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»Wie Ihr wünscht, Quenthel«, erwiderte Pharaun. »Ich muß allerdings sagen, daß ich nicht völlig seiner Meinung bin, was die Strategie der ...«

Wütende Blicke der Mitglieder der Truppe ließen Pharaun verstummen, ehe er seinen Protest ausgesprochen hatte. Er seufzte und winkte ab. »Meinetwegen.«

Er richtete sich auf und sprach sorgfältig die Worte seines Zaubers, von denen jede einzelne Silbe mit magischer Kraft erfüllt war. Eine schwer faßbare Woge schien über Ryld und die anderen hinwegzurollen. In ihrem Zug fühlte Ryld, wie Kraft und Schnelligkeit aus seinen Gliedmaßen wichen. Splitter schien in seiner Hand an Gewicht zuzunehmen, die Klinge wirkte plötzlich matt. Ryld war kein Magier, doch wie jeder fähige Drow hatte er sich über die Jahre bei verschiedenen magischen Objekten und bei Zaubern bedient, um schneller und stärker zu werden, um seine Rüstung zu härten und seine Waffen tödlicher zu machen. Pharauns Zauber ließ vorübergehend in der näheren Umgebung jede Magie verschwinden, so daß Ryld keinen Zauber wirken konnte. Den anderen Drow ging es genauso. Am seltsamsten wirkte der Zauber auf Quenthels schreckenerregende Peitsche, deren Schlangen eben noch gezischt und gezuckt hatten und die nun vom Schaft der Waffe baumelten, als seien sie tot.

»Bleibt dicht bei mir, wenn Ihr in Reichweite des Zaubers bleiben wollt«, sagte Pharaun.

Er leckte sich nervös die Lippen. In der antimagischen Zone, die er soeben geschaffen hatte, war es nicht möglich, Magie zu wirken, und auch alle Schutzzauber und magischen Gegenstände hatten ihre Wirkung verloren. Er hob die Armbrust, mit der anderen Hand lockerte er den Sitz des Dolches in der Scheide.

»Ich komme mir vor, als würde ich mit einem Küchenmesser gegen einen Drachen antreten«, murmelte er.

Ryld klopfte ihm auf die Schulter und stand auf. Er steckte Splitter weg und griff nach seiner eigenen Armbrust.

»Mag sein, aber dein Zauber zieht dem Drachen die Zähne«, erwiderte er.

»Vorrücken«, wies Quenthel sie an.

Sie schien sich selbst nicht recht wohlzufühlen. Offenbar gefiel ihr die Reglosigkeit ihrer Waffe nicht. Ohne auf die anderen zu warten, eilte sie auf den Hof und stürmte die Stufen zur Tür des Turms hinauf. Die anderen folgten ihr, mußten aber wegen des Lichtscheins des anbrechenden Tages die Augen zusammenkneifen. Ryld blieb hinter der Gruppe und beobachtete aufmerksam die Straßen und Mauern, ob irgendwo ein Hinweis darauf zu erkennen war, daß sich die monströsen Bewohner Myth Drannors wieder auf dem Vormarsch befanden. Was sie jetzt überhaupt nicht brauchen konnten, war eine Bande blutgieriger Teufel, die sie angriffen, solange sie ihre eigene Magie unterdrückten.

An der Tür zum Turm trat Quenthel zur Seite, um Jeggred Platz zu machen. Der hünenhafte Draegloth trat vor und riß die Tür auf, Mauerwerk bröckelte und fiel auf die Stufen. Quenthel folgte ihm dichtauf, dann kamen Danifae und Valas. Ryld sah sich ein letztes Mal um und merkte, daß Jezz zurückblieb.

»Kommt Ihr nicht mit?« fragte er den Jaelre.

»Ich möchte lieber Beobachter sein«, erwiderte Jezz. »Den Betrachter zu besiegen ist Eure Aufgabe, nicht meine. Wenn Ihr überlebt, schließe ich mich Euch in wenigen Minuten an.«

Ryld warf ihm einen finsteren Blick zu, sprang dann aber in den Turm. Sie standen in einer Art Foyer, das von schwachen schrägen Lichtstrahlen erhellt wurde, die durch Öffnungen in der Mauer einfielen. Am anderen Ende des Raumes gab es eine weitere Tür. Früher mußte das Foyer ein prachtvoller und beeindruckender Saal gewesen sein, doch die Bodenkacheln waren zersprungen, dunkelgrüner Schimmel hatte sich dort festgesetzt, und von den Bannern und Gobelins an den Wänden waren kaum noch mehr als ein paar Fetzen übrig. Pharaun trat näher und betrachtete ein komplexes Symbol, das in einen Block am Fußboden geprägt war. Das Emblem war etwas größer als seine Hand und bestand aus einer verwirrenden Vielzahl geschwungener Linien und Zeichen.

