»Einen Moment«, gab Ryld zu bedenken. »Was ist mit Herrin Melarn? Sie ist noch irgendwo da hinten.«
»Wahrscheinlich ist sie tot«, erwiderte Valas achselzuckend. »Oder man hat sie gefangengenommen.«
»Sollten wir uns nicht vergewissern, ehe wir von hier aufbrechen?« gab der Waffenmeister zurück. »Ihre heilenden Gesänge sind die einzige Magie dieser Art, die uns verblieben ist. Der gesunde Elfenverstand ...«
»Der gesunde Elfenverstand verlangt, daß wir auf eine Leiche weder Zeit noch Blut verschwenden«, unterbrach Quenthel. »Niemand hat sich um mich gekümmert, als ich ...«
Sie verstummte, stand auf und ging zu Danifae, um ihr beim Anlegen des Verbandes zu helfen.
»Unsere Mission liegt vor uns, nicht hinter uns«, erklärte die Herrin Arach-Tiniliths. »Die Suche ist wichtiger als eine einzelne Drow.«
Ryld rieb sich das Gesicht und sah die anderen an. Valas wich seinem Blick aus und war damit beschäftigt, unnötigerweise die Befestigung seiner Rüstung zu überprüfen. Pharaun betrachtete Quenthel auf eine Weise, die keinen Zweifel daran ließ, daß ihm die Scheinheiligkeit der Priesterin aufgefallen war. Immerhin hatte sie in Ched Nasad mehr Zeit in der Hoffnung verbracht, die Lagerhäuser der Baenre ausräumen zu können, statt um die neuerliche Aufmerksamkeit Lolths zu ersuchen.
Danifae starrte in den Wald hinter ihnen, die Augenbrauen zusammengezogen. Offenbar war sie nicht gewillt, sich für ihre Herrin einzusetzen.
Schließlich wandte sich Quenthel an Pharaun und sagte: »Vielleicht verfügt unser Magier ja über einen Zauber, der unsere verfluchten Tagwandler davon abbringt, uns zu dicht auf den Fersen zu sein?«
Pharaun strich sich nachdenklich übers Kinn.
»Unsere vorrangige Schwierigkeit in der momentanen Situation«, erwiderte der Meister Sorceres nach einer Weile, »besteht in der Tatsache, daß unsere Gegner in der Lage sind, dieses Terrain zu ihrem Vorteil und zu unserem Nachteil zu nutzen. Sollte auf einmal ein Waldbrand ausbrechen, dann würden der Rauch und die Flammen ...«
Valas unterbrach ihn: »Ich fürchte, du weißt nur wenig über Wälder in der Welt an der Oberfläche. Diese Bäume sind viel zu feucht, um dir den Gefallen eines Waldbrandes zu tun. Daran können wir in ein paar Monaten denken, wenn der Sommer sie ausgetrocknet hat.«
»Oh«, erwiderte Pharaun. »Das gilt sicher für gewöhnliche Feuer.«
»Es wäre dir unmöglich, das Feuer davon abzuhalten, sich auch gegen uns zu wenden«, warnte Ryld, dem der Vorschlag nicht behagte.
»Nun, ich kann nicht absolut sicher sein, daß es das nicht täte«, räumte Pharaun ein, »aber meine Feuer brennen so, wie ich es möchte. Wie Meister Hune schon feststellte, ist die Feuchtigkeit im Wald so hoch, daß die Bäume nur dann in Flammen aufgehen können, wenn sie unter dem direkten Einfluß eines Zaubers aus meiner Hand stehen. Natürlich hätten wir den Vorteil zu wissen, wie und wann die Brände ausbrechen werden.«
Quenthel überlegte einen Moment, dann sagte sie: »Also gut, macht weiter.«
Ryld fühlte, wie sich seine Kehle zuschnürte und ging einen Schritt von der Gruppe weg, ehe er sich wieder unter Kontrolle bekam.
Pharaun stand auf und griff in seine Gürteltasche, um einen winzigen Seidenbeutel hervorzuholen. Den Inhalt schüttete er in seine Handfläche, so daß im Mondlicht roter Staub funkelte. Pharaun prüfte den Wind und drehte sich um, um die Windrichtung bestimmen zu können. Dann sprach er seinen Zauber, wobei er das Pulver in die Luft warf. Helle, karmesinrote Funken bildeten sich inmitten der Staubwolke, wurden heller und zahlreicher. Mit einer weiteren Geste sorgte Pharaun dafür, daß sich die Glut im weiten Bogen im Wald vor ihm verteilte.
