Die Kreatur erholte sich schnell von dem Überraschungsef-fekt und wirbelte herum, um die angreifenden Drow mit tödlichen Strahlen und Zaubern abzuwehren. Jeggred wurde von einem telekinetischen Strahl getroffen und durch den Raum geschleudert, während Danifae sich flach auf den Boden pressen mußte, um dem glühenden grünen Desintegrationsstrahl auszuweichen. Ryld kam drei Schritte weit, ehe gleich drei der dünnen Augenstiele des Monsters herumpeitschten, ihn sofort entdeckten und weitere Zauber in seine Richtung schickten. Ein Hagel aus weißglühenden Energieblitzen wurde abgefeuert und traf seinen Torso, als würde er vom Streithammer eines Zwergs getroffen. Ryld stöhnte auf und fiel auf den harten Boden.
Da kam ein Schwarm Teufel die Treppe heraufgestürmt. Innerhalb kürzester Zeit herrschte im Raum völliges Chaos, weil immer mehr Teufel hereindrängten; einige warfen dem Betrachter wütende Blicke zu, andere blieben verwirrt stehen und wunderten sich, daß schon so viele ihrer Art in dem Saal anwesend waren.
Die am Boden liegende Danifae wies auf den Betrachter und kreischte: »Der Betrachter hat sich mit den Dunkelelfen verbündet! Tötet ihn! Freßt seine Augen!«
Die Teufel hielten gerade lange genug inne, daß der Betrachter die vorderste Reihe mit todbringenden Zaubern belegen konnte, doch dann eilten sie los und warfen sich dem Monster entgegen. Steinharte Klauen zerrten und rissen an dem Betrachter, während andere Teufel in Blitzen aus weißem Feuer vergingen oder unter den Augenstrahlen des Betrachters zu leblosem Stein zerfielen.
Ryld hatte aufspringen und sich wieder auf das Monster stürzen wollen, doch er sah Pharauns warnende Geste, also täuschte er vor, verletzt zu sein. Pharauns Strategie war brillant. Sollten der Betrachter und die Teufel doch kämpfen – vielleicht löschten sich ihre Widersacher gegenseitig aus.
»Schwachsinnige Narren!« zischte der Betrachter. »Die Drow haben euch getäuscht!« Er richtete noch immer verheerende Verletzungen an, da er weiter mit Zaubern und Augenstrahlen versuchte, den Angriff der Teufel zurückzuschlagen. Der Gestank von verkohltem Fleisch und das geisterhafte Gefühl tödlicher Magie schwängerte die Luft.
Das sichere Gefühl, daß etwas nicht stimmte, machte sich in Rylds Herz breit, und in diesem Moment gelangte ein massiger Höllenschlundteufel in den Raum. Der gewaltige Teufel war zweimal so groß wie ein Drow, der Torso war muskulös, die riesigen schwarzen Flügel umhüllten ihn wie ein glänzender Mantel. Mit einem bösen, abschätzenden Blick erfaßte er die Szene, und Ryld erschrak, als ihm klar wurde, daß das mächtige Scheusal sich nicht im mindesten von Pharauns Illusion täuschen ließ.
Mit einer beiläufigen Geste ließ der riesige Teufel in seiner Klaue eine große, wallende Kugel aus schwarzem Feuer entstehen, die er auf Pharaun warf. Das finstere Etwas verging in einer gewaltigen Explosion aus düsteren Flammen, die den Turm in seinen Grundfesten erschütterte. Pharaun flog vier Meter durch die Luft und erlitt massive Verbrennungen, während die kleineren Teufel und die anderen Drow gleichermaßen umhergeschleudert wurden.
»Sie sind hier!« brüllte die Kreatur mit einer Stimme, die wie eine tosende Schmiede klang. »Vernichtet die Drow!«
Der Höllenschlundteufel wollte eine weitere seiner höllischen Feuerkugeln beschwören, als sich Jeggred – der immer noch wie ein Teufel aussah – in die Flanke des Scheusals warf und an ihm riß und zerrte. Der große Teufel brüllte vor Zorn auf, während der Angriff des Draegloth ihn ins Wanken brachte.
»Lolths süßes Chaos«, murmelte Ryld.
Wer war gefährlicher? Der Betrachter-Magus oder der Höllenschlundteufel? Der Betrachter attackierte weiter jeden Teufel, den er sah, ob es sich nun um einen echten oder einen getarnten handelte. Die meisten Untergebenen des Höllenschlundteufels waren inzwischen gefallen, und er selbst schlug auf Jeggred ein, der direkt vor dem infernalischen Geschöpf stand und mindestens so gut austeilte, wie er einstecken konnte.
