Im sengenden Schein des Lichtblitzes machte Halisstra etwas aus, das größer und schlanker war als die Minotauren, etwas, das sich hinter der vordersten Reihe aufhielt, eine dämonische Präsenz ... nein ... mehrere Dämonen, die die wütenden Kreaturen weiter vorantrieben. Gewaltige schwarze Flügel hüllten die Geschöpfe in Schatten, ihre dunklen Hörner glühten vor Hitze rot.
Grollen und Bellen erfüllte den Gang, während das Dröhnen von Stahl auf Stahl so schnell und heftig kam, daß Halisstra sich kaum noch selbst hören konnte. »Da hinten sind Dämonen!«
»Ich sehe sie«, erwiderte Quenthel. Sie wich ein paar Schritte zurück und packte Pharaun am Arm. »Könnt Ihr sie bannen?«
»Ich habe keinen solchen Zauber bereit«, gab der Magier zurück. »Außerdem wird es uns nicht aus dieser kleinen Zwangslage retten, wenn ich uns von den Dämonen befreite. Ich denke ...«
»Mich interessiert nicht, was Ihr denkt!« schrie QuentheL »Wenn Ihr die Dämonen nicht bannen könnt, dann versperrt ihnen den Weg!«
Pharaun verzog das Gesicht, gehorchte aber und begann einen weiteren Zauber. Halisstra lud nach und suchte nach einer weiteren Gelegenheit, auf die Angreifer zu feuern. Ryld duckte sich und durchtrennte einem Minotaur die Kniesehnen, der ihn mit einer Axt angriff, die massiv genug war, um einen Amboß zu spalten, dann zog der Kämpfer sein Schwert nach oben und schlitzte den Bauch der Kreatur auf, ehe er sich abrollte. Valas wurde von einer Kette getroffen, die ihm die Beine wegriß. Der Späher rollte sich ab und entging nur knapp dem Schlag seines Gegners, der ihm den Schädel zerschmettert hätte.
Einer oder mehrere Dämonen hinter den anstürmenden Minotauren wirbelten den Drow ein Sperrfeuer aus grünen Feuerkugeln entgegen. Eine von ihnen löste sich auf, als sie mit Quenthels angeborener Widerstandskraft gegen Magie in Berührung kam, zwei andere bescherten Pharaun und Danifae ätzende Brandwunden. Dennoch gelang es dem Magier, seinen Zauber zu Ende zu führen.
Etwas, das Halisstra für eine Art unsichtbare Barriere hielt, zwang die meisten Minotauren und ihre dämonischen Herren zum Rückzug, während einige Kämpfer in vorderster Front mit einem Mal von ihresgleichen abgeschnitten waren. Die Angreifer versuchten, gegen Pharauns unsichtbare Mauer anzurennen und sich mit grobschlächtigen, plumpen Waffen einen Weg zu schaffen, in der Zwischenzeit überwältigten die Drow jene Minotauren, die das Pech hatten, auf ihrer Seite in der Falle zu sitzen.
Innerhalb weniger Augenblicke wurden die Schreie und der Kampfeslärm zu einem dumpfen schwachen Gebrüll der Minotauren auf der anderen Seite der Barriere, die durcheinanderrannten und den Drow mit ihren Waffen drohten. Plötzlich machten alle Minotauren kehrt und hasteten in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Ein Dutzend oder mehr massiger Kadaver wurden auf dem Steinboden zurückgelassen.
Ryld wich zurück und half Valas auf. Jeggred stand keuchend da und blutete aus einem Dutzend kleiner Wunden.
»Wie lange wird die Wand halten?« wollte Quenthel wissen.
»Im besten Fall eine Viertelstunde«, antwortete Pharaun. »Die Dämonen dürften sie durchdringen können, wenn sie es wollten. Aber ich vermute, sie führen die Minotauren durch andere Tunnel, damit sie uns von der anderen Seite her angreifen können. Darf ich vorschlagen, daß wir uns so schnell wie möglich von hier entfernen, ehe wir erfahren, wie sie es anstellen, das Hindernis zu umgehen?«
Quenthel zog die Brauen zusammen, nahm ihr Gepäck und sagte: »Also gut, brechen wir auf.«
Wäre es seine Art gewesen, Sorge zu zeigen, indem er in seinem Arbeitszimmer auf und ab gegangen wäre, dann hätte Gromph in der vergangenen Stunde nichts anderes gemacht als genau das. So aber starrte er in die große Kristallkugel, die im Mittelpunkt seines Ausspähzimmers ruhte und Pharauns Bericht bestätigte. Wie hatte der Meister Sorceres sich gleich noch ausgedrückt?
Gratulation, mächtiger Gromph. Es dürfte Euch interessieren, daß die Armee Gracklstughs gegen Menzoberranzan vorrückt. Wir folgen weiter unserem Weg. Viel Glück!
