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»Dort drüben, in der St.-James-Kirche des Dorfes Sutton Cheney, sprach König Richard am Vorabend der Schlacht ein inbrünstiges Gebet«, sagte Malcolm. »Versuchen Sie sich vorzustellen, was für ein Abend das gewesen sein muss.«

Von da an lief es von selbst. In den vielen Jahren seiner Tätigkeit als Führer von Reisegruppen in Bosworth Field hatte er die Geschichte schon tausendmal erzählt. Jetzt brauchte er nur noch den Schwerpunkt auf die roman­tischen Aspekte zu legen und diese entsprechend auszuschmücken. Das war kein Problem.

Die Truppen des Königs - zwölftausend Mann - hatten auf der Höhe des Albion Hill gelagert, wo jetzt Malcolm Cousins und seine Schar fröstelnder Nicht-Richardianerin- nen standen. Der König wusste, dass der kommende Tag über sein Schicksal entscheiden würde: Ob er weiterhin als Richard III. regieren würde oder ob ihm die Krone mit Gewalt entrissen und ein Emporkömmling sie sich aufs Haupt setzen würde, der den größten Teil seines Lebens auf dem Kontinent verbracht hatte, sicher versteckt und gehätschelt von jenen, deren Ehrgeiz es schon seit langem war, das Haus York zu vernichten. Der König wusste zweifellos auch, dass sein Schicksal in der Hand der Brüder Stanley lag - Sir William und Lord Thomas Stanley. Sie waren mit einer großen Streitmacht in Bosworth eingetroffen und hatten ihr Lager im Norden aufgeschlagen, nicht weit entfernt von dem des Königs, aber auch - und das verhieß nichts Gutes - in der Nähe von Richards heimtückischem Feind Heinrich Tudor, Graf von Richmond, der zugleich Lord Stanleys Stiefsohn war. Um die Loyalität des Vaters zu erzwingen, hatte Richard einen der leiblichen Söhne Lord Stanleys als Geisel genommen und gedroht, das Leben des jungen Mannes wäre verwirkt, wenn sein Vater Englands gesalbten König verriete und sich in der bevorstehenden Schlacht auf Tudors Seite schlüge. Die Stanleys jedoch waren eine falsche Sippschaft und hatten unzählige Male bewiesen, dass sie nur ihren eigenen Interessen treu waren; der König muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, welch ein ungeheures Risiko er einging - ob er nun George Stanley in seiner Gewalt hatte oder nicht -, wenn er die Sicherheit seines Throns der Unberechenbarkeit von Männern anvertraute, die sich vor allem durch ihre Eigennützigkeit auszeichneten. Am Abend vor der Schlacht hatte Richard gesehen, dass die Stanleys im Norden lagerten, in Richtung von Market Bosworth. Er hatte einen Boten ausgesandt, um sie daran zu erinnern, dass sie angesichts der Tatsache, dass George Stanley sich noch immer in des Königs Gewalt befand und hier, im Lager des Königs, gefangen gehalten wurde, klug daran täten, am folgenden Tag dem König die Treue zu halten.

Richard war unruhig gewesen, hin und her gerissen. Kann es einen Zweifel daran geben, dass er, der während seiner kurzen Regierungszeit zuerst seinen Sohn und Erben und dann seine Frau verloren hatte, der von Freunden, die ihm einst nahe standen, verraten worden war, sich Gedanken darüber machte - wenn auch vielleicht nur flüchtig -, wie viel Zeit ihm noch bestimmt war? Kann es einen Zweifel daran geben, dass er, der in der Religion seiner Zeit verwurzelt war, wusste, wie schwer die Sünde der Verzweiflung wog? Und kann es unter diesen Voraussetzungen einen Zweifel daran geben, was der König am Vorabend der Schlacht zu tun beschlossen hatte?

Malcolm ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen. Ja, hier und dort war ein befriedigend umflorter Blick zu sehen. Sie erkannten das Potenzial für Liebe und Roman­tik in der Geschichte eines verwitweten Königs, der nicht nur seine Frau und seinen Erben verloren hatte, sondern obendrein nur noch Stunden von seinem eigenen Tod entfernt war.

Malcolm richtete einen triumphierenden Blick auf Miss Sludgecur. Ihre Miene besagte: Verlass du dich nur nicht zu sehr auf dein Glück.

