»Nimor«, wiederholte Aliisza. »Was immer Euer Anliegen ist, in Ched Nasad habt Ihr sehr durchgreifend für Veränderungen gesorgt. Was plant Ihr für Menzoberranzan?«
Horgar trat nervös von einem Fuß auf den anderen und fragte: »Warum interessiert sich Vhok dafür?«
»Wenn wir gewußt hätten, daß jemand Ched Nasad angreifen würde, dann hätten wir demjenigen womöglich unsere Unterstützung angeboten«, erwiderte Aliisza. »Mein Herr wittert eine Gelegenheit, wenn die Drow von Problemen heimgesucht werden. Wenn jemand vorhat, mit ähnlichen Mitteln gegen Menzoberranzan vorzugehen, könnten wir willens sein, Partner bei unseren Geschäften aufzunehmen.«
Borwald höhnte: »Ich bezweifle, daß das Tiefenkönigreich Verwendung für ein paar Hundert Rabauken hat, die in aus Pilzen gewachsenen Ruinen hausen.«
Aliisza unterdrückte ihren Ärger.
Es sind Duergar, sagte sie sich. Sie sind schroff und unhöflich. So sind sie eben.
»Eure Geheiminformationen sind etwas überholt«, sagte sie. »Mein Herr befehligt mehr als zweitausend kampferprobte Tanarukks, jeder von ihnen mindestens so stark wie ein Oger und dreimal so intelligent. Wir haben Schmieden und Waffenfabriken gebaut, die vielleicht nicht so großartig sind wie die in Gracklstugh, aber ausreichend, um unsere Soldaten mit Waffen und Rüstungen auszustatten. Wir befehligen zudem weitere Truppen – Grottenschrate, Oger, Giganten und ähnliche –, die zahlenmäßig unsere Tanarukk-Legion übertreffen.« Wieder sah sie zu Borwald und fügte an: »Wir verfügen nicht über die Stärke des Tiefenkönigreiches, Feuerhand, aber wir könnten uns einer Armee aus Duergar entgegenstellen, die doppelt so groß ist, und ihnen das Leben schwermachen. Ihr schmäht Kaanyr Vhoks Geknechtete Legion auf eigene Gefahr.«
»Mir ist bewußt, daß Kaanyr Vhok an Stärke gewinnt«, murmelte Horgar und zupfte an seinem Bart. »Sprecht frei. Was will er?«
Wirklich keine Umschweife, beklagte sich Aliisza innerlich. Kaanyr hätte ebensogut einen dummen Oger schicken können, damit er die Nachricht überbringt.
»Kaanyr Vhok will wissen, ob Ihr beabsichtigt, gegen Menzoberranzan zu marschieren. Wenn ja, dann will er sich Euch anschließen. Wie ich bereits sagte, glaube ich, daß die Geknechtete Legion eine wertvolle Verbündete sein könnte.«
»Wir wollten Euch vielleicht gar nicht als Verbündete, wenn wir eine solche Absicht verfolgten«, sagte Horgar. »Wir könnten glauben, stark genug zu sein, um unser Ziel zu erreichen, ohne die Beute teilen zu müssen.«
»Das könntet Ihr glauben«, stimmte Aliisza zu. »Wenn Ihr damit recht hättet, dann wären die Dunkelelfen Menzoberranzans gut beraten, sich nach Verbündeten gegen Euch umzusehen. Ich frage mich, an wen sie sich wenden könnten.«
»Ich würde Kaanyr Vhok zermalmen, wenn er etwas so Dummes versuchte«, knurrte Horgar. »Geht zurück zu dieser Dämonenbrut, die Euer Herr ist, und sagt ...«
»Moment, Prinz«, unterbrach Nimor ihn und trat zwischen Horgar und das Alu-Scheusal. »Wir sollten nichts überstürzen. Wir sollten über die von der Dame Aliisza überbrachte Botschaft sorgfältig nachdenken, ehe wir eine Antwort darauf geben.«
Horgar fauchte: »Ihr schreibt mir nicht vor, wie ich in meinem Königreich die Dinge handhabe, Drow!«
»Natürlich nicht, mein Prinz, aber ich würde diese Frage sehr gerne ausführlicher mit Euch besprechen.« Nimor drehte sich zu Aliisza um und fragte: »Darf ich annehmen, daß Ihr gewillt seid, als Gast des Kronprinzen zu verweilen, während wir über das Angebot Eures Herrn reden?«
Aliisza lächelte. Sie ließ ihre Blicke über die schlanke Statur des Drow wandern. Wenn sich die Gelegenheit ergäbe, dann wäre es ihr sicher möglich, ihm den Nutzen ihres Vorschlags anschaulich zu machen. Dennoch spürte sie, daß dieser Nimor weit mehr war, als man auf den ersten Blick meinen mochte. Leider waren Horgar und sein Marschall wohl nicht so leicht von ihren besonderen Talenten zu überzeugen. Sie konnte durchaus ein oder zwei Tage warten, um zu sehen, ob Nimor erfolgreich darin war, ihre Argumente für sie arbeiten zu lassen.
