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»Sei nicht voreilig«, warnte Dyrr ihn. »Du hast nichts verraten, was ich nicht schon längst wußte. Ich bin mir schon lange des Hauses der Schatten bewußt.«

»Ich bin beeindruckt«, sagte Nimor.

»Im Gegenteil, du glaubst, ich prahlte, ohne etwas zu wissen«, widersprach Dyrr kühl lächelnd. »Ich neige nicht zum Bluffen oder Raten. Es ist lange her, daß ich zum ersten Mal auf ein Muster an Aktivitäten aufmerksam wurde, das eine große Anzahl an Städten unserer Rasse einbezog und das auf die Existenz einer geheimen Liga zwischen nur scheinbar schwachen, da niederen Häuser schließen ließ, von denen jedes für das Geschick seiner Assassinen bekannt ist und über die behauptet wird, sie würden von Männern geführt, die alle untereinander heimliche Verbündete sind. Diese Familien, die normalerweise von ihren ehrgeizigen matriarchalischen Rivalen geschluckt worden wären, konnten durch den praktischen, brutalen Tod eines jeden auftauchenden Feindes überleben. Allerdings empfinde ich es als ironisch, daß jedes Haus der Jaezred Chaulssin per Definition von der Stadt, die das Pech hat, es zu beherbergen, als übelste Sorte von Verrätern betrachtet werden muß. Das eigene Haus über die eigene Stadt zu stellen, ist keine besonders ungeheuerliche Sünde. Aber es ist eine andere Sache, wenn man einem Haus in einer anderen Stadt seine Loyalität einräumt, findest du nicht auch?«

Nimor achtete darauf, daß ihm keine unpassenden Gedanken durch den Kopf gingen, als er sagte: »Ihr scheint all unsere Geheimnisse zu kennen.«

Eindringlich betrachtete er Dyrr, während er versuchte, nichts von den Berechnungen erkennen zu lassen, mit denen er sich auf andere Gedanken brachte.

»Nicht alle«, erwiderte Dyrr. »Ich gäbe viel dafür zu erfahren, wie deine Bruderschaft in ihren Häusern für Ordnung sorgt, wo eure wahre Stärke liegt und wer über euren Bund herrscht. Ihr nennt euch nach der Stadt Chaulssin, über die sich vor vielen hundert Jahren ein Schatten legte. Ich frage mich, welche Bedeutung euer Name hat.«

Er weiß mehr, als wir zulassen können, dachte Nimor und sah auf. Ihm wurde bewußt, daß Dyrr diesen Gedanken bemerkt haben mußte. Der Alte betrachtete ihn einfach mit seinem trüben Blick und nickte. Der Assassine bekam seine Gedanken wieder unter Kontrolle und entschied, das Thema zu wechseln.

»Um unserer Freundschaft willen gebe ich mit allem nötigen Respekt zu bedenken, daß es am besten für alle Beteiligten wäre, wenn Ihr mit Eurem Wissen nichts unternehmt, was irgend jemanden aufmerksam werden lassen könnte. Wir sind der festen Überzeugung, daß unsere Geheimnisse am besten das bleiben, was sie sind – geheim.«

»Ich werde tun, was ich will. Jedoch möchte ich mir nicht eure Feindschaft einhandeln. Ich glaube, es wäre unangenehm, die Jaezred Chaulssin zum Feind zu haben.«

»Es wäre nicht unangenehm. Es wäre tödlich.«

»Vielleicht. Jedenfalls werde ich eure Geheimnisse wahren.«

Dann lachte der Alte leise und umklammerte mit seinen ausgezehrten Händen den Stab. »Nun gut, kommen wir zum Geschäft, Junge. Du und deine Freunde, ihr habt mit dem Mord an Muttermatrone Tlabbar, der Feindin meines Hauses, bewiesen, wozu ihr fähig seid. Ich bin beeindruckt. Was wollt ihr?«

»Ich brauche einen Verbündeten in Menzoberranzan, Meister Dyrr, und ich habe den starken Verdacht, daß Ihr dieser Verbündete sein könntet.« Nimor beugte sich vor und grinste. »Es spielen sich Dinge in dieser Stadt ab, die zum Niedergang der Häuser über Euch führen werden. Wenn Ihr Euch entscheidet, daran teilzuhaben, dann werdet Ihr sehen, daß sich dem Haus Agrach Dyrr die große Gelegenheit bietet, weitestgehend so über die Stadt zu herrschen, wie es Euch beliebt. Wir glauben, Ihr könnt uns helfen, Menzoberranzan durch die schwierigen Zeiten zu steuern, die vor uns liegen.«

»Was, wenn wir uns weigern? Werden wir dann sterben?«

Nimor zuckte die Achseln.

