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Zwei Soldaten der Baenre kamen ihm entgegen und betrachteten ihn neugierig und mit einem gewissen Argwohn. Nimor verbeugte sich tief und sprach einen gefälligen Gruß. Die beiden sahen noch ein- oder zweimal über die Schulter nach ihm, doch dann widmeten sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten. Junge Baenre-Männer waren zögerlich geworden, wenn es darum ging, einen Streit vom Zaun zu brechen, es sei denn, sie waren sich ihrer Sache wirklich sicher. Nimor machte auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel noch einen Umweg, damit er sichergehen konnte, daß sie nicht auf die Idee gekommen waren, ihn zu verfolgen. Nach einem letzten scharfen Knick, mit dem er jeden Verfolger abschütteln würde, wandte er sich dem von hohen Mauern umgebenen Palast zu, der nahe dem Zentrum der Hochebene stand, und näherte sich dem festungsähnlichen Tor.

Agrach Dyrr, das fünfte Haus Menzoberranzans, erstreckte sich in und um neun nadelgleiche Felstürme, die am Rand eines großen Grabens gelegen waren. Jeder spitz aufragende Fels war mit seinem Nachbarn durch eine elegante Wand aus mit Diamantspat verstärktem Stein, die unglaublich schlank und extrem fest war, verbunden. Schwebende Strebepfeiler, die Klingen glichen und hübsch anzusehen waren, bildeten eine Verbindung zwischen den natürlichen Türmen und jenen von Drow-Hand geschaffenen, eine dicht gedrängte Ansammlung von Minaretten und Spitzen inmitten der Anlage, die sich viele hundert Meter über der Ebene in die Höhe erstreckte. Eine Brücke ohne Geländer überspannte in einem einzigen eleganten Bogen die Kluft, die das Bauwerk umgab.

Nimor erklomm die Brücke und näherte sich gut sichtbar. Am anderen Ende versperrten ihm mehrere Schwertkämpfer und zwei kompetent wirkende Magier den Weg.

»Halt«, rief der Mann am Tor. »Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?«

Der Assassine blieb stehen. Er spürte die unzähligen Mordwerkzeuge, die auf ihn gerichtet waren, als könnte er auf die Idee kommen, irgendeine völlig unangemessene Antwort zu geben.

»Ich bin Reethk Vaszune, Händler in magischen Ingredienzen und Reagenzien«, erklärte er und verbeugte sich, während er seine Arme ausbreitete. »Ich bin vom Alten Dyrr bestellt worden, um über einen Kauf meiner Waren zu sprechen.«

Der Hauptmann am Tor wurde gelassener und sagte: »Der Meister hat uns Euer Kommen angekündigt. Kommt.«

Nimor folgte dem Hauptmann durch eine Reihe ausladender Empfangssäle und hoher, ein deutliches Echo werfender Räumlichkeiten bis ins Herz des Schlosses von Agrach Dyrr. Dort wies der Hauptmann auf einen kleinen Warteraum, der mit exotischen Korallen und Kalkstein kunstvoll ausgestattet war, die alle an die Motive der Kuo-toa angelehnt waren, jener Fischwesen, die in manchen Seen des Unterreiches lebten. Der Raum, der exotisch genug war, um den Reichtum und Geschmack des Hauses zu belegen, strahlte Arroganz aus.

»Ich bin darüber informiert, daß Meister Dyrr in Kürze zu uns stoßen wird«, sagte der Hauptmann der Wache.

Im nächsten Moment öffnete sich lautlos eine Geheimtür in der gegenüberliegenden Wand, dann tauchte der Alte Dyrr auf. Der uralte Magier war wahrhaft alt und auch altersschwach, ein Anblick, wie man ihn von einem Elf nicht gewöhnt war, von einem Drow ganz zu schweigen. Er stützte sich auf einen Stab aus schwarzem Holz, und seine ebenso schwarze Haut schien so dünn und empfindlich wie Pergament. In den Augen des Mannes brannte ein heller, kalter Funke, der andeutete, daß Ehrgeiz und Lebenskraft trotz des hohen Alters noch immer in vollem Umfang vorhanden waren.

»Wir sind erfreut, Euch so schnell wiederzusehen, Meister Reethk«, erklärte der alte Drow mit rauher Stimme. »Hattet Ihr Gelegenheit, die Dinge zu erwerben, über die wir gesprochen haben?«

»Ich denke, Ihr werdet zufrieden sein, Meister Dyrr«, antwortete Nimor.

Er sah den Hauptmann an, der wiederum seinen Blick auf den alten Magier gerichtet hatte, um sicher sein zu können, daß er wegtreten durfte. Dyrr schickte ihn mit einer flüchtigen Handbewegung fort, dann beschrieb der Magier eine andere Geste und sprach ein arkanes Wort, woraufhin der Raum von einer Sphäre aus wabernder Schwärze umgeben wurde, die wie ein Lebewesen leise fauchte und stöhnte.

