. Quenthel und Danifae sollten glauben, daß sie nichts mitbekommen hatte, doch von nun an würde sie die beiden noch genauer im Auge haben.

Nimor Imphraezl war auf seinem Weg durch die prachtvollen Paläste und zerklüfteten Stalagmiten von Qu’ellarz’orl, hatte den Piwafwi eng um sich gezogen und die Kapuze hochgeschlagen. Er trug das Abzeichen eines Kaufmanns und gab sich als wohlhabender Bürgerlicher aus, der geschäftlich auf dem Hochplateau der hochmütigsten Adelshäuser Menzoberranzans unterwegs war. Es war keine gute Tarnung, denn jeder, der seine selbstbewußte Gangart und sein schmissiges Auftreten aufmerksam beobachtete, würde ihn auf Anhieb als einen adligen Drow erkennen. Diese Art der Verkleidung war bei hochwohlgeborenen Männern nichts Ungewöhnliches, wenn sie unerkannt bleiben wollten. Mit dem einen oder anderen ihm zur Verfügung stehenden Zauber hätte er so gut wie jedes Aussehen annehmen können, das ihm in den Sinn kam, doch Nimor hatte schon vor langer Zeit entdeckt, daß die einfachsten Tarnungen oft die besten waren. Die meisten Drow-Häuser wurden durch Verteidiger bewacht, die sofort merkten, wenn sich ihnen jemand näherte, der den Schleier einer Illusion um sich gelegt hatte. Eine gewöhnliche Tarnung zu durchschauen, erforderte dagegen einen weltlichen Scharfsinn, den manche Drow vergessen hatten.