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Veronika blickte zu ihrem Zimmer im Kloster hinauf und wurde sofort wieder nüchtern. Ihr fiel wieder ein, daß sie bald sterben würde.

»Kauf doch noch eine Flasche Wein«, bat sie Eduard.

Es gab eine Bar in der Nähe. Eduard brachte zwei Flaschen mit, und sie tranken weiter.

»Was war denn falsch an der Deutung meiner Großmutter?

« fragte Veronika.

Eduard war so betrunken, daß er große Mühe hatte, sich an das zu erinnern, was er im Restaurant gesagt hatte.

»Deine Großmutter hat gesagt, daß die Frau den Fuß auf die Schlange setzte, weil die Liebe Gut und Böse lenken muß. Das ist eine schöne, romantische Interpretation, doch darum geht es hier nicht. Ich habe dieses Bild schon gesehen, und es ist eine der Visionen des Paradieses, die ich einmal malen wollte. Ich hatte mich schon damals gefragt, warum die Heilige Jungfrau immer so dargestellt wurde.«

»Und warum?«

»Weil die Heilige Jungfrau, die weibliche Energie, die große Beherrscherin der Schlange ist, die die Weisheit darstellt.

Wenn du auf den Ring von Dr. Igor achtest, wirst du feststellen, daß das Symbol der Ärzte darin eingraviert ist: zwei Schlangen, die sich um einen Stab winden. Die Liebe steht über der Weisheit wie die Heilige Jungfrau über der Schlange. Für sie ist alles Inspiration. Sie richtet nicht über Gut und Böse.«

»Weißt du was?« fragte Veronika. »Die Heilige Jungfrau hat sich nie darum gekümmert, was die anderen dachten.

Stell dir vor, was es heißt, allen die Geschichte mit dem Heiligen Geist zu erklären! Sie hat überhaupt nichts erklärt. Sie hat einfach nur gesagt: >Es ist so geschehen.< Weißt du, was die anderen wahrscheinlich gesagt haben?«

»Na klar. Die haben gesagt, sie ist verrückt.«

Die beiden lachten. Veronika hob ihr Glas.

»Herzlichen Glückwunsch! Du solltest diese Visionen des Paradieses malen, statt darüber zu reden!«

»Ich fange erst mal mit dir an«, antwortete Eduard.

Neben dem kleinen Platz erhebt sich ein kleiner Hügel, und auf dem Hügel steht eine kleine Burg. Veronika und Eduard gingen den steilen Weg hinauf, fluchten und lachten, während sie auf dem Eis ausrutschten und meinten, nicht mehr weiter zu können.

Neben der Burg steht ein riesiger gelber Kran. Wer zum ersten Mal nach Ljubljana kommt, wird annehmen, daß die Burg restauriert wird und die Arbeiten bald abgeschlossen sein werden. Die Bewohner Ljubljanas wissen jedoch, daß dieser Kran schon seit Jahren dort steht, obwohl niemand den wahren Grund dafür kennt. Veronika erzählte Eduard, daß die Kinder im Kindergarten, wenn man ihnen sagt, sie sollen die Burg von Ljubljana malen, immer auch den Kran malen. »Im übrigen ist der Kran besser erhalten als die Burg.«

Eduard lachte.

»Eigentlich müßtest du längst tot sein«, sagte er leicht lallend, doch mit einem Anflug von Angst in der Stimme.

»Dein Herz hätte diesen Aufstieg nicht ausgehalten.«

Veronika gab ihm einen langen Kuß.

»Schau mein Gesicht genau an«, sagte sie. »Schau es dir mit den Augen deiner Seele an, damit du es eines Tages zeichnen kannst. Wenn du möchtest, fang erst mal mit mir an, aber fang wieder an zu malen. Das ist mein letzter Wunsch. Glaubst du übrigens an Gott?«

»Ja, schon.«

»Dann schwöre mir im Namen des Gottes, an den du glaubst, daß du mich malen wirst.«

»Ich schwöre es.«

»Und daß du, nachdem du mich gemalt hast, weitermalen wirst.«

»Ich weiß nicht, ob ich das schwören kann.«

»Das kannst du. Und ich möchte dir noch etwas sagen.

Danke, daß du meinem Leben einen Sinn gegeben hast. Ich bin auf diese Welt gekommen, um alles durchzumachen, was ich durchgemacht habe: Ich habe versucht, mich umzubringen, mein Herz zu zerstören. Ich habe dich getroffen, und wir sind zur Burg hinaufgestiegen. Der wahre Sinn meines Lebens aber ist, dich auf den Weg zurückzuführen, den du aufgegeben hattest. Laß nun mein Leben nicht seinen Sinn verlieren, gibt mir nicht das Gefühl, daß es nutzlos war.«

»Vielleicht ist es zu früh oder zu spät, aber ich möchte dir auch etwas sagen, genau wie du es getan hast: Ich liebe dich.

