»Elende Spinnenküsser«, zischte sie. »Was habt Ihr, was das Haus Jaelre von Euch wollen könnte, abgesehen von Euren Leibern, die gleich von unseren Pfeilen durchbohrt sind?«
Quenthel versteifte sich und legte eine Hand auf die Peitsche. Die Waffe wand sich ein wenig, die Schlangenköpfe schnappten.
»Ich bin Quenthel Baenre, Herrin Arach-Tiniliths, und ich streite mich nicht auf Türschwellen mit gemeinen Torwachen. Laßt Eure Herren wissen, daß wir eingetroffen sind, damit wir endlich aus diesem verdammten Regen herauskommen.«
Die Jaelre im Rang einer Hauptfrau kniff die Augen zusammen und gab ihren Soldaten ein Zeichen, die daraufhin ihre Position veränderten und sich zum Feuern bereitmachten. Valas Hune schüttelte den Kopf, ließ den Bogen sinken und trat vor, wobei er eine Hand hob
»Wartet«, rief er. »Wenn Tzirik noch bei Euch ist, dann sagt ihm, Valas ist hier. Wir wollen ihm einen Vorschlag unterbreiten.«
»Ich bezweifle, daß unsere Hohepriester mit einem Vorschlag aus Eurem Mund etwas anfangen kann«, sagte die Drow.
»Er wird zumindest erfahren wollen, warum wir tausendfünfhundert Kilometer weit von Menzoberranzan hergereist sind, um mit ihm zu sprechen«, konterte Valas.
Die Frau warf Quenthel einen finsteren Blick zu, dann sagte sie: »Senkt Eure Waffen und wartet dort. Rührt Euch nicht, sonst eröffnen meine Leute das Feuer. Es sind mehr, als Ihr glaubt.«
Valas Hune nickte, dann legte er den Bogen hin. Er sah zu den anderen, dann setzte er sich auf den Rand eines zerfallenen Brunnens. Die anderen taten es ihm nach, allerdings ließ sich Quenthel nicht dazu herab, sich zu setzen. Vielmehr verschränkte sie die Arme und wartete. Ryld sah sich auf dem Hof um, auf dem es von gegnerischen Kriegern nur so wimmelte. Seufzend rieb er sich den Kopf.
Quenthel weiß, wie man gleich beim ersten Auftritt Eindruck macht, wie? gestikulierte Pharaun.
Frauen, erwiderte Ryld auf die gleiche Weise.
Vorsichtig griff er in die Tasche seines Mantels und holte wieder den Branntwein heraus.
14
Die schmerzlichste Qual der Kerkerhaft, so überlegte Halisstra, war schlicht die Langeweile. Wie die meisten Angehörigen ihres außergewöhnlich langlebigen Volkes nahm die Priesterin kaum wahr, wie Stunden, Tage oder sogar Zehntage verstrichen, wenn sie ihren Geist beschäftigen konnte. Doch aller Weisheit und Geduld zum Trotz, die sie sich in über zweihundert Jahren zu eigen gemacht hatte, kamen ihr wenige Stunden Gefangenschaft in einer kargen Zelle aus Stein schlimmer vor als die monatelange rauhe Disziplinierung, die sie in ihrer Jugend erduldet hatte.
Die endlosen Stunden des Tages krochen regelrecht dahin, während sich ihr Leib nach Ruhe und Erholung sehnte, auch wenn durch das eine verfluchte Fenster der schmerzhafte Sonnenschein fiel. Ihre Gedanken bewegten sich derweil sprunghaft, und mal betete sie, ihre Kameraden möchten kommen und sie einfach nur retten, dann wieder malte sie sich die abscheulichsten und brutalsten Foltermethoden für jeden einzelnen von ihnen aus, weil sie nichts dagegen unternommen hatten, daß sie in Gefangenschaft geriet.
Schließlich versank sie in tiefe Trance, der Geist wurde von den Plänen, die sie schmiedete, und von den alten Erinnerungen befreit. Ihr Bewußtsein war dabei so entrückt, daß man ihren Zustand durchaus als Schlaf hätte bezeichnen können. Die Erschöpfung übermannte sie letztlich doch – nicht nur die rein körperliche Ermattung als Folge vieler Zehntage Reisen und Gefahren in der Wüste, in den Schatten, im Unterreich und im Wald, sondern auch geistige Ermüdung. Die hatte ihre Ursache in der tiefen Trauer über den Verlust des Hauses, über das sie hätte herrschen sollen. Halisstra hatte sich nicht gestattet, für Ched Nasad auch nur eine Träne zu vergießen, doch die unheilvolle Wahrheit ihrer Misere kehrte immer wieder in ihre Gedanken zurück und vergiftete sie mit einem kalten, hoffnungslosen Unglauben, der sich nur schwer verdrängen ließ. Die vielen Stunden der Gefangenschaft gaben ihr Gelegenheit, die verhaßte Situation in ihrer Gesamtheit zu erfassen und über den Verlust an Status, Reichtum und Sicherheit nachzudenken, bis ihre schreckliche Faszination in gewisser Weise gesättigt war.
