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»Wir sind nur zwei bis drei Kilometer von dieser Höhle entfernt, die als Mantol-Derith bekannt ist?« fragte Halisstra und deutete auf die Skizze.

»Ja«, antwortete Valas.

»Egal, welchen Weg wir wählen, müssen wir diesen Ort auf jeden Fall passieren?«

Der Bregan D’aerthe-Späher nickte nur bestätigend.

»Dann sollten wir sehen, was wir in der Handelshöhle erfahren können, ehe wir uns entscheiden«, überlegte Halisstra. Sie spürte Quenthels Blick auf sich ruhen, doch sie sah die Baenre nicht an. »Es könnte dort Duergar-Kaufleute geben, die auf unsere Frage eine Antwort wissen. Wenn nicht ... nun, wir müssen ohnehin unsere Vorräte auffüllen, ehe wir uns in die Weiten des Unterreiches begeben.«

»Ein vernünftiger Vorschlag«, bemerkte Pharaun. »In der Stadt der Klingen sind ein Dutzend Handelsgesellschaften angesiedelt. Spricht nicht vieles dafür, daß die Duergar, mit denen wir in Ched Nasad zu tun hatten, von einem Drow-Haus angeheuert wurden, aber keine besondere Verbundenheit zu Gracklstugh hatten?«

»Sie haben im Auftrag Gracklstughs gehandelt, als sie die Stadt zerstörten«, sprach Quenthel mit finsterem Tonfall. Sie richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften, den Blick immer noch fest auf den Boden gerichtet. Einen Moment lang überlegte sie, dann verwischte sie mit dem Fuß die Skizze. »Nun gut, wir werden ja sehen, was wir in Mantol-Derith herausfinden können. Ich glaube nicht, daß wir Zeit zu verschenken haben, und wenn wir uns einen Umweg von zwanzig oder dreißig Tagen ersparen können, dann sollten wir das auch machen. Doch sobald wir irgend etwas hören, was darauf hindeutet, daß Gracklstugh für uns tabu sein könnte, werden wir uns in die Einöde begeben.«

Valas Hune nickte und sagte: »Sehr wohl. Ich vermute, es wird uns möglich sein, Durchlaß zu erlangen, es sei denn, die Duergar liegen im Krieg mit Menzoberranzan. Ich habe schon zuvor mit Grauzwergen zu tun gehabt, und es gibt nichts, was sie nicht hergäben, wenn der Preis stimmt. Ich werde in Man-tol-Derith nach einem Duergar-Führer Ausschau halten und zusehen, was ich in Erfahrung bringen kann.«

»Nun gut«, sagte Quenthel. »Bringt uns zu den Duergar, und wir ...«

»Nein, Herrin, nicht ›wir‹«, sagte der Späher. Er stand auf und wischte sich die Hände ab. »Die meisten Duergar haben für Drow nicht viel übrig, erst recht nicht für Vertreter des Adels und vor allem nicht für Priesterinnen Lolths. Eure Anwesenheit würde alles nur unnötig komplizieren. Es wäre am besten, wenn ich allein die Verhandlungen führen würde.«

Quenthel machte eine finstere Miene.

Jeggred, der dicht hinter ihr stand, polterte: »Ich könnte ihn begleiten und ein Auge auf ihn haben.«

Kaum hatte er ausgesprochen, begann Pharaun schallend zu lachen. »Wenn schon eine Priesterin Lolths einen Grauzwerg nervös macht, was glaubst du dann, welche Wirkung du hättest?«

Der Draegloth warf sich in die Brust, aber Quenthel schüttelte den Kopf, dann sagte sie: »Nein, er hat recht. Wir werden uns einen Platz suchen, an dem wir warten und vielleicht Neuigkeiten in Erfahrung bringen können, während Valas sich um die Einzelheiten kümmert.«

Sie gingen weiter, und nach kurzer Zeit hatten sie Mantol-Derith erreicht. Der Ort war erheblich kleiner, als Halisstra es erwartet hätte – eine Höhle, die um die zwanzig Meter hoch und vielleicht doppelt so breit war, sich dafür aber über viele Hunderte Schritt durch das Gestein wand und schlängelte. Sie war den großen Canon Ched Nasads gewöhnt, und in den Geschichten, die sie über andere Zivilisationen gehört hatte, war immer von gewaltigen Höhlen die Rede, die sich über Meilen erstreckten. Mantol-Derith wäre in einer Drow-Stadt nicht mehr als eine Nebenhöhle gewesen.

