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Unter großen Mühen und mit Hilfe von Beruhigungsmitteln fuhren sie in ein Krankenhaus in Ljubljana, und Mari unterzog sich einer Reihe von Untersuchungen. Es wurde nichts Auffälliges gefunden, nicht einmal ein Aneurysma, so daß Mari dem Rest ihres Lebens getrost entgegensehen konnte.

Doch die Panikattacken kamen immer wieder. Während der Mann einkaufte und kochte, machte Mari den täglichen, notwendigen Hausputz, um sich abzulenken. Sie begann alle Bücher über Psychiatrie zu lesen, deren sie habhaft werden konnte, hörte aber schnell wieder damit auf, weil sie sich in jeder dort beschriebenen Krankheit wiederfand.

Das schlimmste war, daß sie sich zwar an die Attacken gewöhnte, diese aber weiterhin ein Gefühl tiefer Angst, von Fremdsein und Verlust der Selbstkontrolle in ihr auslösten.

Hinzu kam, daß sie sich wegen ihres Mannes Vorwürfe zu machen begann, der nun neben seinem Beruf auch noch (bis aufs Putzen, das sie weiterhin übernahm) die Hausarbeit erledigen mußte.

Als die Zeit verging und keine Besserung eintrat, packte Mari eine ungeheure Wut, die sie an ihrer Familie abreagierte.

Wegen nichts und wieder nichts verlor sie die Beherrschung, fing an zu schreien und dann hysterisch zu weinen.

Nach einem Monat erschien Maris Partner bei ihr zu Hause. Er hatte jeden Tag angerufen, doch sie war nicht ans Telefon gegangen oder hatte ihren Mann ausrichten lassen, sie sei beschäftigt. An jenem Nachmittag klingelte er einfach so lange an der Haustür, bis sie die Tür öffnete.

Mari hatte einen ruhigen Vormittag verlebt. Sie servierte Tee, sie unterhielten sich über das Büro, und er fragte sie, wann sie wieder zur Arbeit käme.

»Nie wieder.«

Er erinnerte sich an das Gespräch über El Salvador.

»Sie haben immer ihr Bestes gegeben und haben das Recht, selbst zu entscheiden, was Sie tun wollen«, sagte er ohne den geringsten Vorwurf in der Stimme. »Doch vergessen Sie nicht, daß in solchen Fällen die Arbeit die beste Therapie ist. Reisen Sie, lernen Sie die Welt kennen, tun Sie, was Ihnen sinnvoll erscheint, aber die Türen der Kanzlei stehen Ihnen immer offen, wir warten auf Sie.«

Als sie dies hörte, brach Mari in Tränen aus, wie es ihr jetzt oft passierte.

Der Partner wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Als guter Anwalt stellte er keine Fragen. Er wußte, daß er so eher eine Anwort bekommen würde.

Und so war es auch. Mari erzählte ihm die Geschichte von dem Ereignis im Kino bis zu ihren jüngsten hysterischen Ausfällen gegen ihren Mann, der sie so sehr unterstützte.

»Ich bin verrückt«, sagte sie.

»Das ist möglich«, antwortete er milde wie jemand, dem man alles sagen kann. »Sie haben die Wahclass="underline" Entweder Sie lassen sich behandeln oder Sie bleiben weiter krank.«

»Für das, was ich fühle, gibt es keine Behandlung. Ich bin noch immer im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, aber ich mache mir Sorgen, weil das Ganze nun schon zu lange andauert.

Die klassischen Symptome von Verrücktheit — wie Realitätsverlust, Desinteresse, unkontrollierte Aggressivität — habe ich allerdings nicht. Nur Angst.«

»Das sagen alle Verrückten: daß sie normal sind.«

Die beiden lachten, und sie kochte noch etwas Tee. Sie redeten über das Wetter, die Unabhängigkeit Sloweniens, die Spannungen, die es jetzt zwischen Kroatien und Jugoslawien gab. Mari sah den ganzen Tag lang fern und war über alles bestens informiert.

Bevor er sich verabschiedete, kam der Partner noch einmal auf das Problem zurück.

»Kürzlich wurde ein Sanatorium in der Stadt eröffnet. Ausländisches Kapital und Behandlung auf erstklassigem Niveau.«

»Was wird dort behandelt?«

»Sagen wir mal, Störungen. Und übertriebene Angst ist eine Störung.«

Mari versprach, darüber nachzudenken, faßte aber noch keinen Entschluß. Es brauchte einen weiteren Monat voller Panikattacken, bis sie begriff, daß nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch ihre Ehe zusammenbrach. Sie bat erneut um Beruhigungsmittel und wagte, das Haus zu verlassen. Das zweite Mal innerhalb von sechzig Tagen.