Als das Abendrot kam, brachten die Wachen ihr frisches Essen, das aus einem faden, aber nahrhaften Eintopf und einem weiteren halben Brotlaib bestand. Halisstra stellte fest, daß sie hungrig war, und stürzte sich auf das Essen, ohne allzuviel darüber nachzudenken, ob man es mit Gift oder Drogen versetzt haben könnte. Nachdem sie gegessen hatte, wurde die Tür zu ihrer Zelle wieder geöffnet, und Seyll Auzkovyn kam abermals zu ihr.
Die Priesterin hatte den langen, schweren Mantel abgelegt und trug nun das elegante Reitgewand einer Dame, das aus einer bestickten grünen Jacke und einem knielangen Rock, dazu eine cremefarbene Bluse und hohe Stiefel, die zur Jacke paßten, bestand. Der Anblick einer Drow-Priesterin, die als vornehme Oberflächen-Elfe gekleidet war, wirkte auf Halisstra abstoßend.
»Hat der Oberflächenfürst Euch so angezogen?« zischte sie die Verehrerin Eilistraees an. »Ihr wirkt fast wie eine völlig hilflose Edeldame der verfluchten Sonnenelfen.«
»Wie anders sollte ich mich kleiden?« erwiderte Seyll. »Ich bin hier unter Freunden und muß keine Rüstung tragen. Außerdem habe ich festgestellt, daß die Schädel- und Spinnenmotive meiner bisherigen Kleidung das Oberflächenvolk zu beunruhigen schien.« Sie gab den Wachen ein Zeichen, dann wurde die Tür hinter ihr geschlossen. »Abgesehen davon«, fuhr sie fort, »gibt es hier keine Sonnenelfen.«
»Für mich sind sie alle gleich«, sagte Halisstra.
»Wenn Ihr sie besser kennengelernt habt, werdet Ihr auch in der Lage sein, sie besser zu unterscheiden.«
»Ich hege nicht den Wunsch dazu.«
»Seid Ihr Euch da sicher? Es ist von Vorteil, wenn man seine Feinde kennt. Vor allem, wenn sie gar keine Feinde sein müssen.«
Seyll kniete sich neben Halisstra und sammelte sich. Sie war jung, kaum über hundert, und auf ihre Art war sie hübsch. Doch ihre Haltung war ... falsch. Ihren Augen fehlte es an dem begierigen Ehrgeiz und dem kalten Taxieren – Eigenschaften, die Halisstra sonst im Gesicht aller Elfen gesehen hatte, von denen sie umgeben gewesen war. Seylls geduldiger Ausdruck konnte sehr leicht mit Unterwürfigkeit verwechselt werden, einem fehlenden Willen, sich durchzusetzen, und doch strahlte sie eine ruhige Gelassenheit aus, die darauf hinzudeuten schien, daß sie sich bestens unter Kontrolle hatte.
Halisstras Blick fiel auf Seylls Hände, als die Priesterin ihre Kleidung glattstrich. Sie waren kräftig und schwielig, wie es sonst bei einem Waffenmeister der Fall war.
»Ich hatte heute Gelegenheit, mich mit den Wappen auf Euren Waffen zu beschäftigen und mir die Objekte in Ruhe anzusehen. Melarn ist ein führendes Haus in Ched Nasad, nicht?«
»Das war es«, gab Halisstra zurück.
Augenblicklich verdammte sie sich für ihre Nachlässigkeit. Wenn die Bewohner der Oberfläche nichts vom Schicksal Ched Nasads wußten, dann war es wohl kaum notwendig, Informationen leichtfertig zu verschenken. Sie mußte für alles, was sie preisgab, eine Gegenleistung fordern.
»Ihr wurdet in einem internen Krieg der Häuser besiegt?«
Seylls Mutmaßung war nachvollziehbar. Wenn Häuser der Drow untergingen, ihren Status verloren oder auf andere Weise unbedeutend wurden, waren dafür normalerweise Aktionen anderer Häuser verantwortlich.
»Nicht ganz«, antwortete sie.
Seyll wartete eine ganze Weile, ob Halisstra ins Detail gehen würde, doch als das nicht geschah, schlug die Priesterin Eili-straees eine andere Taktik ein.
»Ched Nasad ist weit weg. Mindestens tausend oder zwölfhundert Kilometer, und die große Wüste Anauroch und die Gestürzten Länder, wo die Phaerimm lauern, liegen zwischen dort und hier. Fürst Dessaer möchte mehr über die Umstände erfahren, wieso es eine hochrangige Tochter eines mächtigen Hauses aus Ched Nasad in das Land seines Volks verschlägt. Wenn ich ehrlich bin, bin ich auch neugierig.«