«Das haben Sie gesagt.«
«Kinderhirne brauchen Nahrung.«
Sie dachte darüber nach.»Und die kommende Elite sind die Kinder von heute?«
«Da setzen Sie zu hoch an. Die kommenden Eltern, Lehrer, Flegel und Faulenzer sind die Kinder von heute.«
«Und Sie sind von missionarischem Eifer erfüllt?«
«Solange es sich auszahlt.«
«Zyniker.«
«Besser, als Schaum zu schlagen.«
«Ehrlicher«, räumte sie ein. Ihre Augen lächelten in dem sanften Licht halb spöttisch, halb freundlich, glänzend graugrün, das Weiße in ihnen leuchtend wie Schnee. Ihre Brauenbögen ließen nichts zu wünschen übrig. Ihre Nase war kurz und gerade, ihre Mundwinkel zeigten nach oben, und ihre Wangen waren an den richtigen Stellen leicht gerundet. Zusammen ergab das Ganze nicht ein Bild landläufiger Schönheit, sondern ein lebens- und charaktervolles Gesicht. Es erzählte etwas von ihrer Geschichte, dachte ich. Glückslinien, kein unzufriedener Zug. Keine Angst, keine innere Unsicherheit. Viel Selbstvertrauen, denn sie wußte, daß sie gut aussah und Erfolg im Beruf ihrer Wahl hatte. Sicher keine Jungfrau mehr: Die Augen eines Mädchens blickten danach immer anders.
«Sind Sie ganz ausgebucht«, fragte ich,»bis Donnerstag?«
«Hier und da habe ich ein paar Minuten frei.«
«Morgen?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf.»Morgen geht nichts.
Am Montag, wenn Sie wollen.«
«Ich hole Sie ab«, sagte ich.»Montag morgen um zehn.«
Kapitel 4
Rupert Ramseys Stimme klang eher resigniert als einladend am Telefon.
«Klar, Sie können gern nach Ihren Pferden sehen. Wissen Sie, wie Sie fahren müssen?«
Er erklärte mir den Weg, der sich als ganz einfach herausstellte, und Sonntag früh um halb zwölf fuhr ich zwischen den beiden Torpfosten aus weiß bemaltem Stein durch und hielt auf dem großen kiesbestreuten Platz vor seinem Haus.
Ein original georgianisches Haus; einfach angelegt, mit großen, luftigen Räumen und eleganten Stuckdecken. Die Einrichtung war nicht gewollt antik: Alte und neue Stile ergänzten sich zu einem völlig modernen Wohn- und Arbeitsambiente.
Rupert selbst war Mitte Vierzig und bei allem scheinbaren äußeren Phlegma ausgesprochen tatkräftig. Er sprach etwas gedehnt. Ich kannte ihn nur vom Sehen, und wir trafen uns jetzt praktisch zum ersten Mal.
«Grüß Sie. «Er gab mir die Hand.»Würden Sie mit in mein Büro kommen?«
Ich folgte ihm durch die weiß gestrichene Haustür und die große quadratische Diele in den Raum, den er als sein Büro bezeichnete, der aber bis auf einen als Schreibtisch dienenden Eßtisch und einen grauen Aktenschrankinder Ecke ganz wie ein Wohnzimmer eingerichtet war.
«Nehmen Sie Platz. «Er wies auf einen Sessel.»Zigarette?«
«Ich rauche nicht.«
«Sehr vernünftig. «Er lächelte, als wäre er eigentlich nicht der Meinung, und zündete sich eine an.
«Energise«, sagte er,»macht den Eindruck, als hätte er ein hartes Rennen hinter sich.«
«Er hat aber doch leicht gewonnen«, sagte ich.
«So schien es zumindest. «Er inhalierte, atmete durch die Nase aus.»Trotzdem bin ich nicht ganz glücklich mit ihm.«
«Inwiefern?«
«Er muß aufgebaut werden. Keine Sorge, das kriegen wir
schon hin. Aber im Moment sieht er etwas dünn aus.«
«Und die beiden anderen?«
«Dial geht die Wände hoch. Ferryboat muß noch viel arbeiten.«
«Ich glaube, Ferryboat mag keine Rennen mehr laufen.«
Die Zigarette verharrte auf dem Weg zum Mund.
«Wie kommen Sie darauf?«
«Er hat diesen Herbst drei Rennen absolviert. Sie haben sich seine Form sicher angesehen. Er ist jedes Mal schlecht gelaufen. Letztes Jahr war er mit Begeisterung dabei und hat von sieben Starts drei gewonnen, den letzten allerdings sehr schwer… und Raymond Child hat ihn mit der Peitsche wundgeschlagen. Es ist, als wäre Ferryboat im Sommer auf der Koppel zu dem Schluß gekommen, daß er Prügel kriegt, wenn er zu weit nach vorn geht, und daß es folglich gescheiter ist, nicht nach vorn zu gehen… und als ob er sich deshalb keine Mühe mehr gibt.«
Er tat einen tiefen Zug an der Zigarette, ließ sich Zeit.
