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Die Böe ließ nach, jedenfalls in dem Maß, in dem der Wind schwächer wurde, der unablässig durch die schwarze Schlucht rings um die Stadt fegte. Nimor ging weiter. Über die Schattenebene war Menzoberranzan kaum mehr als eine Stunde entfernt, so daß es für Nimor ein leichtes gewesen war, einen Vorwand zu finden, um sich von der marschierenden Kolonne zu lösen: Er mußte sich einer »persönlichen Angelegenheit« widmen. Auch wenn Andzrel Baenre die Hauptleute der Häuser plötzlich zu einem Kriegsrat einberufen sollte, während Nimor unterwegs war, stellte seine Abwesenheit kein ernstes Problem dar. Die Armee rückte so schnell vor, wie man es erwartete, doch niemand würde Verdacht schöpfen, wenn ein Adliger für kurze Zeit in der Stadt zurückblieb, um sich später wieder den Truppen anzuschließen.

Er erreichte die große Wendeltreppe, die ins Herz des Berges von Chaulssin gehauen worden war, und nahm zwei Stufen auf einmal. Im großen Saal am Kopf der Treppe fand er die Vaterpatrone wieder versammelt vor, die in Zweier- und Dreiergruppen zusammenstanden, um Neuigkeiten auszutauschen und Pläne zu schmieden, wie sie das Haus durch die anstehende, bemerkenswerte Gelegenheit voranbringen wollten. Großvater Mauzzkyl drehte sich um und warf Nimor seinen gefürchteten wütenden Blick zu, als der Assassine eintrat.

»Wieder laßt Ihr uns warten«, sagte er.

»Ich bitte um Verzeihung, verehrter Großvater«, erwiderte Nimor. Er stellte sich zu den anderen in den Kreis und verbeugte sich knapp. Aus der Ferne hörte sich das Heulen des Windes noch unheimlicher an. »Ich wurde zu einem Kriegsrat gerufen, und es wäre nicht klug gewesen, ihm fernzubleiben.«

»Das könnte man auch über diese Versammlung sagen«, stellte Vaterpatron Tomphael fest.

Nimor zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte: »Ich habe einige Zeit und Mühe investiert, um eine Identität zu wahren und bei den Verteidigern Menzoberranzans ein gewisses Maß an Verantwortung zu erlangen, Tomphael. Diese Bemühungen sollten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Solange der verehrte Großvater mich nicht anderweitig instruiert, werde ich Euch immer dann warten lassen, wenn es notwendig ist, unseren Plan vor Günstlingen Lolths zu schützen und ...«

»Das reicht, Nimor«, polterte Mauzzkyl. »Wie kommt Ihr voran?«

»Bestens, verehrter Großvater. Kronprinz Horgar Stahlschatten aus Gracklstugh marschiert mit einer Armee von fast fünftausend Duergar auf Menzoberranzan. Die Muttermatronen haben beschlossen, sich den Duergar auf dem Schlachtfeld zu stellen, statt es auf eine Belagerung ankommen zu lassen. Sie fürchten die Kriegslust anderer Domänen des Unterreichs. Ich habe aber dafür gesorgt, daß sich die Armee des Kronprinzen heimlich auf Menzoberranzan zubewegt, und ich habe das Kommando über ein Truppenkontingent, das im richtigen Moment umschwenken wird, um den gewünschten Ausgang dieses Konflikts sicherzustellen. Außerdem konnte ich den Cambion-Kriegsherrn Kaanyr Vhok davon überzeugen, mit seiner Armee aus Tanarukks ebenfalls gegen Menzoberranzan zu ziehen, allerdings bin ich mir bei der Geknechteten Legion nicht so sicher. Kaanyr Vhok taucht vielleicht nicht auf, und wenn doch, hat er wenig Grund, sich uns verpflichtet zu fühlen.«

»Ihr wollt also die Streitkräfte Menzoberranzans vernichten«, stellte Patron Xorthaul fest. Der Priester in der schwarzen Rüstung strich sich übers Kinn. »Was, wenn die Menzoberranzanyr sich als widerstandsfähiger erweisen, als Ihr es erwartet habt? Was, wenn sie die Duergar vernichtend schlagen? Oder sich Kaanyr Vhok als unzuverlässig entpuppt? Es wäre besser gewesen, eine kleinere Streitmacht in Eure Falle zu locken. Euer Spiel ist zu riskant.«

