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»Geduld, Jezz. Dafür haben wir später noch Zeit«, erklärte Tzirik, ging ein Stück weiter und sah dann wieder zu Quenthel. »Was wollt Ihr wissen?«

Quenthel straffte die Schultern und sah dem Priester in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Wir wollen wissen, was mit Lolth geschehen ist«, antwortete sie dann. »Die Göttin verweigert uns unsere Zauber, und das nun schon seit Monaten. Da wir nicht auf die Magie zurückgreifen können, mit der sie uns normalerweise versorgt, fehlen uns die Möglichkeiten, sie direkt zu fragen.«

»Eure Göttin stellt Euch auf die Probe«, sagte Tzirik und begann zu lachen. »Sie hält Eure Zauber zurück, um zu sehen, wie lange Ihr ihr treu bleibt.«

»Das dachten wir auch«, fuhr Quenthel fort. »Aber das währt nun schon fast vier Monate, und wir können nur zu dem Schluß kommen, daß wir die Antwort selbst suchen sollen.«

»Warum wollt Ihr das einen Priester Vhaerauns fragen?« warf Jezz ein. »Die Priesterinnen einer benachbarten Stadt sollten sich dazu überreden lassen nachzuforschen.«

»Auch sie haben den Kontakt zur Göttin verloren«, antwortete Danifae. »Ich kam aus Ched Nasad, wo wir das gleiche Schweigen der Göttin erfuhren wie die Priesterinnen Menzoberranzans. Wir haben Grund zu der Annahme, daß sich alle Drow-Städte des Unterreichs mit der gleichen Situation konfrontiert sehen. Lolth spricht zu niemandem, weder zu Drow noch zu niederen Rassen.«

»Das würde erklären, warum sich die Maerimydra zurückzogen«, sagte Jezz leise. »Wenn ihre Priesterinnen machtlos sind, dann dürften sie mit ihren eigenen Problemen so beschäftigt sein, daß sie uns unbehelligt lassen.«

»Die Fakten würden passen«, erwiderte Tzirik, der sich Pharaun zuwandte. »Was ist mit Euren vielgepriesenen Magiern? Konnten sie nicht Dämonen und Teufel in Scharen rufen, damit sie die Frage nach dem Schweigen Lolths beantworteten? War kein Erkenntniszauber möglich?«

»Wir mußten feststellen, daß die infernalischen Mächte kaum mehr wußten als wir«, erwiderte Pharaun. »Wie es scheint, hat Lolth den Kontakt zu benachbarten Ebenen des Abgrunds unterbrochen und die Grenzen ihres Reiches gegen andere Kräfte geschlossen.« Er hob die Hände und beschrieb eine knappe, sich selbst herabwürdigende Geste. »Jedenfalls entnahm ich das den Berichten meiner Kollegen, die sich mit der Sache befaßten. Ich konnte es persönlich nicht, weil der Erzmagier mich angewiesen hatte, keine solchen Wesen heraufzubeschwören, da mir ansonsten ein besonders grotesker und dementsprechend schmerzhafter Tod droht.«

Tzirik studierte die Menzoberranzanyr, dann schritt er hinüber zu Jezz, um sich mit ihm zu beraten. Die beiden Jaelre unterhielten sich leise, während die Menzoberranzanyr warteten. Ryld beobachtete verstohlen die Wachen, die in der Nähe standen, und überlegte, wie er eine von ihnen entwaffnen konnte, um selbst in den Besitz einer Waffe zu gelangen, wenn die Umstände das erfordern sollten. Er trug nach wie vor seinen von Zwergen geschaffenen Brustpanzer und war recht sicher, daß es ihm gelingen würde, einem der Wachleute die Hellebarde zu entreißen, ehe man ihn durchbohren konnte. Es mochte allerdings sinnvoller sein, mit dem Messer, das in seinem Gürtel steckte, Pharauns Fesseln durchzuschneiden, ehe er andere Schritte unternahm.

Er wurde in seinen Überlegungen gestört, als Tzirik und Jezz zur Gruppe zurückkehrten.

»Ich werde für Euch Vhaeraun anrufen«, erklärte der Hohepriester der Jaelre, »nicht zuletzt auch, weil ich selbst wissen will, was Lolth plant. Allerdings dürfte es nur gerecht sein, wenn ich dafür eine Gegenleistung erwarte. Immerhin habt Ihr Euch an mich gewandt. Daher werde ich mich erst an Vhaeraun wenden, wenn Ihr Eure Aufgabe erfüllt habt.«

