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Als der Botschafter an jenem Abend von der Arbeit nach Hause kam, fand er sie weinend in ihrem Zimmer. »Unser Sohn ist verrückt«, sagte sie, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Der Unfall hat sein Gehirn angegriffen.«

»Unmöglich«, entgegnete empört der Botschafter. »Die Vertrauensärzte der Amerikaner haben ihn doch untersucht.«

Die Frau erzählte, was sie gehört hatte.

»Das ist ganz normales jugendliches Aufbegehren. Wart's nur ab, alles wird wieder gut.«

Dieses Mal führte das Warten zu nichts, denn Eduard hatte es eilig, mit dem Leben zu beginnen. Zwei Tage später schrieb er sich, nachdem er keine Lust mehr hatte, auf eine Entscheidung der Freundinnen seiner Mutter zu warten, selbst in einen Malkurs ein. Begann Farbund Perspektivlehre zu studieren, begann aber auch mit Leuten zusammen zu sein, die nie über Turnschuhmarken und Automodelle redeten.

»Er ist mit Künstlern zusammen!« jammerte die Mutter dem Botschafter vor.

»Laß den Jungen«, antwortete der Botschafter. »Irgendwann hat er genug davon, wie von seiner Freundin, den Kristallen, den Pyramiden, den Räucherstäbchen und dem Marihuana.«

Doch die Zeit verging, und Eduards Zimmer verwandelte sich in ein improvisiertes Atelier mit Bildern, die seinen Eltern überhaupt nichts sagten: Es waren Kreise, exotische Farbkombinationen, primitive Symbole vermischt mit betenden Gestalten.

Eduard, der einsame Junge, der in den zwei Jahren in Brasilia nie Freunde heimgebracht hatte, füllte nun das Haus mit merkwürdigen, schlecht gekleideten Leuten mit zerzausten Haaren, die scheußliche Platten in voller Lautstärke hörten, haltlos rauchten und tranken und schlechte Manieren an den Tag legten. Eines Tages bestellte die Direktorin der Amerikanischen Schule die Botschaftergattin zu einem Gespräch.

»Ihr Sohn muß mit Drogen in Kontakt gekommen sein«, sagte sie. »Seine schulischen Leistungen sind miserabel, und wenn er so weitermacht, können wir ihn nicht auf der Schule behalten.«

Die Frau begab sich sofort ins Büro des Botschafters und berichtete, was sie gerade gehört hatte.

»Du sagst die ganze Zeit, daß alles wieder gut wird!«

schrie sie hysterisch. »Dein Sohn ist drogensüchtig, verrückt, hat einen schweren Hirnschaden, während du dich nur um Cocktails und Empfänge kümmerst.«

»Leiser, bitte«, bat er.

»Ich rede überhaupt nicht leiser, nie mehr in meinem Leben, solange du deine Haltung nicht änderst! Dieser Junge braucht Hilfe, verstehst du? Ärztliche Hilfe! Tu endlich was!«

Aus Angst, der Aufstand seiner Frau könnte ihn bei seinen Angestellten in ein schlechtes Licht rücken, aber auch weil ihm Eduards Malfimmel zu weit ging, überlegte sich der Botschafter als praktischer und gewiefter Mensch eine Strategie, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Zuerst rief er seinen amerikanischen Kollegen an und bat ihn, erneut die medizinischen Dienste der Botschaft beanspruchen zu dürfen. Der Bitte wurde entsprochen.

Er ging zu den bei der amerikanischen Botschaft akkreditierten Ärzten, erklärte ihnen die Lage und bat darum, die Ergebnisse der damals gemachten Untersuchungen noch einmal durchzusehen. Die Ärzte, die befürchteten, es könnte ihnen ein Prozeß gemacht werden, erfüllten seinen Wunsch und kamen zum Schluß, daß alles normal war. Bevor der Botschafter ging, ließen ihn die Ärzte ein Dokument unterzeichnen, wonach er die amerikanische Botschaft nicht dafür haftbar machte, ihn an ihre Vertrauensärzte verwiesen zu haben.

Anschließend begab sich der Botschafter ins Krankenhaus, in dem Eduard behandelt worden war. Er sprach mit dem Direktor, setzte ihm das Problem seines Sohnes auseinander und bat, Eduard unter dem Vorwand eines Routine-Check-ups einem Drogentest zu unterziehen.

Das geschah. Keine Spur von einer Droge.

Jetzt blieb noch der dritte Teil der Strategie: mit Eduard reden und herausfinden, was los war. Nur wenn er alle Informationen hatte, konnte der Botschafter eine angemessene Entscheidung treffen.

