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Ich werde mir die eine oder andere Dummheit leisten, nur damit die Leute sagen: Die war in Villete! Doch ich weiß, daß meine Seele vollständig sein wird, weil mein Leben einen Sinn hat. Ich kann einen Sonnenuntergang anschauen und daran glauben, daß Gott dahintersteht. Wenn jemand mir zu sehr auf die Nerven geht, werde ich irgend etwas Unmögliches sagen und mich nicht darum scheren, was die anderen denken, denn alle werden ja sagen: Die war in Villete!

Ich werde die Männer auf der Straße ansehen, ihnen in die Augen blicken und mich nicht schämen, wenn ich mich von ihnen begehrt fühle. Doch dann werde ich in einen Laden mit Importgütern gehen und die besten Weine kaufen, die mein Geldbeutel mir erlaubt, und werde sie mit einem Ehemann trinken, den ich liebe und mit dem ich wieder lachen will.

Und er wird lachend zu mir sagen: Du bist verrückt! Und ich werde antworten: Na klar, ich war in Villete! Und die Verrücktheit hat mich befreit. Jetzt, mein geliebter Mann, wirst du jedes Jahr Urlaub nehmen und mit mir in irgendwelche gefährlichen Berge fahren, denn ich muß das Risiko spüren, am Leben zu sein.

Die Leute werden sagen: Die war in Villete und macht jetzt auch noch ihren Mann verrückt! Und er wird begreifen, daß die Leute recht haben, und Gott dafür danken, daß unsere Ehe jetzt beginnt und wir verrückt sind.«

Zedka ging hinaus und trällerte dabei eine Melodie, die Veronika zuvor noch nie gehört hatte. Der Tag war zwar anstrengend gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Dr. Igor versuchte gelassen zu bleiben, wie es sich für einen Wissenschaftler gehörte, doch er konnte seine Begeisterung kaum für sich behalten: Die Tests für die Heilung der Vitriolvergiftung lieferten überraschende Ergebnisse.

»Sie haben heute keinen Termin«, sagte er zu Mari, die ohne anzuklopfen eingetreten war.

»Es geht ganz schnell. Eigentlich wollte ich Sie nur kurz um Ihre Meinung fragen.«

>Heute scheinen alle nur kurz etwas von mir wissen zu wollen<, sagte er sich und mußte an die junge Frau und ihre Frage zum Sex denken.

»Eduard hat gerade einen Elektroschock erhalten.«

»Elektrokonvulsive Therapie. EKT. Nennen Sie es bitte beim korrekten Namen, sonst könnte man meinen, wir seien ein Verein von Barbaren.« Dr. Igor konnte seine Überraschung fürs erste überspielen, doch anschließend würde er nachfragen, wer das angeordnet hatte. »Und wenn Sie meine Meinung dazu wissen wollen, dann muß ich Sie dahin gehend aufklären, daß die EKT heute nicht mehr so wie früher angewendet wird.«

»Aber es ist doch gefährlich.«

»Es war gefährlich, früher, als weder die genaue Voltzahl bekannt war noch die Stellen, an denen die Elektroden angesetzt werden müssen. Viele Menschen sind während der Behandlung an Gehirnblutung gestorben. Doch heute ist das anders: Die EKT wird wieder angewandt, unter besseren technischen Voraussetzungen, und hat zudem den Vorteil, umgehend eine Amnesie hervorzurufen und die Vergiftung durch langfristige Medikamenteneinnahme zu vermeiden.

Sie können das in psychiatrischen Fachzeitschriften nachlesen.

Und verwechseln Sie bitte die EKT nicht mit den Elektroschocks der südamerikanischen Folterer!

So. Sie haben meine Meinung erfahren. Jetzt muß ich mich wieder an meine Arbeit machen.«

»Das wollte ich überhaupt nicht wissen. Eigentlich wollte ich wissen, ob ich die Anstalt verlassen darf.«

»Sie können sie verlassen, wann Sie wollen, und zurückkehren, wann Sie wollen, weil Ihr Mann noch genügend Geld hat, um Ihnen den Aufenthalt an einem Ort wie diesem zu finanzieren. Vielleicht sollten Sie mich besser fragen: Bin ich geheilt? Und meine Antwort wird dann sein: Wovon geheilt?

Sie werden sagen: von meiner Angst, von meinem Paniksyndrom.

