»Geht nicht zu weit fort und bringt Euch nicht in Schwierigkeiten«, sagte Quenthel. »Wenn die Umstände es erfordern, werde ich auch ohne Euch weiterziehen.«
Sie gab Jeggred ein Zeichen und ging auf das Kalte Gießhaus zu, wobei sie beide Frauen aus ihren Gedanken verbannte.
Halisstra konnte sich eines zufriedenen Lächelns nicht erwehren, als Quenthel außer Sichtweite geriet und Jeggred ihr folgte. Sie und Danifae sahen einander kurz an, dann begaben sie sich in die Stadt.
Auch wenn Kohlenhauer beteuert hatte, die Stadt sei für Angehörige aller Rassen offen, vorausgesetzt, sie führten Gold bei sich, konnte Halisstra nicht glauben, daß zwei Drow in Gracklstugh tatsächlich keinen Gefahren ausgesetzt waren. Die kleinen, stämmigen Grauzwerge, die die Straßen bevölkerten, gingen ihren Geschäften mit einer mürrischen Zielstrebigkeit nach, die Halisstra gar nicht gefiel. Keiner von ihnen lachte, tat sich wichtig oder putzte sich heraus. Nicht einmal versteckte Drohungen wurden ausgetauscht. Statt dessen warfen sie jedem einen finsteren Blick zu, den sie passierten, selbst wenn er einer von ihnen war. Sie stapften durch die Straßen, trugen schwere Kettenhemden, und die Hände ruhten auf den Griffen massiver Äxte und Hämmer, die sie unter den breiten Gürtel geschoben hatten. Erst nachdem Halisstra und Danifae in den Straßen mindestens ein halbes Dutzend anderer Rassen entdeckt hatten, wurde sie etwas ruhiger.
Halisstra blieb zwischen zwei hochragenden Schmelzöfen stehen und sah sich um.
»Da! Ich kann nicht viel Zwergisch, aber ich glaube, diese Schilder werben für Waffenschmiede.«
Sie bogen in die Straße ein, die kaum mehr war als ein Trampelpfad, der sich zwischen den burgenähnlichen Stalagmiten hindurchwand. Nachdem sie die hohen Steinsäulen hinter sich gelassen hatten, gelangten sie auf eine Art Stadtplatz, eine weite, freie Fläche, die von niedrigen, festungsgleichen Gebäuden aus mit Mörtel verbundenem Stein umgeben war. Sie entdeckten ein Schaufenster, in dem Dutzende von Waffen und Rüstungen auslagen, darüber hing das Schild eines Händlers.
»Das sieht vielversprechend aus«, erklärte Halisstra und duckte sich durch die niedrige Tür. Danifae war dicht hinter ihr.
Das Geschäft war vollgepackt mit dem unterschiedlichsten Kampfzubehör, zum größten Teil zwergischer Machart, doch einige Stücke stammten auch von anderen Rassen – schwere eiserne Klingen aus Orog-Fertigung, Kuo-Toa-Rüstungen, die aus den Schuppen einer großen, blassen Fischart bestanden, ein schwarzes Mithral-Kettenhemd aus Drow-Herstellung. Zwei bestens bewaffnete Duergar waren damit beschäftigt, an einer Werkbank gleich neben der Tür eine Rüstung zusammenzusetzen. Sie bedachten Halisstra und Danifae mit mißtrauischen Blicken, als sie die beiden Drow hereinkommen sahen, und sahen wachsam zu, wie die Priesterin und ihre Dienerin das Angebot studierten.
»Herrin Melarn«, rief Danifae.
Halisstra wandte sich um und sah, wie die junge Frau eine gut gearbeitete Kettenrüstung aus Drow-Herstellung betrachtete, in die das Emblem eines unbedeutenderen Hauses eingearbeitet war, dessen Name ihr unbekannt war. Ein passender Rundschild und ein Morgenstern aus schwarzem Stahl hingen gleich daneben. Der Kopf der Waffe war in der Form einer dämonischen Fratze mit gedrehten, dornengleichen Hörnern gearbeitet. Halisstra murmelte unauffällig einen Ortungszauber und lächelte, als sie das Ergebnis sah. Die Waffen waren magisch, zwar nicht überragend gut, aber sie konnte sich nicht vorstellen, anderswo in der Stadt etwas gleichwertiges oder sogar besseres zu finden.
»Was könnt Ihr mir über diese Drow-Waffen sagen?« fragte sie die Ladenbesitzer.
Die Duergar unterbrachen ihre Arbeit. Halisstra bemerkte, daß die zwei einander so ähnlich sahen, daß sie sie kaum auseinanderzuhalten vermochte.
