Wo am Ende eines Bords noch Platz war, standen Fotografien. Sie steckten in billigen Rahmen, größtenteils Schnappschüsse, die lachende kleine Kinder zeigten, eine grauhaarige Frau vom Typ Oma, mehrere junge Erwachsene. Zwischen den Fotografien lag, in Plexiglas verschlossen, das Verwundetenabzeichen. Douglas nahm es in die Hand. Er hatte nie vorher eines gesehen, und es befriedigte ihn zu wissen, dass seine Vermutung über die Ursache von Cowleys Hinken richtig gewesen war.
»Sie waren an der Front«, sagte er.
»Mein Hintern, ja«, antwortete Cowley. Douglas sah ihn fragend an. »Ich hab's in den Hintern gekriegt. Schöner Scheiß passiert einem manchmal.« Er hob die Hände von den Armlehnen seines Stuhls und faltete sie über seinem Bauch, der genau wie der von Douglas ruhig etwas flacher hätte sein können. Tatsächlich waren die beiden Männer ganz ähnlich gebaut: untersetzt, zur Fülle neigend, zu groß, um klein genannt zu werden, zu klein, um groß genannt zu werden. »Also, was kann ich für Sie tun, Mr. Armstrong?«
»Meine Frau«, sagte Douglas.
»Ihre Frau?«
»Es ist möglich, dass sie ...« Jetzt, da der Moment gekommen war, das Problem und seinen Ursprung in Worte zu fassen, war Douglas nicht mehr sicher, dass er dazu fähig wäre. Darum sagte er: »Wo ist der Sohn?«
»Was?«
»Auf Ihrem Schild steht doch Cowley und Sohn, aber es steht nur ein Schreibtisch hier. Wo ist der Sohn?«
Cowley griff nach seinem Orangeneisgetränk und sog kurz am Strohhalm. »Tot«, sagte er. »Ein Betrunkener hat ihn auf dem Ortega Highway totgefahren.«
»Das tut mir Leid.«
»Tja, wie ich schon sagte, Scheiße kommt vor. Was für ein Scheiß ist Ihnen denn passiert?«
Douglas legte das Verwundetenabzeichen wieder an seinen Platz. Sein Blick fiel auf die graue Großmama auf einem der Fotos, und er sagte: »Ist das Ihre Frau?«
»Seit vierzig Jahren. Sie heißt Maureen.«
»Ich bin bei meiner dritten. Wie haben Sie's vierzig Jahre lang mit einer Frau ausgehalten?«
»Sie hat Humor.« Cowley zog die mittlere Schreibtischschublade auf und nahm einen gelben Kanzleiblock und einen Bleistiftstummel heraus. Oben auf das erste Blatt schrieb er in großen Druckbuchstaben »Armstrong« und unterstrich es. Er sagte: »Um auf Ihre Frau zurückzukommen .«
»Ich glaube, sie geht fremd. Ich möchte wissen, ob ich Recht habe. Und ich möchte wissen, wer der Kerl ist.«
Cowley legte bedächtig seinen Bleistiftstummel nieder. Einen Moment lang betrachtete er Douglas. Draußen kreischte eine Möwe heiser von einem Hausdach herunter. »Wie kommen Sie darauf, dass sie Sie betrügt?«
»Muss ich Ihnen Beweise liefern, ehe Sie den Fall übernehmen? Ich dachte, dazu wären Sie da - mir die Beweise zu liefern.«
»Sie wären nicht hier, wenn Sie nicht gewisse Vermutungen hätten. Also, was für welche?«
Douglas überlegte. Auf keinen Fall würde er Cowley erzählen, wie er versucht hatte, an Donnas Unterwäsche zu schnüffeln. Er nahm sich deshalb einen Augenblick Zeit, um sich ihr Verhalten in den letzten Wochen zu vergegenwärtigen. Und als er das tat, sah er zusätzliche Indizien. Guter Gott. Wie, zum Teufel, hatte er das übersehen können? Sie hatte sich eine andere Frisur machen lassen; sie hatte neue Unterwäsche gekauft - diese schwarze Reizwäsche von Victoria's Secret; sie war zweimal, als er nach Hause gekommen war, am Telefon gewesen und hatte sofort aufgelegt, als er das Zimmer betreten hatte; mindestens zweimal war sie längere Zeit weg gewesen, ohne ihm eine ausreichende Erklärung für ihre Abwesenheit zu geben; sechs- oder siebenmal hatte sie Verabredungen gehabt, angeblich mit Freundinnen, wie sie behauptet hatte.
Cowley nickte nachdenklich, als Douglas seine Verdachtsmomente aufzählte. Dann sagte er: »Haben Sie ihr Grund gegeben, Sie zu betrügen?«
»Grund? Hey, was soll das? Bin ich hier vielleicht der Schuldige?« »Frauen gehen im Allgemeinen nicht fremd, wenn ihnen nicht ihr Mann Anlass dazu gibt.« Cowley musterte ihn, die buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. In einem seiner Augen, das sah Douglas jetzt, begann sich ein Katarakt zu bilden. Du meine Güte, der Kerl war uralt, ein echtes Museumsstück.