Und ich werde antworten: Liebe Mari, das sind Sie schon seit drei Jahren.«

»Dann bin ich also geheilt?«

»Selbstverständlich nicht. Denn das ist überhaupt nicht Ihr Leiden. In dem Aufsatz, an dem ich gerade arbeite und den ich der Akademie der Wissenschaften Sloweniens vorlegen möchte (Dr. Igor wollte jetzt nichts Genaueres über das Vitriol sagen), versuche ich das sogenannte >normale< menschliche Verhalten zu untersuchen. Viele Ärzte vor mir haben diese Untersuchung bereits gemacht und sind zum Schluß gekommen, daß die Normalität nur eine Frage des Konsenses ist. Oder besser gesagt, wenn viele Menschen glauben, daß etwas richtig ist, dann wird es richtig.

Es gibt Dinge, die vom gesunden Menschenverstand bestimmt werden: Daß man die Knöpfe an einem Hemd vorn anbringt, ist eine Frage der Logik, denn es wäre sehr viel schwieriger, es seitlich oder gar auf dem Rücken zuzuknöpfen.

Andere Dinge jedoch setzen sich durch, weil immer mehr Menschen glauben, sie müßten so sein. Ich werde Ihnen zwei Beispiele nennen: Haben Sie sich jemals gefragt, warum die Buchstaben auf den Tasten einer Schreibmaschine in der bekannten Ordnung verteilt wurden?«

»Nein.«

»Wir können die Tastatur QWERTY nennen, denn die Buchstaben in der ersten Reihe sind so angeordnet. Ich habe mich gefragt, warum das so ist, und die Anwort gefunden: Die erste Maschine wurde 1873 von Christopher Scholes erfunden, damit die Leute schöner schreiben konnten. Doch dabei gab es ein Problem. Wenn man sehr schnell auf der Maschine schrieb, verhedderten sich die Typen und blokkierten die Maschine. Da entwarf Scholes die QWERTY-Tastatur, eine Tastatur, die die Schreiber zwang, langsam zu schreiben.

»Das glaube ich nicht.«

»Es stimmt trotzdem. Die Firma Remington, die damals Nähmaschinen produzierte, benutzte die QWERTY-Tastatur für die ersten Schreibmaschinen.

Wollten die Leute mit der Maschine schreiben, mußten sie sich an dieses System gewöhnen. Als später andere Firmen Maschinen mit dieser Tastatur herstellten, wurde sie zur Normtastatur. Ich wiederhole: Die Tastatur der Maschinen und der Computer wurde entworfen, damit man langsamer schrieb und nicht schneller, verstehen Sie? Versuchen Sie einmal, die Buchstaben anders anzuordnen, und Sie werden keinen Käufer für Ihr Produkt finden.«

Als Mari zum ersten Mal eine Tastatur gesehen hatte, hatte sie sich zwar gefragt, warum die Buchstaben nicht alphabetisch angeordnet waren. Doch sie hatte nie nach dem Grund gefragt, weil sie glaubte, daß dies die beste Anordnung war, um schnell schreiben zu können.

»Waren Sie schon einmal in Florenz?« fragte Dr. Igor.

»Nein.«

»Da sollten Sie einmal hinfahren, es ist nicht weit, und dort befindet sich mein zweites Beispiel. In der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz gibt es eine wunderschöne Uhr, die Paolo Uccello 1443 entworfen hat. Allerdings hat es mit dieser Uhr eine besondere Bewandtnis: Sie zeigt wie alle anderen Uhren auch die Stunden an, doch ihre Zeiger bewegen sich gegen unseren Uhrzeigersinn.«

»Und was hat das mit meiner Krankheit zu tun?«

»Dazu komme ich gleich. Paolo Uccello wollte nicht originell sein, als er diese Uhr schuf. Es gab damals solche Uhren und andere, deren Zeiger sich in unserem heutigen Uhrzeigersinn bewegten. Aus einem unbekannten Grund, möglicherweise, weil der Herzog eine Uhr besaß, deren Zeiger sich nach rechts bewegten wie bei unseren heutigen Uhren, hat diese sich durchgesetzt, und Uccellos Uhr wurde zu einer Abweichung, einer Verrücktheit.«

Dr. Igor hielt inne. Doch er wußte, daß Mari seinem Gedankengang folgte. »Nun zu Ihrer Krankheit. Jeder Mensch ist einmalig und einzigartig, mit seinen Eigenschaften, Trieben, Begierden und Abenteuern. Doch die Gesellschaft zwingt ihm ein kollektives Verhaltensmuster auf, und die Menschen fragen sich immer wieder, wieso sie sich so und nicht anders verhalten sollen. Doch letztlich nehmen sie es genauso hin wie die Daktylographen die QWERTY-Tastatur. Ist Ihnen jemals jemand begegnet, der Sie gefragt hätte, warum die Uhrzeiger sich in die eine und nicht in die andere Richtung bewegen?«