»Wir sollten unsere Kräfte bündeln und bereit sein, zuzuschlagen, wenn unsere Verbündeten ihre Rolle bei der Dezimierung der Verteidiger Menzoberranzans übernehmen«, sagte er.
»Wir verfügen über keine großen Streitkräfte, Gesalbte Klinge«, wandte Mauzzkyl ein, »und ich werde nicht die Jaezred Chaulssin in eine offene Schlacht schicken.«
»Ich verstehe, verehrter Großvater.« Selbst wenn sie ihre Kräfte zusammenschlossen, würde das geheime Haus es zahlenmäßig nicht einmal mit einem der unbedeutenden Häuser von Menzoberranzan aufnehmen können – auch wenn die Jaezred Chaulssin eine Wirkung erzielen konnte, die in keinem Verhältnis zu ihrer Zahl stand. »Einer unserer Brüder muß sich zu Kaanyr Vhok und dessen Geknechteter Legion begeben, um den Kriegsherrn in die richtige Richtung zu dirigieren. Meine Verantwortung in der Armee Menzoberranzans und meine Bemühungen, Horgar Stahlschatten und die abtrünnigen Agrach Dyrr zu lenken, lassen es nicht zu, daß ich in dem Maß ein Auge auf Vhok habe, wie es mir lieb wäre.«
Mauzzkyl nickte und sagte: »Nun gut. Zammzt, für Euch gibt es in Ched Nasad nichts mehr zu tun. Ich will, daß Ihr Euch zu Kaanyr Vhok begebt und in seinem Lager für uns sprecht. Tut, was erforderlich ist, um seine Armee gegen Menzoberranzan eingestellt zu belassen, aber Rechenschaft müßt Ihr Nimor ablegen.«
»Natürlich, verehrter Großvater«, erwiderte der Assassine mit dem glatten Gesicht. Er sah zu Nimor, ließ sich aber nicht anmerken, was ihm durch den Kopf ging.
»Ich habe mich Kaanyr Vhok über seine Gefährtin Aliisza genähert«, ließ Nimor Zammzt wissen. »Sie ist ein Alu-Scheusal und eine recht begabte Hexenmeisterin. Sie weiß, daß ich eine Vereinigung oder einen Orden vertrete, daher sollte es sie nicht überraschen, wenn an meiner Stelle ein anderer auf sie zukommt.«
Auch wenn ich bezweifle, daß sie dich genauso willkommen heißen wird wie mich, dachte er insgeheim.
»Wann erwartet Ihr das erste Aufeinandertreffen der Menzoberranzanyr und der Armeen Horgars?« fragte Mauzzkyl.
»In vier Tagen, schätze ich.«
»Tut, was Ihr könnt, um Uneinigkeit und Unsicherheit zu säen, Gesalbte Klinge«, wies Mauzzkyl ihn an. »Die Zeit für Heimlichkeiten geht ihrem Ende entgegen. Die Jaezred Chaulssin treten aus dem Schatten und ergreifen die Initiative. Vernichtet die Armee der Muttermatronen und bringt Eure Duergar-Verbündeten so schnell wie möglich nach Menzoberranzan. Wir werden uns dort treffen und feststellen, ob der maskierte Gott uns gnädig ist oder nicht.«
Nimor verbeugte sich wieder, dann wandte er sich ab und verließ die Vaterpatrone. Irgend etwas bei seinem Plan würde schiefgehen – es mußte einfach dazu kommen. Niemand konnte ein so komplexes Aufeinandertreffen so vieler verschiedener Streitmächte initiieren, ohne daß scheinbare Nebensächlichkeiten übersehen wurden. Soweit er es aber zu sagen vermochte, waren die Jaezred Chaulssin gut vorbereitet. Je länger er die todbringenden Manöver seiner Verbündeten und seines Hauses geheimhalten konnte, desto größer waren seine Erfolgsaussichten.
Vielleicht sollte ich Andzrel ermutigen, mich zum Führer der Späher dieser Expedition zu machen, überlegte Nimor. Immerhin war es unnötig, den Baenre mit unnötigen Berichten über Armeen auf dem Vormarsch zu behelligen.
Die Dunkelelfen des Hauses Jaelre erwiesen sich als mißtrauische und unhöfliche Gastgeber. Ryld hatte erwartet, man würde sie in irgendeine Art von Audienzsaal führen, wo sie mit der Matriarchin des Clans zusammengetroffen wären, um sie zu bestechen, zu bedrohen oder einfach zu überreden, ihnen ein Gespräch mit Priester Tzirik zu gestatten. Nichts dergleichen war geschehen. Da sie sich weigerten, ihre Waffen abzulegen, drängten die Jaelre-Drow die Gruppe in einen kleinen, nicht mehr benutzten Wachraum, von dem aus einst das Haupttor der Burg überwacht worden war.