»Ich hoffe, du wirst mir vergeben, daß ich Vorkehrungen treffe, um sicherzustellen, daß unsere Unterhaltung unter uns bleibt, Junge«, keuchte der alte Drow. »Lauschen scheint uns in die Wiege gelegt zu sein.«

Er schlurfte zu einem kunstvoll geschnitzten Stuhl und setzte sich langsam hin, wobei es ihm nichts auszumachen schien, daß er damit Nimor sein ungeschütztes Genick als Ziel bot.

»Eine sinnvolle Maßnahme«, sagte Nimor.

Der Alte stellt für mich keine Gefahr dar, dachte der Assassine. Entweder vertraut er mir – was eher unwahrscheinlich ist –, oder er ist sich seiner Sache sehr sicher. Wenn seine Zuversicht so groß ist, daß er sich mit mir hier einschließt, dann hat er keine Vorstellung von meiner Kraft, oder aber ich schätze ihn völlig falsch ein.

»Es ist Zuversicht, Junge«, erklärte der Alte plötzlich, »und du schätzt mich völlig falsch ein, weil wir beide mehr sind, als es den Anschein hat.« Dyrr lachte feucht und rasselnd. »Ich kenne deine Gedanken. Ich bin nicht durch Sorglosigkeit so alt geworden. Nun setz dich. Wir lassen die Spiele bleiben und kommen zum Geschäft.«

Nimor spreizte in einer Geste der Fügung die Hände und nahm gegenüber dem Alten Platz. Sorgfältig ordnete er seine Gedanken und versteckte seine dunkleren Geheimnisse an einem Ort, mit dem er sich nicht befassen würde, solange Dyrr bei ihm war und seine Gedanken las. Statt dessen konzentrierte er sich ausschließlich auf die anstehende Angelegenheit.

»Ihr habt zweifellos vom unerfreulichen Ende der Muttermatrone des Hauses Faen Tlabbar gehört«, sagte der Assassine, »und von ihrer Tochter Sil’zet.«

»Es ist mir nicht entgangen. Die Tlabbars beklagten sich lautstark beim Rat. Was haben sie nur erwartet, zu welcher Reaktion sie die anderen Muttermatronen würden veranlassen können?«

»Vielleicht war die Trauer übermächtig«, gab Nimor zurück.

Langsam griff er in eine Tasche an seiner Seite – so langsam, daß der Magier auf diese Bewegung aufmerksam werden konnte – und holte eine Platinbrosche hervor, die das doppelt geschwungene Symbol Faen Tlabbars aufwies und mit einem dunklen Rubin geschmückt war. Nimor legte sie auf den Tisch.

»Das Hausemblem der Muttermatrone, das ich für Euch als Andenken an mich nehmen konnte. Ich hoffe, Ihr seid gegen jede Ausspähung gut abgeschirmt, Meister Dyrr. Zweifellos werden die Tlabbar all ihre Magie einsetzen, um dieses Emblem zu finden.«

»Dumme Kinder, die im Dunkeln tappen«, murmelte Dyrr. »Vor fünfhundert Jahren hatte ich mehr über die Kunst vergessen, als all deren Magier in ihrer Ausbildung hinweg über Jahre haben entziffern können.«

Er streckte eine fast skelettartige Hand aus und nahm die Brosche an sich.

»Ich bin sicher, Ihr habt Mittel und Wege, um die Echtheit dieser Brosche zu bestätigen.«

»Ich glaube dir auch so, Assassine. Ich glaube nicht, daß du mich betrogen hast, doch werde ich mich zur Sicherheit später noch damit befassen.«

Der Magier legte die Brosche wieder weg und lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten. Nimor wartete geduldig, während Dyrr es sich bequem machte und mit einem seiner langen, schmalen Finger auf seinen Stab klopfte und zufrieden lächelte.

»Nun«, sagte der Alte schließlich. »Bei unserem letzten Treffen verlangte ich von dir, unter Beweis zu stellen, wie lang und wie stark der Arm deiner Bruderschaft ist, indem du einen Feind meines Hauses aus dem Weg räumst, und ich darf annehmen, daß du exakt das getan hast. Jetzt hast du meine Aufmerksamkeit. Was also wollen die Jaezred Chaulssin von Haus Agrach Dyrr?«

Nimor rutschte auf seinem Platz umher und warf dem Magier einen stechenden Blick zu. Dyrr war tatsächlich sehr gut informiert, wenn er diesen Namen kannte. Nur wenigen außerhalb Chaulssins war er bekannt, und Nimor hatte sogar ganz gezielt vermieden, ihn ins Spiel zu bringen, als er mit dem alten Fürsten zum ersten Mal Kontakt aufgenommen hatte. Er fragte sich, welche Hinweise der Magier hatte entschlüsseln können. Auch fragte er sich, ob Dyrr im Besitz dieses Wissens sein durfte.