Er hätte ihr gern erklärt, dass es mit Glück überhaupt nichts zu tun hatte, sondern einzig mit der unwider­stehlichen Faszination der Wahrheit. Der Wind blies stärker, und es war noch um einige Grad kälter geworden, aber seine kleine Schar stand ganz im Bann jenes Augustabends des Jahres 1485.

Am Vorabend der Schlacht, erklärte Malcolm seinen Zuhörerinnen, habe Richard - sicher, dass er sterben würde, wenn der Feind ihn besiegte - vermutlich das Bedürfnis gehabt, die Beichte abzulegen. Die Geschichte berichtet uns, sagte er, dass es in Richards Heer keine Priester oder Militärgeistlichen gab, und so wird er die St.- James-Kirche aufgesucht haben, um einen Beichtvater zu finden. In der Kirche war es still gewesen bei Richards Eintritt. Im Schiff brannte vielleicht eine Votivkerze oder ein Binsenlicht, sonst war es dunkel. Hörbar waren einzig die Geräusche, die Richard selbst verursachte, als er vom Portal zum Altar ging und dort niederkniete: das Rascheln seines Barchentwamses (satingefüttert, führte Malcolm aus, der wusste, welchen Wert Romantiker aufs Detail legten), das Knarren des Leders, aus dem seine dick- sohligen Kampfstiefel und die Scheide seines Degens gefertigt waren, das Klirren des Schwerts und des Degens, als er - »Aber um Gottes willen«, rief eine der roman­tischen Neo-Richardianerinnen, »was war das für ein Mann, der Schwert und Degen in eine Kirche mitnahm?«

Malcolm lächelte gewinnend. Er dachte: Ein Mann, der die Waffen verdammt gut gebrauchen konnte, weil sie bestens dafür geeignet waren, eine lose Steinplatte anzu­heben. Aber er sagte: »Ja, ungewöhnlich, gewiss. Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand bewaffnet eine Kirche betritt, nicht wahr? Aber es war der Abend vor der Schlacht. Überall wimmelte es von Richards Feinden. Er wäre niemals ungeschützt in die Dunkelheit hinaus­gegangen.«

Ob der König bei dem Kirchgang an diesem Abend seine Krone getragen habe, wisse niemand, fuhr Malcolm fort. Wenn aber ein Priester in der Kirche gewesen sei, um ihm die Beichte abzunehmen, dann habe dieser Priester Richard seinen Gebeten überlassen, nachdem er ihm die Absolution erteilt hatte. Und dort in der Dunkelheit, die nur von dem kleinen Binsenlicht im Schiff der Kirche erhellt wurde, habe Richard mit seinem Gott Frieden geschlossen und sich auf das Schicksal vorbereitet, das der nächste Tag verhieß.

Malcolm musterte seine Zuhörerinnen, um ihre Reaktionen und ihre Aufmerksamkeit einzuschätzen. Sie waren gefesselt. Er hoffte, sie überlegten, wie viel Trinkgeld sie ihm dafür geben sollten, dass er ihnen bei diesem mörderischen Wind eine derartig bravouröse Vorstellung geboten hatte.

Nach dem Gebet, fuhr Malcolm fort, habe der König Schwert und Degen gezogen und auf die roh gezimmerte Holzbank gelegt, auf der er sich niedersetzte. Dort in der Kirche habe König Richard seine Pläne zur Vernichtung Heinrich Tudors geschmiedet, sollte dieser Emporkömm­ling aus der bevorstehenden Schlacht als Sieger hervorgehen. Denn Richard habe gewusst, dass er Heinrich Tudor überlegen sei - es immer schon gewesen war. Im Leben war er ihm als erfahrener und siegreicher Feldherr überlegen. Im Tod würde er ihm insofern über­legen sein, als er die einzige Kraft war, die den Thron­räuber vernichten konnte.

»Du meine Güte«, murmelte jemand beifällig. Ja, Malcolms Zuhörerinnen standen im Bann der tragischen Romantik des Moments. Gott sei Dank.

Richard, erklärte er ihnen weiter, sei sich der Intrigen bewusst gewesen, die zwischen Heinrich Tudor und Elisabeth Woodville gesponnen wurden - Witwe seines Bruders Eduard IV. und Mutter der beiden jungen Prinzen, die er früher im Tower in sicherem Gewahrsam hatte.