«Erwarten Sie, daß ich bessere Ergebnisse erziele als Jody?«
«Mit Ferryboat oder allgemein?«»Sagen wir… beides.«
Ich lächelte.»Von Ferryboat erwarte ich nicht viel. Dial ist noch sieglos, eine unbekannte Größe. Energise könnte das Champion Hurdle gewinnen.«
«Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte er freundlich.
«Stimmt. Ich erwarte, daß Sie andere Ergebnisse erzielen als Jody. Genügt Ihnen das?«
«Ich wüßte schon gern, warum Sie von ihm weg sind.«
«Differenzen wegen Geld«, sagte ich.»Nicht wegen seiner Trainingsmethoden.«
Mit einer Sorgfalt, die verriet, daß er in Gedanken war, klopfte er die Asche ab. Seine nächsten Worte kamen gedehnt.
«Waren Sie immer damit zufrieden, wie Ihre Pferde gelaufen sind?«
Prickelnd, voll einladender kleiner Fallen, stand die Frage im Raum. Er sah plötzlich auf, begegnete meinem Blick, und seine Augen weiteten sich vielsagend.»Sie wissen also,
weshalb ich frage.«
«Ja. Nur kann ich darauf nicht antworten. Jody sagt, er verklagt mich wegen übler Nachrede, wenn ich erzähle, weshalb ich von ihm weg bin, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln.«
«Diese Äußerung selbst ist schon üble Nachrede.«
«Zweifellos.«
Er stand gutgelaunt auf und drückte die Zigarette aus. Sein Benehmen war wesentlich freundlicher geworden.»Also gut. Schauen wir uns mal Ihre Pferde an. «Wir gingen hinaus auf den Stallhof, der einen rundum guten Eindruck machte. Die dünne, kalte Dezembersonne schien auf frische Farbe, Schotterbelag, hübsche Blumentöpfe und sauber gekleidetes Stallpersonal. Man sah nichts von der Unordnung, die ich von Jody her gewohnt war; keine an der Wand lehnenden Besen, keine in Haufen bereitliegenden Decken, Gurte, Bürsten und Bandagen, auf dem gefegten Boden kein verstreutes Heu. Jody vermittelte Besitzern gern den Eindruck, daß etwas geleistet, daß die Pferde rund um die Uhr versorgt wurden. Rupert versteckte anscheinend lieber den Schweiß und die Arbeit. Bei Jody war der Misthaufen immer präsent. Bei Rupert war er unsichtbar.
«Dial steht hier.«
Wir hielten vor einer Reihe Boxen außerhalb des Haupthofs, und mit einem kurzen Fingerschnippen rief Rupert einen Pfleger herbei, der einige Meter entfernt herumstand.»Das ist Donny«, sagte er.»Er kümmert sich um Dial. «Ich gab Donny die Hand, einem ruppig aussehenden Burschen um die Zwanzig mit ernsten Augen und Mir-machst-du-nichts-vor-Miene. Aus der Art, wie er erst Rupert und dann später das Pferd ansah, schloß ich, daß es sich dabei um seine Grundeinstellung gegenüber dem Leben handelte und nicht um ein mir persönlich geltendes Mißtrauen. Als wir den robusten kleinen Fuchs betrachtet und bewundert hatten, prüfte ich Donny mit einer 5-Pfund-Note. Sie trug mir ein dankendes Kopfnicken ein, aber kein Lächeln.
In der gleichen Zeile stand Ferryboat, der mit mattem Auge in die Welt blickte und kaum das Standbein wechselte, als wir seine Box betraten. Sein Pfleger hatte im Gegensatz zu Donny ein nachsichtiges Lächeln für ihn und nahm mein Trinkgeld strahlend an.
«Energise steht im Haupthof«, sagte Rupert und ging voran.»Um die Ecke.«
Wir waren auf halbem Weg dahin, als zwei Wagen in die Einfahrt rollten und diverse Herren in Schafsfellmänteln und Damen mit Pelzen und klirrenden Armreifen ausstiegen. Sie erblickten Rupert, winkten und strömten auch schon auf den Hof.
Rupert sagte:»Einen Moment noch, dann zeige ich Ihnen Energise.«
«Kein Problem«, meinte ich.»Wenn Sie mir sagen, in welcher Box er steht, sehe ich ihn mir allein an. Kümmern Sie sich um die anderen Besitzer.«