»Trophäe«, krächzte einer der beiden. »Ein Hauptmann im Dienst Fürst Thrazgads hat sie vor ein paar Monaten verkauft. Weiß nicht, woher er sie hatte.«
»Sie sind verzaubert«, sagte der andere. »Sind nicht billig.«
Halisstra ging zur Theke, zog aus ihrer Halsberge einen kleinen Beutel, durchsuchte den Inhalt und wählte einige Smaragde, die sie auf die Theke legte.
»Sind wir uns einig?«
Der Grauzwerg stand auf und kam näher, um die Edelsteine zu begutachten.
Er schnitt eine Grimasse und sagte: »Viel mehr.«
Halisstra hielt seinem Blick stand. Sie hatte nicht viel retten können, als ihr Haus unterging, und konnte das wenige, was sie besaß, nicht einem habgierigen Grauzwerg in den Rachen werfen, vor allem nicht, wenn sich noch andere Wege boten.
»Danifae, sieh dir das Kettenhemd noch einmal an«, sagte sie über die Schulter. »Du sollst dir sicher sein, daß es wirklich das ist, was du haben willst.«
Danifae verstand auf Anhieb und nahm prüfend den Morgenstern in die Hand. Wie von Halisstra erhofft, wurde der zweite Duergar sofort nervös, als er sah, wie ein Drow eine so kostbare Ware einfach in die Hand nahm. Er ließ seine Arbeit liegen und kam näher, um besser sehen zu können, wobei er darauf achtete, daß er Danifae den Weg zum Ausgang versperrte. Die machte sofort eine ganze Reihe von Äußerungen über die Waffe, sprach bewundernd über das Kettenhemd und bezweifelte die Wirksamkeit der Zauber, um den Zwerg in eine Unterhaltung zu verwickeln.
»Das Fünffache des Gewichts dieser Edelsteine ist nötig«, erklärte der Duergar hinter der Theke, »und es müssen gute Steine sein.«
»Gut denn«, sagte Halisstra.
Sie nahm eine Ledertasche vom Rücken und legte sie auf den Tresen. Sie holte vorsichtig ihre Leier heraus, ein kleines, geschwungenes Instrument aus Drachenknochen, bespannt mit Mithral-Draht und mit Mithral-Filigran ziseliert.
»Wie Ihr sehen könnt, ist es ein exquisites Stück«, erläuterte sie.
Sie nahm es zur Hand und spielte es, als wolle sie seine Eigenschaften vorführen, doch gleichzeitig stimmte sie leise ein Bae’qeshel-Lied an. Der Zwerg sah sie erschrocken an und wollte zurückweichen, als ihm klar wurde, daß sie einen Zauber wirkte. Ehe er eine Warnung rufen konnte, hatte ihn die Magie des Liedes bereits umgarnt.
»Was ist los?« rief der andere Duergar.
»Sag deinem Freund, es sei alles in Ordnung«, flüsterte Halisstra. »Ihr wollt die Leier nicht.«
»Alles in Ordnung«, rief der Angesprochene. »Sie bietet eine Leier an, die wir nicht wollen.«
»Natürlich nicht«, murmelte der andere. »Seht Ihr hier vielleicht Musikinstrumente?« Dann konzentrierte er sich wieder auf Danifae, die wissen wollte, wie man an feuchten Orten am besten ein Kettenhemd pflegte.
»Nun«, sagte Halisstra zu dem Zwerg, den sie eingelullt hatte, »wir sind im Moment noch recht weit voneinander entfernt, aber ich bin sicher, wir werden uns einig. Ihr werdet uns die Waffen verkaufen, die meine Zofe begutachtet. Würdet Ihr die Smaragde als Anzahlung nehmen? Ich werde in einigen Tagen wiederkehren, um mit einer beträchtlichen Summe meine noch ausstehende Schuld zu begleichen.«
»Die Steine würden als Anzahlung reichen«, lenkte der Kaufmann ein. »Aber mein Kompagnon wird darüber nicht erfreut sein. Er wird glauben, Ihr würdet nicht zurückkommen.«
»Laßt ihn denken, ich hätte voll bezahlt. Dann wird er Euch in Ruhe lassen«, sagte Halisstra.
Sie überlegte einen Moment, dann beugte sie sich vor und sah dem Zwerg tief in die Augen.
»Wißt Ihr«, sprach sie leise, »wenn Eurem Kompagnon etwas zustieße, dann könntet Ihr Euer Geschäft so führen, wie es Euch zusagt, nicht wahr? Ihr könntet alle Gewinne für Euch allein behalten, nicht?«
Ein habgieriges Funkeln leuchtete in den Augen des Kaufmanns.
»Da habt Ihr recht«, sagte er. »Daß ich nicht schon längst darauf gekommen bin!«
»Geduld«, riet ihm Halisstra. »Es muß nicht sofort sein, es genügt im Lauf des Tages. Noch etwas: Es wäre mir sehr genehm, wenn Ihr niemandem sagen würdet, daß meine Freundin und ich heute bei Euch waren. Wir sollten das für uns behalten.«