»Gut«, murrte Quenthel. »Was wollt Ihr?«

»Drei Tage westlich von hier befinden sich die Ruinen Myth Drannors, einst die Hauptstadt des Elfenreichs Cormanthyr«, sagte Tzirik. »Im Verlauf unserer Erkundung dieser Ruinen sind wir zu der Ansicht gelangt, daß ein Buch mit geheimem und dementsprechend mächtigem Wissen – das Geildirion von Cimbar – in der geheimen Bibliothek des Turms eines Magiers verborgen sein muß, der nur noch eine Ruine ist. Wir benötigen das Wissen, das sich im Geildirion befindet, denn es wird uns helfen, die alten magischen Schutzzeichen zu beherrschen, die unsere seit langem verschwundenen Vettern von der Oberfläche über ihr Reich gelegt haben. Bedauerlicherweise werden die Ruinen der Stadt von Dämonen, Teufeln und Scheusalen aller Art heimgesucht, und der Turm selbst ist das Zuhause eines ungewöhnlich starken Betrachter-Magus. Wir haben zwei Expeditionen zum Turm entsendet, doch der Betrachter vernichtete oder vertrieb unsere Späher völlig mühelos. Ich will nicht noch mehr Leben aus meinen eigenen Reihen aufs Spiel setzen, dennoch wäre ich sehr gern im Besitz dieses Buches. Da Ihr offenbar das Beste seid, was Menzoberranzan zu bieten hat, könnt Ihr vielleicht dort erfolgreich sein, wo unsere Krieger bislang scheiterten. Bringt mir das Geildirion, und ich werde Vhaeraun fragen, was es mit Lolths Schweigen auf sich hat.«

»Wird erledigt«, erklärte Quenthel. »Gebt uns einen Führer, der uns den Weg weist, dann holen wir Euch das Buch.«

Jezz lachte. »Ihr würdet vielleicht nicht so schnell Euer Einverständnis geben, wenn Ihr wüßtet, wie gefährlich der Betrachter wirklich ist. Ihr werdet selbstverständlich Unterstützung bekommen.«

15

Bei Anbruch der Nacht kam Seyll in Begleitung einer jungen Drow und einer blassen jungen Elfe zu Halisstra. Die Priesterin Eilistraees war unter ihrem grünen Mantel gerüstet und mit einem Langschwert an der Hüfte bewaffnet. Sie trug hohe Lederstiefel und hatte ein kleines Päckchen unter einem Arm.

»Es regnet«, sagte sie, als sie die Zelle betrat, »aber unsere älteren Priesterinnen sagen, es wird später aufklaren, wenn der Mond aufgegangen ist. Heute nacht werden wir der Göttin huldigen.«

Halisstra stand auf, soweit ihre Ketten das zuließen.

»Ich werde Eilistraee nicht huldigen«, erklärte sie.

»Ihr müßt Euch nicht beteiligen. Ich biete Euch lediglich Gelegenheit, uns zuzusehen und Euch ein Urteil zu bilden. Ihr habt mich herausgefordert, Euch zu demonstrieren, daß meine Göttin weder grausam noch eifersüchtig ist, und ich bin bereit, es Euch zu beweisen.«

»Zweifellos werdet Ihr mich mit einem Zauber belegen, um mich zu überzeugen«, erwiderte Halisstra. »Glaubt ja nicht, ich ließe mich so einfach täuschen.«

»Niemand wird versuchen, Magie auf Euch zu wirken«, erwiderte Seyll. Sie legte ihr Bündel ab und packte es aus. Darin befanden sich eine große, lederbezogene Kiste, Stiefel sowie ein Mantel, der ihrem recht ähnlich war. »Ich habe Euch Eure Leier mitgebracht, da ich hoffe, Ihr würdet uns mit einem Lied beehren, wenn Euch danach ist.«

»Ich hege Zweifel daran, daß Euch Bae’qeshel-Lieder wirklich gefallen werden«, meinte Halisstra.

»Das werden wir schon sehen. Ihr seid nun seit drei Tagen hier gefangen, und ich biete Euch eine Gelegenheit, Eure Zelle zu verlassen.«

»In die ich sofort zurückgebracht werde, wenn Ihr damit fertig seid, mich wegen Eurer Göttin zu tyrannisieren.«

»Wie wir bereits besprochen haben, müßt Ihr Fürst Dessaer nur Eure Anwesenheit erklären, um freigelassen zu werden«, erklärte Seyll geduldig. Sie holte einen Schlüsselbund hervor und hielt ihn Halisstra vors Gesicht. »Xarra und Feliane hier sollen mir helfen, Euch heute sicher zur Zeremonie und zurück zu eskortieren. Aber ich fürchte, ich muß darauf bestehen, daß Eure Hände gefesselt bleiben.«

Halisstra sah zu den beiden anderen Frauen, die unter ihren Mänteln ebenfalls ein Kettenhemd sowie ein Schwert trugen. Sie hatte keine große Lust, sich ein sinnloses Ritual zu Ehren Eilistraees anzusehen, doch Seyll bot ihr tatsächlich Gelegenheit, ihre Zelle zu verlassen. Schlimmstenfalls würde Seylls Aufmerksamkeit keine Sekunde nachlassen, und es würde sich keine Gelegenheit für einen Fluchtversuch ergeben. Im besten Fall würden Seyll oder die anderen Klerikerinnen einen Fehler machen, aus dem Halisstra Kapital schlagen konnte.