Sie war auch nicht annähernd so dicht bevölkert, wie Halis-stra gedacht hatte. Auf den Marktplätzen in ihrer Heimatstadt hatte immer reges Treiben geherrscht, bürgerliche Drow und die Sklaven der Adligen waren unterwegs gewesen, um ihre Besorgungen zu machen. Der Markt einer Drow-Stadt war üblicherweise von Energie und Aktivitäten erfüllt, auch wenn diese Aspekte auf eine spezielle Weise verdreht waren, um dem ästhetischen Empfinden der Drow-Gesellschaft zu entsprechen. Mantol-Derith war dagegen ruhig und abstoßend. Hier und da saßen oder hockten kleine Gruppen von Kaufleuten in der langgestreckten Höhle, die Waren hinter ihnen sicher in Kisten und Fässern verstaut, statt sie vor sich ausgebreitet zu präsentieren. Niemand rief etwas, niemand feilschte oder lachte. Wenn Geschäfte abgeschlossen wurden, geschah das dem Anschein nach im Flüsterton und im Schatten.

Geschöpfe vieler unterschiedlicher Völker kamen in Mantol-Derith zusammen. Eine ganze Reihe von Drow-Kaufleuten, die zum größten Teil aus Menzoberranzan stammten, wenn Halisstra die Wappenschilder an ihren Waren richtig deutete, beanspruchten verschiedene Winkel in der Höhle. Gedankenschinder glitten sanft von hier nach da, ihre bläulich-violette Haut glänzte feucht, und unter den Gesichtern der Kopffüßer zuckten Tentakel. Eine Handvoll finster dreinblickender Svirfnebli saß an einer Stelle zusammengekauert und betrachtete die Drow mit unverhohlener Ablehnung. Natürlich waren die Duergar in großer Zahl vertreten. Die hageren, kleinwüchsigen, breitschultrigen Grauzwerge kamen in geheimen Kabalen zusammen und unterhielten sich leise in ihrer gutturalen Sprache.

Halisstra ging hinter Pharaun und betrachtete aufmerksam jede Gruppe, die sie passierten. Ihr fiel auf, daß der Magier sich heimlich per Zeichensprache mit Valas unterhielt, während sie tiefer in den Markt vordrangen.

Es sind nicht viele Händler hier, stellte der Magier fest. Wo sind sie alle?

Valas warf einen flüchtigen Blick über die Schulter, um sicher sein zu können, daß Quenthel nicht in seine Richtung blickte, dann antwortete er: Chaos in Menzoberranzan bedeutet, daß weniger Käufer kommen. Kommen weniger Käufer, kommen auch weniger Händler. Anarchie scheint schlecht fürs Geschäft zu sein.

Valas machte eine Gruppe von Duergar aus und sagte zu den anderen aus seiner Gruppe: »Geht voraus. Ein Stück weiter vorn werdet Ihr eine Art Gasthaus finden. Ich werde Euch in Kürze dort treffen.«

Ruhig näherte er sich den Duergar und beschrieb eine seltsame Grußgeste, bei der er die Hände vor sich faltete, um dann im Flüsterton mit den Duergar-Kaufleuten zu reden. Der Rest der Gruppe ging weiter.

Sie fanden das »Gasthaus«, von dem Valas gesprochen hatte und das sich als eine feuchte Ansammlung von Höhlen am Südrand Mantol-Deriths erwies. Eine schlechtgelaunte Duergar machte einer Handvoll Goblin-Sklaven das Leben schwer, indem sie sie unablässig von einer Aufgabe zur nächsten scheuchte. Verschiedentlich brannten kleine Feuer an Kochstellen und erhitzten Eisentöpfe, in denen ein dicklicher Eintopf garte, um den sich geplagte Köche kümmerten. Andere Sklaven waren damit beschäftigt, in aller Eile Fässer mit Pilz-Bier oder mit Lager anzustechen, das an der Oberfläche gestohlen worden war. Sie kümmerten sich um die schweigsamen Gäste, die auf flachen Findlingen, die wie Stühle angeordnet waren, um die Feuer Platz genommen hatten. Robuste Türen aus gehärteten Pilzfasern oder rostigen Eisenplatten versperrten den Zutritt zu verschiedenen Öffnungen in den Wänden ringsum. Halisstra vermutete, sie führten zu den Fremdenzimmern des Gasthauses. Die Räumlichkeiten hinter diesen stabilen Türen waren vermutlich sicher, doch sie bezweifelte, daß sie allzu bequem sein konnten.

»Wie ... rustikal«, sagte Halisstra.

Einen entsetzlichen Moment lang fragte sie sich, ob es wohl ihr Schicksal sei, den Rest ihrer Existenz fern ihrer Heimat in einem ähnlichen Loch wie diesem zuzubringen.

»Es ist noch gemütlicher geworden als bei meinem letzten Besuch«, sagte Pharaun mit einem aufgesetzten Lächeln. »Die Zwergin dort ist Dinnka. Ihr werdet feststellen, daß dieses namenlose Gasthaus am Wegesrand die feinsten Unterkünfte ganz Mantol-Deriths zu bieten hat. Man bekommt etwas zu essen, es ist warm, und man hat eine Unterkunft – drei Dinge, die in der Wildnis des Unterreiches nur selten anzutreffen sind – und man muß nur ein kleines Vermögen dafür bezahlen.«