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»Schon Neuigkeiten von der Armee, älteste Schwester?« fragte sie sanft.

»Noch nicht. Zal’therra sagt mir, Mez’Barris habe eine kleine Vorhut entsandt, um vorab einen strategisch wichtigen Paß auf dem Weg der Duergar-Armee zu besetzen, was mir recht vernünftig erscheint. Der Rest der Armee der Schwarzen Spinne wird so schnell wie möglich folgen.«

»Es ist eine schwierige Situation. Ich frage mich, ob du die Armee hättest persönlich anführen sollen.«

Triel zog die Augenbrauen hoch. Sie war es nicht gewohnt, daß jemand offen ihr Handeln analysierte. Aber wenn sie keine Kritik aus den Reihen der eigenen Familie hinnehmen konnte, wie wollte sie dann hoffen, die anderen Matronen einzuschüchtern?

»Angesichts der ungewöhnlichen Situation«, erwiderte Triel, »hielt ich es für klüger, nahe der Stadt zu bleiben.«

»Vielleicht. Das Problem ist ganz simpler Natur. Wird die Armee geschlagen, wird man dir die Schuld geben. Triumphiert sie, hast du aus Mez’Barris Del’Armgo eine Heldin gemacht.«

»Ja, und aus Zal’therra und Andzrel«, betonte Triel. »Ich gebe zu, ich habe mehr zu verlieren als zu gewinnen, aber ich werde nicht mein eigenes Handeln in Frage stellen.«

Sie betrachtete die Kapelle, sah hinauf zu dem großen magischen Bild, das Lolth darstellte. Vor Sos’Umptus Augen vollzog Triel eine förmliche Verbeugung.

»Du hast dich in den letzten Zehntagen nicht so intensiv um die Riten Lolths gekümmert, wie du es hättest tun können«, sagte Sos’Umptu.

Lolth hat sich schon viel länger nicht um uns gekümmert, dachte Triel spontan.

Sofort verdrängte sie diesen blasphemischen Gedanken aus ihrem Geist, entsetzt, daß ihr etwas so ehrfurchtsloses in den Sinn kommen konnte. Äußerlich wahrte sie Ruhe, was ihr durch langes Üben keine Schwierigkeiten bereitete, und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Schwester.

»Wir stehen noch vor einer anderen Herausforderung«, sagte Triel. »Die Meister Sorceres machen sich dafür stark, daß ein Nachfolger für Gromph gefunden wird. Haus Baenre hat seit Jahrhunderten nach eigenem Gutdünken den Erzmagier auf dem Thron Sorceres bestimmt, doch diesmal überlege ich, ob es sinnvoll wäre, den Kandidaten eines anderen Hauses für diese Position zu unterstützen. Es könnte ... dienlich sein.«

Sos’Umptus Augen weiteten sich kaum merklich, als sie fragte: »Du willst meinen Rat hören?«

»Da Gromph verschwunden und Quenthel weit weg von hier ist, muß ich feststellen, daß die Kinder meiner großartigen Mutter rar gesät sind. Wenige Frauen – und noch weniger Männer – verstehen, welche Lektionen uns unsere Mutter lehrte.« Triel schnaubte. »Nicht mal alle unsere Geschwister, um es genau zu nehmen. Bladen’Kerst kannte nur Stärke und Grausamkeit, Vendes war einfach nur aufs Morden aus. Ich brauche einen scharfen Verstand, einen subtilen Geist, jemanden, der von meiner Mutter ausgebildet wurde. Mir wird klar, daß ich dir viel zu lange erlaubt habe, in dieser Kapelle zu lauern.« Triel trat einen halben Schritt vor, ihre Züge verhärteten sich. »Du mußt verstehen, daß ich deinen Rat einholen werde, wenn ich es will. Verwechsle Überlegen nicht mit Unentschlossenheit. Ich werde mein Recht zum Herrschen nicht in Frage stellen lassen.«

Sos’Umptu nickte: »Gut. Ich denke, wir sollten davon ausgehen, daß Gromph tot ist. Er hätte nicht leichtfertig seine Pflichten vernachlässigt, und es gibt mindestens zwei Gründe, die dafür sprechen, daß jemand ihn ermordet haben könnte. Entweder wollte jemand einen Schlag gegen den Erzmagier führen, oder es sollte ein Schlag gegen den höchsten Magier des Hauses Baenre sein. Im ersten Fall wird der kommende Erzmagier entweder der Sündenbock oder das nächste Ziel sein. Warum sollten wir uns anstrengen, einen Baenre-Magier einzusetzen, der schwächer ist als Gromph, wenn die Chance besteht, daß wir jeden verlieren, hinter den wir uns stellen?«