»Ihr werdet hier warten, bis Tzirik beschließt, Euch zu empfangen«, erklärte die Frau, die die Wache befehligte. »Wenn Ihr versucht, diesen Raum zu verlassen, dann werden wir das als Zeichen von feindseligen Absichten werten und Euch sofort angreifen.«
»Wir sind Abgesandte einer mächtigen Stadt«, konterte Quenthel. »Daß Ihr uns so schlecht behandelt, kann für Euch gefährlich werden.«
»Ihr seid Sklaven Lolths, und wahrscheinlich seid Ihr auch Spione und Saboteure«, gab die Frau zurück. »Lolth hat hier keine Macht, spinnenküssendes Miststück.«
Sie schloß und verriegelte die eiserne Tür, ehe Quenthel eine angemessene Erwiderung einfiel, obwohl die wilde Erregung der Schlangenköpfe ihrer Peitsche erkennen ließ, wie groß ihre Wut war.
»Sollen wir hier eingeschlossen bleiben wie Pöbel, der im Schuldturm einsitzt?« knurrte Jeggred. »Ich hätte Lust ...«
»Noch nicht, Jeggred«, konterte Quenthel.
Sie ging wütend auf und ab, ihr Mund bewegte sich in lautloser Wut. Es war der blanke Zorn, der Quenthel diese Energie verlieh. In einem kleinen Raum eingeschlossen zu sein, ohne daß sie ihrer Wut freien Lauf lassen konnte, würde für sie alle schwierig werden.
Danifae sah ihr einen Moment lang zu, dann legte sie beschwichtigend die Hand auf den Arm der Baenre.
»Was willst du?« herrschte die Priesterin sie an.
»Euer Eifer ist bewundernswert«, sagte Danifae. »Aber ich bitte Euch. Wir müssen geduldig sein.« Sie schirmte ihre Hände ab, so gut es ging, und fügte an: Wir könnten beobachtet werden.
»Das ist ein wichtiger Punkt, Quenthel«, stimmte Pharaun ihr bei. »Ihr wollt sicher keinen Kampf mit den Leuten beginnen, derentwegen wir gekommen sind. Eure schroffen Worte und Euer stolzes Gehabe machen sich in Arach-Tinilith besser als vor der Haustür einer anderen Göttin.«
Quenthel wirbelte so hastig herum, um Pharaun einen eisigen Blick zuzuwerfen, daß Danifae sie festhalten mußte. Danifae selbst sah Pharaun giftig an, Verachtung verzerrte ihre hübschen Züge.
»Still, Pharaun«, herrschte die Kriegsgefangene ihn an. »Eure Arroganz und endlosen Sticheleien sind in Sorcere besser aufgehoben. Wenigstens hat die Herrin die Kraft ihrer Überzeugung. Ihr dagegen habt nur Euren Zynismus.«
Danifae betrachtete Quenthels Gesicht und lächelte.
»Spart Euch Eure Wut für später auf«, redete die Kriegsgefangene leise auf sie ein. »Sicher wird die Göttin zufriedener sein, wenn Ihr die Ungläubigen zur Rechenschaft zieht, nachdem sie ihren Nutzen verloren haben, anstatt die Werkzeuge zu zerstören, die nötig sind, um ihr zu dienen.«
Quenthel entspannte sich. Sie atmete tief durch, dann nahm sie an einem Holztisch Platz, auf dem ein Krug mit Wasser stand.
»Nun gut«, hauchte sie. »Wir werden warten, was geschieht.«
Aus Rylds Erfahrung kam Quenthels Verhalten dem Eingeständnis, daß sie im Irrtum war, so nahe, wie es nur möglich war. Da sonst nichts zu tun war, ließ sich die Gruppe nieder, um darauf zu warten, was die Jaelre mit ihnen vorhatten.
Stunden verstrichen. Die Nacht wich einem bedeckten Morgen, der nahtlos in einen grauen, regnerischen Nachmittag überging.
Ryld betrachtete aufmerksam die Teile der Burg, die er durch die schmalen Schlitzen gleichen Fenster sehen konnte, und kam zu dem Schluß, daß die Minauth-Feste nicht halb so heruntergekommen war, wie es zunächst ausgesehen hatte. Die Jaelre hatten einen Großteil des alten Baus wiederhergestellt, allerdings das Erscheinungsbild unverändert gelassen.
Als das Warten schließlich unerträglich wurde, lehnte sich der Waffenmeister im Schneidersitz an eine Wand der Kammer und ließ sich in eine leichte Trance gleiten. Splitter lag – aus der Scheide gezogen – quer auf seinem Schoß, damit die Klinge griffbereit war, sollte er sie dringend benötigen.