Der Duergar-Prinz sah sie an und dachte nach. Dann lenkte er ein.
»Ihr könnt so lange bleiben, wie ich über Euer Angebot nachdenke. Ich werde dem Hauptmann auftragen, für ein Quartier für Euch im Palast zu sorgen. Eure Soldaten werden derweil in einer Kaserne bei meinen Wachen untergebracht werden. Ihnen ist der Zutritt zur Burg untersagt.«
»Ich brauche einige Bedienstete.«
»Ihr könnt zwei von ihnen mitnehmen, wenn Ihr wollt. Der Rest geht.«
Horgar warf einen Blick ans Ende des Saals und gestikulierte, woraufhin sein Hauptmann angetrottet kam.
»Wir sprechen uns wieder, wenn ich mich entschieden habe«, erklärte er.
»In diesem Fall werde ich mich für Euch bereithalten«, sagte sie zu Horgar, doch ihre Blicke galten Nimor.
»Heute geht es nicht«, sagte Thummud von Clan Muzgardt zu Ryld, Valas und Kohlenhauer. Der fette Duergar stand mit einem Holzhammer in der Hand da und verschloß soeben ein frisches Faß Pilz-Bier. »Versucht es in ein oder zwei Tagen noch mal.«
Kohlenhauer fluchte, während die beiden Drow argwöhnische Blicke austauschten. Es war Ryld nicht entgangen, daß sich ganz in der Nähe der Stelle, an der Thummud stand, über ein Dutzend Duergar-Brauer aufhielten, die in ihre Arbeit vertieft waren und daß bei vielen von ihnen unter der Kleidung unverkennbar Metall aufblitzte. Der Braumeister pflegte scheinbar keine Risiken einzugehen.
»Das habt Ihr gestern auch gesagt«, sagte Ryld. »Die Zeit drängt.«
»Nicht mein Problem«, erwiderte Thummud. Als er den Deckel festgeklopft hatte, legte er den Hammer auf das Faß. »Ihr müßt warten, ob es Euch paßt oder nicht.«
Valas seufzte und griff nach dem Geldbeutel an seinem Gürtel. Er ließ ihn auffällig klimpern und legte ihn neben sich.
»Darin findet Ihr Edelsteine, die mehr als das Doppelte dessen wert sind, worauf wir uns geeinigt haben«, sagte der Späher. »Sie gehören Euch, wenn wir noch heute die Papiere bekommen.«
Thummud kniff die Augen zusammen. »Jetzt frage ich mich doch, was Ihr wirklich vorhabt«, erwiderte er. »Keine ehrlichen Absichten, da bin ich sicher.«
»Betrachtet es als persönliche Dreingabe«, erklärte Ryld ruhig. »Euer Herr erwartet 200 Goldstücke pro Kopf, und Ihr werdet dafür sorgen, daß er das auch bekommt. Wenn etwas übrigbleibt, muß er davon nichts erfahren, oder?«
»Ich muß Euch sagen, daß Ihr zu jeder anderen Zeit bekämt, was Ihr wollt«, räumte Thummud mit einem Achselzucken ein. »Aber mein Herr hat mir in dieser Angelegenheit klare Vorgaben gemacht. Wenn ich ihn hintergehen würde, indem ich diesen Handel mit Euch mache, würde der alte Muzgardt dafür meinen Kopf fordern.« Der Brauer überlegte einen Moment, dann fügte er an: »Ich glaube, Ihr solltet besser in drei oder vier Tagen wiederkommen. Die Freunde des Kronprinzen treiben sich überall herum, und sie müssen nicht sehen, wie Ihr jeden verdammten Tag herkommt.«
Der stämmige Zwerg wuchtete sich das Faß auf die Schulter und stampfte davon, während die beiden Drow zusammen mit Kohlenhauer inmitten der finster dreinblickenden Brauer zurückblieben.
»Was jetzt?« fragte Ryld an Valas gewandt.
»Geht zurück in Euer Gasthaus«, murmelte Kohlenhauer. »Wenn Ihr hierbleibt, wird sich auch nichts ändern. Kommt in ein paar Tagen wieder.«
»Das wird Quenthel nicht gefallen«, meinte Ryld immer noch zu Valas gewandt.
Valas konnte nur die Achseln zucken.
Die beiden Drow und ihr Führer verließen die Muzgardt-Brauerei, wobei jeder seinen eigenen Gedanken nachging. Sie gingen, bis die Brauerei ein Stück weit hinter ihnen lag.
»Allmählich beginne ich mich zu fragen, ob wir uns nicht einfach selbst einen Passierschein ausstellen sollten«, flüsterte Valas. »So lange würden wir dafür auch nicht brauchen.«
»Keine gute Idee«, wandte Kohlenhauer ein. »Ihr könnt vielleicht einen Schein fälschen, der echt aussieht, aber Ihr benötigt Muzgardts Segen. Wenn man Euch anhält, werdet Ihr warten müssen, bis man überprüft hat, ob Ihr auch den Segen des Clansherrn habt. Den werdet Ihr erst haben, wenn Muzgardt ihn Euch gewährt.«