»Arroganter Laffe«, murmelte Gromph. Der Junge hatte keinerlei Respekt vor Älteren.
Ehe er panisch zu den Muttermatronen stürmte, hatte Gromph natürlich beschlossen, Pharauns Bericht zunächst einmal durch eigenes sorgfältiges Ausspähen und Betrachten nachzugehen. Die milchige Kugel enthüllte vor den Augen des Erzmagiers eine Szene, die eine lange Kolonne marschierender Duergar-Krieger zeigte, die sich den Weg durch das Unterreich bahnten. Riesige Packechsen trugen beträchtliche Vorräte sowie infernalische Kriegsmaschinen. Belagerungseinheiten wurden von langen Reihen von Oger-Sklaven gezogen.
Es war schwierig gewesen, allein diesen Blick auf die vorrük-kende Armee zu werfen, da Duergar-Magier alles unternahmen, um die Bewegungen der Armee ihres Prinzen vor der Ausspähung durch feindliche Magier zu verbergen. Gromph war allerdings ein hervorragender Erkenntniszauberer und hatte zwar eine Weile gebraucht, es letztlich aber geschafft, die Abwehrmechanismen der Duergar-Magier zu durchdringen.
Gromph studierte die Szene gründlich und hielt nach den kleinsten Details Ausschau – dem Emblem der marschierenden Soldaten, der exakten Größe und Beschaffenheit der Tunnel, die sie durchschritten, dem Rhythmus der zwergischen Marschgesänge. Er wollte ganz sicher sein, daß er das Ausmaß und die Unmittelbarkeit der Bedrohung kannte, ehe er den Rat darauf aufmerksam machte, weil er wußte, daß die Muttermatronen davon ausgingen, daß er die Antworten auf all ihre möglichen Fragen ausgespäht hatte. Die beunruhigendste Frage war natürlich, wie lange es wohl gedauert hätte, von der marschierenden Armee zu erfahren, wäre Pharaun nicht zufällig durch Gracklstugh gekommen. Die Duergar konnten die halbe Strecke zwischen den beiden Städten zurückgelegt haben, ehe ein Außenposten oder eine Patrouille auf sie aufmerksam wurde, die weit von Menzoberranzan unterwegs war.
»Verdammt«, grollte der Erzmagier.
Egal ob Menzoberranzan bereit war oder nicht, die nächste Herausforderung an die Stadt sammelte sich gerade hundert-fünfzig Kilometer im Süden in den rauchigen Gruben des Duergar-Reiches. Gromph seufzte und kam zu dem Schluß, daß er sich auch sofort der unerfreulichen Aufgabe stellen konnte, den Rat davon in Kenntnis zu setzen. Er erhob sich, strich sein Gewand glatt und griff nach seinem Lieblingsstab. Es würde ihm nicht gut zu Gesicht stehen, wenn er nicht völlig selbstsicher vor die Muttermatronen trat, schon gar nicht, wenn es sich um so unangenehme Neuigkeiten handelte.
Eben wollte er in den steinernen Schacht im hinteren Teil des Raums eintreten, um sich in seine Gemächer in Sorcere zu begeben, als er ein vertrautes, kribbelndes Gefühl verspürte. Jemand spähte ihn aus – eine bemerkenswerte Leistung, wenn man berücksichtigte, was er alles unternommen hatte, um etwas Derartiges zu verhindern. Gromph machte sich an einen Zauber, der die magische Ausspähung unterbrechen sollte, doch dann hielt er inne. Er war mit nichts befaßt, was er hätte verbergen wollen, und war neugierig, ob wohl ein Duergar-Magier bemerkt hatte, daß Gromph sie ausgespäht hatte.
»Gibt es etwas, das Ihr mir sagen wollt«, fragte er, »oder soll ich Euch dort, wo immer Ihr sitzt, blenden?«
Spart Euch den Zauber, antwortete eine kalte, rauhe Stimme in seinem Kopf. Ich habe schon seit über tausend Jahren keine Augen mehr im Schädel, da bezweifle ich, daß Euer Zauber irgendwelchen Schaden anrichten könnte.
»Meister Dyrr«, sagte Gromph irritiert. »Welcher Ehre verdanke ich den Umstand Eurer Anwesenheit?«
Und wie habt Ihr mich gefunden? fragte er sich, achtete aber darauf, die Frage nicht laut auszusprechen.
Ich will die Unterhaltung fortsetzen, die wir vor einigen Tagen begonnen haben, junger Gromph, erwiderte der Leichnam. Ich will auf mein ursprüngliches Angebot zurückkommen und Euch genauer beschreiben, was mir vorschwebt. Denn wenn ich Euch bitte, mir zu vertrauen, dann werde ich Euch schließlich erst ein Zeichen meines Vertrauens in Euch geben müssen.