»Angesichts der derzeitigen ungewissen Lage«, sagte Dyrr, »habe ich Vorbehalte, mich einer Sache zu verschreiben, über die ich kaum etwas weiß.«

»Verständlich. Ich werde es Euch erklären, doch ich hoffe, daß Ihr es in solch ungewissen Zeiten als weise erachten werdet, aggressiv und entschlossen vorzugehen, um die Gewißheit zu erreichen, an der Euch gelegen ist. Stellt Eure Visionen über die Ereignisse, anstatt zuzulassen, daß die Ereignisse Eure Phantasie einengen.«

»Leicht gesagt, Junge, aber schwierig in die Tat umzusetzen«, meinte Dyrr.

Der Alte versank für eine ganze Weile in tiefes Schweigen und betrachtete mit haßerfülltem, starrem Blick sein Gegenüber. Nimor hielt dem Blick stand, doch er stellte sich abermals die Frage, über welche verborgene Kraft dieser Magier verfügen mochte. Wieder lächelte Dyrr, da er Nimors Gedanken gelesen hatte.

»Nun, Prinz von Chaulssin. Ihr habt meine Neugier geweckt. Erklärt mir präzise, was Ihr meint und was Ihr plant, und dann werde ich Euch sagen, ob das Haus Agrach Dyrr sich hinter Eure mutigen Aktionen stellen kann oder nicht.«

»Kommt zusammen, werte Freunde«, verkündete Pharaun mit einer ausholenden Geste, »dann werde ich Euch einige Dinge erklären, die Ihr besser nicht vergessen solltet, wenn wir uns in den Schatten bewegen.«

Der Magier stand in der Mitte des Raums, die Arme gefaltet, und ließ nach der verzweifelten Flucht des nahezu abgelaufenen Tages keine Spur von Erschöpfung oder Hoffnungslosigkeit erkennen. Er war kurz vor Sonnenuntergang aus seiner Träumerei erwacht und hatte fast eine Stunde damit zugebracht, Dutzende von Zaubern aus seinen gesammelten Bänden vorzubereiten.

Zwar machte sich keiner der Anwesenden die Mühe, sich zu nähern, dennoch richteten alle ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Pharaun grinste erfreut darüber, daß jeder von ihm Notiz nahm. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken, als würde er irgendwelchen Schülern in Sorcere einen Vortrag halten, und begann: »Sobald wir bereit sind, werde ich uns auf einen Weg führen, der am Rand entlangführt – dem Rand der Ebene der Schatten. Wir werden zügig reisen, und kleinere Hindernisse wie verschneite Gebirge, hungrige Monster und dickköpfige Menschen werden kein Thema sein. Ich gehe davon aus, daß wir zehn bis zwölf Stunden marschieren müssen, ehe wir Mantol-Derith erreichen, vorausgesetzt natürlich, ich verlaufe mich nicht und führe Euch alle in ein grausiges Ende auf einer wilden Ebene weit weg von Faerûn.«

»Deine Worte machen mir keinen Mut, Pharaun«, seufzte Ryld.

»Oh, ich habe mich noch nie im Tiefschatten verirrt, und ich kenne auch keinen Magier, dem das je widerfahren ist. Natürlich würde man auch nie wieder von einem Kollegen hören, dem etwas Derartiges widerfährt, daher kann es natürlich sein, daß sich durch einen Fehltritt beim Schattenwandeln das Verschwinden eines jungen Magiers erklären ließe, den ich mal kannte und der ...«

»Zur Sache«, herrschte Quenthel ihn an.

»Gut. Es gibt zwei wichtige Dinge, an die diejenigen unter uns denken müssen, für die dieses Unternehmen eine Herausforderung darstellt. Erstens: Zwar müssen wir uns nicht vor Schwierigkeiten fürchten, während wir uns durch diese Welt bewegen, doch wir genießen keinen speziellen Schutz vor den Gefahren auf der Ebene der Schatten. Es gibt dort Dinge, die sich gegen unsere Durchreise aussprechen werden, wenn sie auf uns stoßen. Ich begegnete selbst einer solchen Kreatur, als ich das letzte Mal auf diese Weise reiste – und fast wäre es für mich das letzte meiner wunderbaren Abenteuer geworden.«

Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Zweitens, und das ist das wichtigste überhaupt: Verliert mich nie aus den Augen. Bleibt dicht hinter mir und folgt genau meinem Weg. Wenn Ihr den Kontakt zu mir verliert, während wir uns auf der Ebene der Schatten bewegen, werdet Ihr wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit durch diese düstere Einöde wandern – oder solange, bis Euch irgend etwas Schreckliches verspeist, was wahrscheinlich eher passieren wird. Ich muß mich die ganze Zeit über völlig darauf konzentrieren, den Zauber aufrechtzuerhalten und am Rand entlangzugehen. Also macht Ihr es mir bitte nicht allzuleicht, Euch zu verlieren – es sei denn, ich kann einen von Euch nicht leiden. Dann steht es Euch frei, Euch nach Belieben in Tiefschatten umzusehen.«