Der Waffenmeister sah zwischen den beiden Feinden hin und her, zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann hatte er sich entschieden. Leise wie in Pfeil, der durch die Dunkelheit flog, erhob sich Ryld und machte einen Satz nach vorn, während er einen immensen Hieb gegen den runden Leib des Betrachters führte. Der machte ihn aber sofort aus und schickte einen Lichtblitz in seine Richtung, doch der Waffenmeister wich zur Seite aus und stürmte weiter voran. Ein weiteres Auge richtete sich auf ihn, woraufhin das Brummen des Betrachters in einen besonders gräßlichen und tödlichen Ton überging. Statt abzuwarten, welche Art von Zauber das Monster mit diesem Auge wirken wollte, änderte Ryld seine Laufrichtung und stieg in die Luft auf, um den Tentakel mit einem gezielten Schlag mit Splitters glänzender Klinge abzutrennen.
Das Brummen des Betrachters ging in einen durchdringenden Schmerzensschrei über. Das Monster fuhr herum, um sich Ryld mit weitaufgerissenem Maul zuzuwenden, doch der Waffenmeister zielte sorgfältig und trennte ein weiteres Auge ab, ehe er sich duckte und sich unterhalb der aufgeblähten schwebenden Sphäre zurückzog, die von keinem der Augen direkt eingesehen werden konnte.
Ryld kniete sich hin, packte Splitter fester und jagte den Zweihänder von unten durch die chitinartige Hülle des Monsters. Dickes schwarzes Blut lief an der Klinge entlang, das gewaltige Monster erzitterte und kreischte wieder.
»Gut!« rief Jezz.
Der Jaelre-Renegat stieß arkane Worte aus, mit den Händen beschrieb er mystische Muster. Auf diese Weise ließ er ein sengendes Geschoß aus magischer Säure entstehen, das einen weiteren Augenstiel vom Leib des Betrachters brannte, während sich das Monster vor Schmerzen wand.
Ryld riß sein Schwert zurück und rollte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite weg, da der Betrachter gerade versuchte, ihn unter sich zu begraben, während seine Kiefer nach ihm schnappten. Als er aufsah, fand er sich genau vor der Vorderseite des Leibes wieder, wo einst das große zentrale Auge aus einem gepanzerten Rückenschild geblickt hatte. Dieses Auge war nun nur noch eine leere Höhle. Der Waffenmeister erinnerte sich an eine alte Lektion: Ein Betrachter, der Magie erlernen will, muß sich selbst blenden, um das zu bewerkstelligen.
Die kleineren Augen zuckten auf ihren Tentakeln, als sie versuchten, sich auf Ryld zu konzentrieren. Der sah seine Chance gekommen, und zur gleichen Zeit sah er sein Ziel vor sich. Mit einer flinken Bewegung trieb er Splitter wie eine Lanze in die leere Augenhöhle und damit tief in das fremdartige Gehirn der Kreatur. Wild entschlossen bewegte er seinen Zweihänder immer wieder vor und zurück, hin und her, während unablässig schwarzes Blut aus der gräßlichen Wunde spritzte.
Der Betrachter erzitterte ein letztes Mal, seine Kiefer schlugen zusammen, und die wenigen noch verbliebenen Augenstiele erschlafften. Er sank langsam zu Boden.
Ryld sah auf und bemerkte, daß sich ihm ein Teufel näherte, der erkannt hatte, was sich wirklich hinter der Illusion verbarg. Er zog rasch sein Kurzschwert, mit dem er das Scheusal ausweiden wollte, das sich auf ihn stützte. Der Teufel riß ihn zu Boden, sein übelriechendes Blut ergoß sich über ihn. Ryld würgte vor Ekel und stieß den zuckenden Leib mit einem Schulterstoß weg. Gleichzeitig zog er sein Schwert aus dem Leichnam, während er mit der linken Hand Splitter aus dem Auge des Betrachter-Magus befreite. Dann schüttelte er heftig den Kopf, um das Blut der Gegner aus seinen Augen zu bekommen.
Am Eingang zum Saal ging Jeggred unter einem neuerlichen, schrecklichen Zauber des Höllenschlundteufels zu Boden, einer brüllenden Feuersäule, die zwar das Fell des Draegloth schwärzte, die ihn aber nicht auf der Stelle verkohlte, da der Halbdämon von Geburt an gegen Feuer resistent war.
Jeggred kreischte und rollte sich über den Boden, weil er die Funken ersticken wollte. Der Höllenschlundteufel folgte ihm, um einen weiteren Angriff folgen zu lassen, doch da baute sich Danifae vor ihm auf und verpaßte dem Monster einen so gewaltigen Schlag, daß seine Kniescheibe zertrümmert wurde. Der Teufel begann zu wanken und nahm seine Flügel zu Hilfe, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, doch in dem Moment jagte Valas ihm drei Pfeile in den Rücken, die sich bis zum Federkiel zwischen den Schulterblättern in den Leib bohrten.