»Hätte ich die Duergar nicht als Gefahr dargestellt, dann wären die Muttermatronen kaum versucht gewesen, etwas anderes zu tun als sie zu ignorieren. Wie die Sache nun liegt, gibt es drei mögliche Ausgänge für den Kampf zwischen Gracklstugh und Menzoberranzan. Die Duergar könnten gewinnen, es könnte zu einem Patt kommen, oder die Drow siegen. Wir tun, was wir können, um die Armee Menzoberranzans in die Hände des Kronprinzen fallen zu lassen. Doch selbst wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Menzoberranzanyr vernichtend zu schlagen, stehen die Chancen gut, daß die Duergar den Anhängern Lolths schwere Verluste zufügen werden. In dem Fall könnten die Duergar unseren Feind genügend schwächen, damit wir ihn selbst niederringen können. Im schlimmsten Fall, wenn also Gracklstugh ausgelöscht wird, dann ... nun, dann würde unser Plan zwar scheitern, aber wir würden wenig verlieren.«

»Vergeßt nicht, Xorthaul, unsere Strategie gegen Menzoberranzan ist die des Zermürbens«, fügte Mauzzkyl an. »Die Stadt ist zu stark, um sie in einem Zug zu nehmen, also müssen wir ihr Dutzende von Wunden zufügen, damit sie ausblutet.«

»Die Magier von Menzoberranzan werden sicher mit einem Erkenntniszauber von der Existenz einer so großen Armee unmittelbar vor den Toren der Stadt erfahren«, warf Patron Tomphael ein, der selbst Magier war. »Die Muttermatronen werden ihre Armee zurückbeordern oder statt dessen Euren Hinterhalt gegen die Duergar wenden.«

»Unsere Verbündeten in Agrach Dyrr haben uns in diesem Punkt geholfen«, sagte Nimor. »Gromph Baenre ist verschwunden. Die Meister Sorceres prüfen nun natürlich gegenseitig ihre Entschlossenheit und Fähigkeiten, um festzustellen, wer von ihnen der neue Erzmagus sein soll.«

»Es gibt viele mächtige Magier, die den Häusern der Stadt dienen«, erwiderte Tomphael. »Sie werden sich nicht ablenken lassen, nur weil sich in Sorcere eine Gelegenheit zum Aufstieg ergibt.«

Nimor reagierte mit einem bedauernden Nicken, dann sagte er: »Richtig. Aber wir wissen auch, daß Hausmagier dazu neigen, viel Zeit damit zu verbringen, die Schwächen der anderen Häuser auszuspionieren. Bisher ist offenbar niemand vorgetreten, um meine Version der Ereignisse anzufechten, die ich dem Rat vortrug.«

»Es wäre schlichtweg klug, von vornherein von der Annahme auszugehen, daß Euer Plan zum ungünstigsten Zeitpunkt aufgedeckt wird«, sagte Patron Xorthaul. »Was werdet Ihr tun, wenn ein neugieriger Schüler in einem zweitrangigen Haus ausspäht, daß die Armee des Kronprinzen im Anmarsch ist? Was, wenn die Muttermatronen daraufhin ihre Truppen zurückziehen? Sie könnten einer Belagerung bis in alle Ewigkeit standhalten.«

»Jetzt seht Ihr«, erwiderte Nimor geduldig, »warum ich soweit ging, Agrach Dyrr eine Allianz vorzuschlagen und entschied, das Risiko einzugehen, Kaanyr Vhok zu einem Teil der Gleichung zu machen. Wir brauchen das Fünfte Haus, um dieser Eventualität vorzubeugen, damit Horgars Armee – oder die Geknechtete Legion – in die Stadt eingelassen werden, sollte dieser Fall eintreten.«

Mauzzkyl verschränkte die Arme und senkte den finsteren Blick.

»Wir werden sie in jedem Fall in der Hand haben«, sagte der verehrte Großvater und gestattete sich ein zufriedenes, finsteres Lächeln. »Wenn Vhok Euch verrät, könnt Ihr auf Agrach Dyrr zurückgreifen, wenn Agrach Dyrr Euch verrät, habt Ihr immer noch den Cambion. Ich nehme an, Dyrr und Kaanyr Vhok wissen nichts voneinander?«

»Ich hielt es für das beste«, antwortete Nimor, »für jeden meiner Verbündeten mindestens noch eine Überraschung in petto zu haben, verehrter Großvater. Es schien mir ratsam sicherzustellen, daß mir so viele Optionen wie möglich zur Verfügung stehen, während ich den Angriff auf die Stadt entwickelte.«

»Hervorragend. Wie können wir Euch unterstützen?«

Der Mann, der die Gesalbte Klinge genannt wurde, dachte darüber nach. Er fühlte sich versucht, jede Unterstützung abzulehnen, damit er allen Ruhm für den bevorstehenden Sieg für sich beanspruchen konnte. Doch der Zeitpunkt rückte näher, an dem die Rolle, die er an der Spitze der Armee Menzoberranzans spielte, es ihm immer seltener erlauben würde, sich nach Belieben von hier nach dort zu bewegen. Außerdem benötigte er Hilfe, um Vhok in Schach zu halten, und wenn sich der Zepterträger als unzuverlässig erweisen sollte, dann konnte er demjenigen daran die Schuld geben, der zu dem Kriegsherrn entsandt worden war.