Jeder der winzigen Funken sank zu Boden und entflammte dort, indem er zu einer spinnenartigen Form heranwuchs, die so groß war wie der Kopf eines erwachsenen Mannes. In karmesinrote Flammen gehüllt eilten die Feuerspinnen über den Boden tiefer in den Wald hinein. Alles, was sie berührten, begann zu schmoren und ging dann in Flammen auf. Das Holz war tatsächlich sehr feucht, so daß die Flammen für dichten Rauch sorgten und sich nur langsam ausbreiteten – doch Pharaun hatte Hunderte dieser Spinnenkreaturen beschworen, die besonders heftig die mit Moos bewachsenen Stämme angriffen, als hätte das Vorhandensein so großer Mengen Holz einen ganz besonderen Eifer geweckt, ihr feuriges Vernichtungswerk voranzutreiben.
»Gut«, murmelte Pharaun. »Sie finden Gefallen an Bäumen.«
»Das Feuer brennt zu langsam, um unsere Verfolger aufzuhalten«, stellte Quenthel fest.
»Ich habe noch nie von einem Oberflächen-Elfen gehört, der es zuläßt, daß in seinem kostbaren Wald unkontrolliert ein Feuer wütet«, erwiderte Pharaun lächelnd. »Sie werden eine Weile damit zu tun haben, meine Spinnen zu jagen und die Brandherde zu löschen.«
Quenthel beobachtete die Flammen noch einen Moment, dann lächelte sie und sagte: »Dann könnte es seinen Zweck erfüllen. Meister Hune, Ihr geht voran. Ich möchte das Haus Jaelre erreichen, bevor unsere Verfolger uns wieder Schwierigkeiten machen.«
Kaanyr Vhok verschränkte seine muskulösen Arme und runzelte die Stirn. »Wie viele?« fragte er.
Kaanyr erfaßte die Folgen eines Kampfes zwischen den Tanarukks seiner Vorhut und einem titanenhaften purpurnen Wurm, einem fleischfressenden Riesen, der über dreißig Meter lang war. Der Wurm war von Dutzenden der halbdämonischen Soldaten in Stücke gehackt worden, doch eine Handvoll der Truppe des Zepterträgers war von dem Monstrum zerfetzt oder zermalmt worden.
»Sieben, Herr, aber wir haben die Bestie besiegt, wie Ihr seht.«
Der Tanarukk-Hauptmann, der auf den Namen Trümmerfaust hörte, stützte sich auf seine große Streitaxt, die mit den übelriechenden Lebenssäften der Kreatur bespritzt war. Die linke Hand des Ork-Dämons war in einer früheren Schlacht arg in Mitleidenschaft gezogen worden und steckte in einem Panzerhandschuh, der eine bessere Waffe war als die deformierte Hand, die er bedeckte.
»Die Krieger hörten das Geschöpf, wie es sich durch den Fels bewegte«, fuhr Trümmerfaust fort, »aber es kam durch die Decke und ließ sich auf sie fallen.«
»Ich habe euch nicht hergeführt, um Würmer zu töten«, sagte Kaanyr, »und ich habe auch nicht Krieger bis hierher gebracht, damit sich irgendwelche Monster von ihnen ernähren. Das war ein Kampf, den wir am besten vermieden hätten, Trümmerfaust. Schließlich werden diese sieben Krieger nicht mehr bei uns sein, wenn wir auf die Drow treffen, nicht wahr?«
»Nein, Herr«, brummte der Tanarukk und senkte den Kopf. »Ich werde die Anführer der Streife anweisen, sich darum zu bemühen, unnötigen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen.«
»Gut«, sagte Kaanyr. Er grinste den Tanarukk finster an und klopfte ihm auf die Schulter. »Spart euch eure Äxte für die Drow auf, Trümmerfaust. Wir werden früh genug auf sie treffen.«
Ein gieriges Leuchten flammte in den Augen des Tanarukk auf, und der Dämonen-Ork hob von neuer Zuversicht erfüllt den Kopf. Dann knurrte er zustimmend und trottete davon, um seine Hauptleute zu suchen.
»Du hast ihn nicht bestraft?« fragte Aliisza, die aus dem Schatten hervortrat. »Gnade ist keine Eigenschaft, die ich von dir gewöhnt bin, Geliebter.«
Der Cambion-Marquis drehte sich zu ihr um. »Manchmal«, erwiderte er, »erfüllt ein sanftes Wort den gleichen Zweck wie zwei harte. Die Kunst der Führung besteht darin zu wissen, wann man sich wofür entscheidet.« Kaanyr stieß mit einem Zeh leicht einen der toten Krieger zu seinen Füßen an. »Außerdem kann ich schlecht über eine Zurschaustellung eben jenes Kampfgeistes klagen, den ich meiner Legion so mühevoll anerzogen habe, nicht wahr? Es liegt in der Art eines Tanarukk, sich in die Schlacht zu stürzen, um den Gegner niederzuringen oder bei dem Versuch zu sterben.«