»Es gibt keinen Grund«, erklärte Douglas. »Ich geh nicht fremd. Ich hab nicht mal Lust dazu.«
»Aber sie ist jung. Und ein Mann in Ihrem Alter ...«
Cowley zuckte die Achseln. »Bei uns alten Knackern läuft schon mal was schief. Und so junge Dinger haben nicht immer die Geduld, das zu verstehen.«
Douglas hätte Cowley gern darauf hingewiesen, dass dieser mindestens zehn Jahre älter war. Er wollte sich nicht mit »uns alten Knackern« in einen Topf werfen lassen. Aber der Privatdetektiv sah ihn so teilnahmsvoll an, dass Douglas, anstatt zu widersprechen, die Wahrheit erzählte.
Cowley griff nach seinem Orangeneisgetränk und leerte den Becher. Er warf ihn in den Papierkorb. »Frauen haben auch ihre Bedürfnisse«, sagte er und hob, während er fortfuhr, die Hand vom Hosenschlitz zu seiner Brust.
»Ein kluger Mann verwechselt nicht das, was hier vorgeht . « - Hand auf dem Hosenschlitz - »mit dem, was hier vorgeht« - Hand auf dem Herzen.
»Vielleicht bin ich ja nicht klug. Wollen Sie mir jetzt helfen oder nicht?«
»Sind Sie sicher, dass Sie Hilfe wollen?«
»Ich will die Wahrheit wissen. Damit kann ich leben. Was ich nicht aushaken kann, ist Ungewissheit. Ich muss einfach wissen, womit ich es zu tun habe.«
Cowley machte ein Gesicht, als wolle er Douglas' Maß an Aufrichtigkeit ergründen. Schließlich schien er einen Entschluss zu fassen, der ihm selbst allerdings nicht zu gefallen schien, denn er schüttelte den Kopf, als er zu seinem Bleistiftstummel griff und sagte: »Gut, dann geben Sie mir ein paar Hintergrundinformationen. Wenn sie wirklich fremdgeht, wer kommt in Frage?«
Darüber hatte sich Douglas schon seine Gedanken gemacht. Da gab es Mike, den Mann für den Pool, der einmal in der Woche vorbeikam. Da gab es Steve, der mit Donna in ihrem Zwinger in Midway City zusammenarbeitete. Da gab es Jeff, ihren persönlichen Trainer im Fitness-Studio. Außerdem gab es einen Briefträger, den UPS-Fahrer und Donnas allzu jugendlichen Gynäkologen.
»Darf ich annehmen, dass Sie den Fall übernehmen?«, sagte Douglas zu Cowley. Er zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr ein Bündel Scheine. »Sie wollen doch sicher eine Vorauszahlung.«
»Ich brauche kein Bargeld, Mr. Armstrong.«
»Trotzdem . « Trotzdem hatte Douglas nicht die Absicht, Spuren in Form eines Schecks zu hinterlassen.
»Wie viel Zeit brauchen Sie?«
»Sagen wir, ein paar Tage. Wenn sie jemanden hat, wird er früher oder später auftauchen. Das ist immer so.« Cowley wirkte niedergeschlagen.
»Hat Ihre Frau Sie betrogen?«, erkundigte sich Douglas neugierig.
»Wenn sie's getan hat, dann hab ich's wahrscheinlich verdient.«
Das war Cowleys Einstellung. Douglas teilte sie nicht. Er hatte es nicht verdient, betrogen zu werden. Niemand verdiente das. Und wenn er herausbekam, wer der Kerl war, der mit seiner Frau ins Bett stieg ... na, die konnten sich auf einen Vergeltungsschlag gefasst machen, der Attila, dem Hunnenkönig, zur Ehre gereicht hätte. O ja!
Er wurde in seinem Vorsatz bestärkt, als er am Abend im Schlafzimmer beim Begrüßungskuss mit Donna vom Telefon gestört wurde. Donna riss sich hastig von ihm los und lief zum Apparat. Sie sah Douglas mit einem Lächeln an - als wüsste sie, was ihre Hast ihm verriet - und schüttelte mit einer aufreizenden Bewegung ihr Haar zurück, als sie den Hörer abhob.
Douglas hörte sich ihren Teil des Gesprächs an, während er sich umzog. Er hörte die plötzliche Munterkeit in ihrer Stimme, als sie sagte: »Ja, ja. Hallo! - Nein - Doug ist gerade nach Hause gekommen, und wir haben uns über den Tag unterhalten .«
Jetzt wüsste der Anrufer also, dass er im Zimmer war. Douglas konnte sich lebhaft vorstellen, was der Kerl sagte: »Du kannst also nicht reden, hm?«