Vater und Sohn nahmen im Wohnzimmer Platz.

»Du machst deiner Mutter Sorgen«, sagte der Botschafter.

»Deine Noten sind schlechter geworden, es besteht die Gefahr, daß du von der Schule gehen mußt.«

»Meine Malnoten werden dafür immer besser, Vater.« »Ich finde dein Interesse an der Kunst zwar sehr schön, doch du hast noch das ganze Leben vor dir, um malen zu können. Im Augenblick geht es darum, die Oberstufe abzuschließen, damit ich dich in die diplomatische Laufbahn bringe.

Eduard dachte lange nach, bevor er etwas sagte. Er ließ den Unfall noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen, dachte an das Buch über die Visionäre, das im Grunde nur ein Vorwand gewesen war, seine wahre Berufung zu finden, er dachte an Maria, von der er nie wieder gehört hatte. Er zögerte lange, doch dann antwortete er:

»Vater, ich möchte nicht Diplomat werden, sondern Maler.«

Der Vater war auf diese Antwort schon vorbereitet und wußte, wie er sie umgehen konnte.

»Du wirst Maler werden, aber vorher mach die Schule zu Ende. Wir werden in Belgrad, Zagreb, Ljubljana und Sarajewo Ausstellungen organisieren. Mit meinen Beziehungen kann ich dir helfen, aber vorher mußt du deine Ausbildung abschließen.«

»Wenn ich das tue, wähle ich den einfacheren Weg, Vater.

Ich gehe auf irgendeine Uni, studiere, was mich nicht interessiert, was mir aber Geld einbringt. Dann wird die Malerei in den Hintergrund, an die zweite Stelle rücken, und ich werde meine Berufung allmählich vergessen. Ich muß lernen, mit der Malerei Geld zu verdienen.«

Der Botschafter wurde allmählich böse.

»Du hast alles, mein Sohn: Eltern, die dich lieben, ein Haus, Geld, gesellschaftliche Stellung. Aber du weißt, daß unser Land augenblicklich schwierige Zeiten durchmacht.

Es kursieren Gerüchte, daß es einen Bürgerkrieg geben könnte. Vielleicht kann ich dir morgen schon nicht mehr helfen.«

»Ich werde mir schon selber zu helfen wissen, Vater. Vertraue mir. Eines Tages werde ich eine Serie mit dem Titel

>Visionen des Paradieses< malen. Es wird die Geschichte dessen darstellen, was Männer und Frauen bisher nur in ihren Herzen erlebt haben.«

Der Botschafter lobte die Entschlossenheit seines Sohnes, beendete das Gespräch mit einem Lächeln und beschloß, ihm eine Frist von einem Monat zu geben — schließlich war ja die Diplomatie auch die Kunst, Entscheidungen aufzuschieben, bis die Probleme sich von selbst erledigen.

Der Monat verging. Und Eduard widmete weiter seine ganze Zeit der Malerei, den merkwürdigen Freunden und der Musik, die darauf angelegt zu sein schien, das seelische Gleichgewicht zu zerstören. Was die Sache noch schlimmer machte, war, daß er von der Amerikanischen Schule flog, weil er mit der Lehrerin über die Existenz der Heiligen gestritten hatte.

Da eine Entscheidung nicht mehr aufgeschoben werden konnte, bestellte der Botschafter den Sohn in einem letzten Versuch zu einem Gespräch unter Männern.

»Eduard, du bist alt genug, um die Verantwortung für dein Leben zu übernehmen. Wir haben alles, solange es ging, ertragen, doch jetzt ist der Augenblick gekommen, wo Schluß mit diesem Blödsinn ist, daß du Maler werden willst, und Zeit, deine Karriere zu planen.«

»Aber Vater, Maler werden ist doch auch eine Karriere.« »Du siehst offensichtlich unsere Liebe, unsere Bemühungen nicht, dir eine gute Ausbildung zu geben. Da du früher nicht so warst, kann ich das nur auf den Unfall zurückführen.«

»Verstehe doch bitte, daß ich euch beide mehr als sonst jemanden auf der Welt oder in meinem Leben liebe!«

Der Botschafter räusperte sich. Er war so direkte Gefühlsäußerungen nicht gewohnt.

»Dann tue im Namen dieser Liebe, die du für uns empfindest, was deine Mutter von dir möchte. Laß eine Zeitlang diese Geschichte mit der Malerei, such dir Freunde, die deiner gesellschaftlichen Position entsprechen, und geh wieder zur Schule.«