Sie nahm ein Taxi und fuhr zum neuen Sanatorium. Auf dem Weg dorthin fragte der Fahrer sie, ob sie dort jemanden besuchen wolle.

»Angeblich ist es dort sehr angenehm, aber offenbar gibt es dort auch richtig Verrückte und Behandlungen mit Elektroschock.«

»Ja, ich besuche dort jemanden«, antwortete Mari.

Ein einstündiges Gespräch genügte, um dem zweimonatigen Leiden Maris ein Ende zu bereiten. Der Leiter der Anstalt, ein hochgewachsener Mann mit schwarz gefärbtem Haar namens Dr. Igor erklärte ihr, daß es sich nur um eine panische Störung handle, eine erst kürzlich in die psychiatrischen Lehrbücher aufgenommene Krankheit.

»Das heißt nicht, daß die Krankheit neu ist«, erklärte er und bemühte sich, verständlich zu sein. »Häufig verbergen sich die Menschen, die von ihr befallen sind, aus Angst davor, für verrückt gehalten zu werden. Es handelt sich wie bei der Depression nur um ein chemisches Ungleichgewicht im Organismus.« Dr. Igor schrieb ein Rezept und bat sie, nach Hause zurückzukehren.

»Ich möchte jetzt nicht zurück«, antwortete Mari. »Trotz allem, was Sie mir erzählt haben, traue ich mich nicht mehr auf die Straße. Meine Ehe ist zur Hölle geworden, und ich muß auch meinen Mann entlasten, damit er sich von den Monaten erholt, in denen er sich um mich kümmern mußte.«

Wie häufig in solchen Fällen, und da zudem die Aktionäre die Anstalt voll ausgelastet haben wollten, befürwortete Dr. Igor eine Einweisung, wies jedoch deutlich darauf hin, daß sie nicht notwendig sei.

Mari erhielt die entsprechenden Medikamente, wurde psychotherapeutisch begleitet, und die Symptome nahmen ab, bis sie schließlich ganz verschwanden.

In der Zwischenzeit hatte jedoch die Einweisung Maris in die Anstalt in der kleinen Stadt Ljubljana die Runde gemacht.

Ihr Partner und Freund, der so lange Jahre Freud und Leid mit ihr geteilt hatte, kam sie in Villete besuchen.

Er beglückwünschte sie zu ihrem Mut, seinen Rat befolgt und Hilfe gesucht zu haben. Doch dann teilte er ihr den eigentlichen Grund seines Besuches mit:

»Womöglich ist jetzt wirklich der Augenblick gekommen, an dem Sie in Rente gehen sollten.«

Mari begriff, was hinter diesen Worten stand: Niemand wollte seine Geschäfte einer Anwältin anvertrauen, die in einer psychiatrischen Anstalt gewesen war.

»Sie sagten, Arbeit sei die beste Therapie. Ich muß wieder zurück, und sei's nur für kurze Zeit.«

Sie wartete auf eine Reaktion, doch er schwieg. Mari fuhr fort:

»Sie selbst haben vorgeschlagen, daß ich mich behandeln lassen soll. Als ich erwog, mich pensionieren zu lassen, wollte ich freiwillig und mit fliegenden Fahnen gehen. Ich will nicht gehen, weil ich muß. Geben Sie mir wenigstens eine Chance, mein Selbstwertgefühl zurückzuerlangen.

Dann werde ich anschließend von mir aus zurücktreten.«

Der Anwalt hüstelte.

»Ich hatte vorgeschlagen, daß Sie sich behandeln, nicht daß Sie sich internieren lassen sollen.«

»Aber das war damals eine Frage des Überlebens. Ich traute mich einfach nicht mehr auf die Straße, und meine Ehe war am Ende.«

Mari wußte, daß ihre Worte ins Leere gingen. Was auch immer sie sagte, überreden konnte sie ihn nicht. Der Ruf der Kanzlei stand auf dem Spiel. Trotzdem nahm sie einen letzten Anlauf:

»Ich habe hier drinnen mit zweierlei Menschen zusammengelebt: Menschen, die keine Chance haben, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, und Menschen, die vollkommen geheilt sind, doch lieber vorgeben, verrückt zu sein, um sich vor den Verantwortungen, die das Leben ihnen abverlangt, zu drücken. Ich möchte, ich muß mich wieder mögen, muß mich selbst davon überzeugen, daß ich imstande bin, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich will nicht zu Dingen gedrängt werden, die ich nicht selbst gewählt habe.«