»Mir gefällt der Gedanke nicht, einen so wichtigen Posten einfach einer anderen Familie zu überlassen, aber noch weniger behagt mir die Aussicht, einen weiteren guten Magier zu verlieren«, sagte Triel nachdenklich. »Vor allem, wenn wir eine engere Bindung zu einem anderen Haus schaffen, indem wir dessen Kandidat unterstützen, der dann das Ziel jener Macht werden könnte, die stark genug war, um Gromph zu vernichten.«

»Ich verstehe nicht«, erwiderte Sos’Umptu. »Du suchst Verbündete

»Es kommt mir so vor, als seien wir vielleicht gut beraten, uns mit einem großen Haus von mittlerem Rang zu verbünden, vielleicht auch mit zweien«, erklärte Triel. »Es dürfte eine vernünftige Vorkehrung sein, gewappnet zu sein, wenn das zweite oder dritte Haus versuchen sollten, sich mit den anderen gegen uns zusammenzuschließen.«

Sos’Umptu strich sich übers Kinn und entgegnete: »Du glaubst, die Lage ist so gefährlich? Mutter hätte sich mit einer solchen Vorgehensweise nie einverstanden erklärt.«

»Mutter lebte in einer anderen Zeit«, konterte Triel. »Vergleiche mich nie wieder mit ihr.«

Triel sah ihre Schwester so lange eindringlich an, bis die den Blick senkte. Wenn sie sich mit Quenthel verbündete oder einer Kabale der fähigeren Basen wie beispielsweise Zal’therra, konnte sie für Triel zur Bedrohung werden, doch bis dahin war sie vertrauenswürdig – jedenfalls innerhalb gewisser Grenzen.

»Was, wenn Gromphs Ermordung sich gegen das Haus Baenre richtete?« fragte Triel. »Wenn es nicht einfach nur um den Posten des Erzmagiers ging?«

»Dann wären wir gut beraten, wenn wieder ein Baenre-Ma-gier Sorcere leitet. Wenn nicht, würden wir schwach erscheinen. Wenn die anderen Häuser uns erst einmal als verwundbar ansehen, könnten sie sich versucht fühlen, genau das zu tun, was du befürchtest.«

»Dein Rat ist für mich kein Trost, Sos’Umptu«, sagte Triel. »Außerdem befürchte ich nichts, ich bin besorgt.«

»Ich wüßte noch eine Möglichkeit«, fügte Sos’Umptu an. »Schiebe es auf. Behaupte einfach weiter, Gromph sei nach wie vor der Erzmagier Menzoberranzans. Verbreite die Geschichte, du hättest ihn auf eine Mission geschickt, die ihn eine Weile in Anspruch nehmen wird. Je länger wir es hinauszögern, desto wahrscheinlicher ist es, daß die Ereignisse etwas über die Umstände seines Verschwindens ergeben. Wenn die Armee der Schwarzen Spinne in den Tunneln im Süden erfolgreich ist, könnte deine Position ausreichend gestärkt werden, um mit dem Posten des Erzmagiers nach Belieben zu verfahren.«

Triel nickte. Das klang vernünftig. Auch wenn sie es haßte zuzugeben, daß ein weiter anhaltendes Schweigen Lolths ihr eine Herausforderung um die Führung des Hauses bescheren konnte, konnte es nicht schaden, ihre Bindung zu Sos’Umptu zu verstärken. Sie würde vielleicht so viele Schwestern wie möglich auf ihrer Seite haben müssen.

Die Tür zur Kapelle öffnete sich knarrend, und ein dicker Mann in elegantem schwarzen Gewand trat ein. Er erinnerte an eine Hauskatze, die man zu gut gefüttert hatte und die mit ihrer eigenen Überlegenheit gänzlich zufrieden war. Nauzhror Baenre war Triels Vetter ersten Grades, der Sohn einer Nichte ihrer Mutter. Seine Vertraute, eine haarige Spinne, die so wohlgenährt war wie der Magier selbst, kauerte auf seiner Schulter. Er galt als ein Meister Sorceres, neben dem alten Gromph der einzige aus dem Haus Baenre, und hatte die Angewohnheit, sorglos zu lächeln, was es schwierig machte, seine Gedankengänge einzuschätzen. So sehr sie sich auch anstrengte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie er das Gewand des Erzmagiers von Menzoberranzan trug.

»Ihr habt nach mir gerufen?«

»Ich werde verkünden«, sagte Triel, »daß mein Bruder Gromph sich auf einer wichtigen, streng geheimen Mission befindet. Er wird zu gegebener Zeit wieder seine Pflichten als Erzmagier von Menzoberranzan erfüllen. Bis dahin werde ich den Meistern Sorceres erlauben, einen Vertreter zu bestimmen, der sich um die mit dem Posten verbundenen Verantwortlichkeiten kümmert. Ihr werdet den besten Kandidaten unterstützen, der von Haus Xorlarrin oder Agrach Dyrr gestellt wird.«