Du brauchst es nicht zu glauben, vielleicht ist es ja dumm, etwas, das ich mir einbilde.«

Veronika umarmte Eduard und bat Gott, an den sie nicht glaubte, sie in diesem Augenblick zu sich zu nehmen.

Sie schloß die Augen, fühlte, daß auch Eduard die Augen schloß. Und der Schlaf überfiel sie, tief und traumlos. Der Tod war süß. Er kam als junger Mann, der nach Wein roch und ihr Haar liebkoste.

Eduard spürte, wie jemand ihm auf die Schulter tippte. Als er die Augen öffnete, begann es zu tagen.

»Sie können bei der Stadtverwaltung um eine Unterkunft bitten«, sagte der Polizist. »Wenn sie hierbleiben, erfrieren Sie noch.«

In Sekundenbruchteilen erinnerte er sich an das, was in der vorangegangenen Nacht geschehen war. In seinen Armen lag zusammengekrümmt eine Frau.

»Sie... sie ist tot.«

Doch die Frau bewegte sich und öffnete die Augen.

»Was ist geschehen?« fragte Veronika.

»Nichts«, antwortete Eduard und zog sie hoch. »Oder besser gesagt, ein Wunder: noch ein Tag, an dem du lebst.«

Kaum war Dr. Igor in sein Sprechzimmer getreten und hatte das Licht angemacht — es wurde immer noch erst sehr spät hell, dieser Winter dauerte länger als nötig -, da klopfte ein Krankenpfleger an die Tür.

>Das fängt aber früh an heute<, sagte er sich.

Wegen des Gesprächs mit der jungen Frau würde dies ein komplizierter Tag werden. Er hatte sich während der ganzen Woche darauf vorbereitet und in der Nacht kaum geschlafen.

»Ich habe zwei beunruhigende Neuigkeiten«, sagte der Pfleger. »Zwei Patienten sind geflohen: der Sohn des Botschafters und das Mädchen mit den Herzproblemen.«

»Ihr seid einfach unfähig. Die Sicherheit in diesem Krankenhaus läßt sehr zu wünschen übrig.«

»Bislang hat noch niemand versucht zu fliehen«, entgegnete der Krankenpfleger erschreckt. »Wir wußten nicht, daß das möglich ist.«

»Raus hier. Ich muß einen Bericht für die Besitzer verfassen, die Polizei benachrichtigen, eine Reihe von Maßnahmen einleiten. Und sagen Sie bitte allen, daß ich in den nächsten paar Stunden nicht gestört werden möchte.«

Der Krankenpfleger verließ bleich den Raum, denn er wußte, daß ein Teil dieses Problems wieder auf seinen Schultern landen würde, weil die Mächtigen mit den Schwächeren immer so umgehen. Ganz gewiß würde er noch vor Tagesende gefeuert werden.

Dr. Igor griff nach einem Block, legte ihn auf den Tisch und wollte gerade mit seinen Aufzeichnungen beginnen, als ihm etwas anderes einfiel.

Er löschte das Licht und blieb in dem von der eben aufgehenden Sonne erst schwach beleuchteten Zimmer sitzen und lächelte. Er hatte es geschafft.

Gleich würde er die notwendigen Aufzeichnungen machen, über die einzig bekannte Heilmethode für eine Vitriolvergiftung berichten: das Bewußtsein des Lebens. Und er würde erklären, welches das Medikament war, das er bei seinem ersten großen Versuch an einem Patienten gebraucht hatte: das Bewußtsein des Todes.

Vielleicht gab es andere Medikamente, doch Dr. Igor beschloß, seine These auf das einzige zu konzentrieren, was er dank einer jungen Frau wissenschaftlich untersucht hatte, die, ohne es zu wollen, in sein Leben getreten war. Sie hatte fast eine Woche lang zwischen Leben und Tod geschwebt, gerade lange genug, um ihm die glänzende Idee für sein Experiment einzugeben.

Alles hing nur von einem ab: von der Überlebensfähigkeit der jungen Frau.

Und sie hatte es geschafft.

Ohne ernsthafte Folgen oder unumkehrbare Schädigungen: Wenn sie sich um ihre Gesundheit kümmerte, würde sie mindestens so lange leben wie er, wenn nicht noch länger.

Doch das wußte nur Dr. Igor, aber auch, daß Selbstmörder, deren erster Versuch zu sterben fehlgeschlagen ist, früher oder später einen weiteren Versuch unternehmen, wußte er.