»Ein Symbol der Zwietracht«, stellte der Magier fest. »Wären wir nicht von dem antimagischen Feld geschützt, wären wir längst in mörderischer Wut übereinander hergefallen ... aber dafür brauchen wir wohl nicht extra ein Symbol, nicht wahr?«

»Der nächste Raum?« fragte Ryld.

Jeggred hatte schon die Tür erreicht. Der Draegloth öffnete sie und stürmte hindurch, gefolgt von den anderen, die sich in einer runden Kammer wiederfanden, die dem Grund eines Brunnens ähnelte. Mehrere der über ihnen liegenden Stockwerke waren eingebrochen und bildeten am Grund einen Berg aus Schutt und Trümmern. Bruchstücke, die größer als ein Drow waren, schränkten die Bewegungsfreiheit der Gruppe ein.

Ryld starrte in die Leere über ihnen und suchte nach Hinweisen auf das Monster, das hier auf sie lauern sollte. Die anderen taten es ihm nach, doch niemand konnte etwas sehen.

»Ich sehe keinen Betrachter«, stellte Jeggred fest.

Ryld wollte eben etwas erwidern, als von oben eine schreckliche, krächzende Stimme ertönte: »Natürlich nicht! Ich will auch nicht gesehen werden!«

Unmittelbar darauf holte die Kreatur nach ihnen aus. Von irgendwo hoch über ihnen, nahe der Spitze der Turmruine, schossen grelle Strahlen magischer Energie – die tödlichen Strahlen, die aus den Augen des Monsters drangen, konnten den Gegner verletzen, lähmen, verzaubern oder gar auslöschen – auf die Drow herab, gefolgt von einem gewaltigen blauen Blitz, den das unsichtbare Monster beschworen hatte. Ryld konnte die Quelle der Magie nicht erkennen.

Die Strahlen und der knisternde Stromschlag lösten sich abrupt auf, als sie mit Pharauns magiefreier Zone in Berührung kamen. Die Kreatur versuchte es ein weiteres Mal und schickte verschiedene Strahlen ebenso auf sie herunter wie einen gräßlichen Zauber, den sie in ihrer tiefen, dröhnenden Stimme herausschrie, doch auch diesmal war ihr kein Erfolg beschieden.

Ryld hob die Armbrust und zielte auf den Punkt, von dem er meinte, er sei der Ausgangspunkt der Strahlen, dann feuerte er den Bolzen ab. Ein schmerzhaftes Kreischen weit oben verriet ihm, daß er gut gezielt hatte. Valas, Danifae und Pharaun eröffneten auch das Feuer, während Jeggred einen großen Ziegelstein nahm und ihn erstaunlich geschickt in die Finsternis über ihnen schleuderte. Natürlich traf nur ein Teil des Sperrfeuers ins Ziel. Selbst wenn der Betrachter sichtbar gewesen wäre, sorgte seine dicke chitinartige Haut dafür, daß viele Angriffe abgewehrt werden konnten. Um so schwieriger war es, die Kreatur zu treffen, wenn sie sich in Unsichtbarkeit hüllte. Dennoch landeten sie Treffer.

Der Betrachter-Magus verstand sehr schnell, welcher Art die Verteidigung der Gruppe war. Anstatt weiter direkt die Drow zu attackieren, richtete er seinen todbringenden Blick auf die Überreste der oberen Geschosse. Mit einem Augenstrahl brannte er sich durch den Fuß eines schweren Holzträgers, der aus der Steinmauer des Turms ragte, mit einem anderen nahm er das Stück in einen telekinetischen Griff, um dann das massive Objekt auf Valas Hune zu schleudern. Der Späher sprang noch gerade rechtzeitig zur Seite, damit er nicht von dem schweren Holzstück erschlagen wurde, verlor aber das Gleichgewicht und landete inmitten des Schutts. Staub erfüllte die Luft, während sich der Betrachter sofort den nächsten Holzträger vornahm und gleichzeitig zu einem anderen Zauber ansetzte.

»Wir müssen weiter hochklettern«, sagte Quenthel. »Die Kreatur hält sich oberhalb von Pharauns Zauber auf.«

»Soll ich etwa springen?« fragte Pharaun. Er wich einem Stück Mauerwerk von der Größe eines Kopfs aus, dann zielte er wieder mit der Armbrust. »Die Anti-Magie, die uns schützt, hindert uns auch daran, zu fliegen oder zu schweben, um ...«

»Um Lolths willen!« rief Ryld. Zeichensprache!

Valas eilte zur anderen Seite und versuchte, einen besseren Blick auf den Gegner zu bekommen. Der Späher zielte sorgfältig mit der Armbrust und schickte einen weiteren Pfeil empor. Der Betrachter stieß einen schrecklichen Schrei aus, dann erloschen die Augenstrahlen, und der Regen aus Trümmerstücken setzte aus.