«Sie stehen bei Ganser Mays mit Millionen in der Kreide.«
«Genau. Und sie können die Kohle nicht auftreiben. Da kommt dann der gute Mr. Mays daher und sagt, er will mal nicht so sein und zum Ausgleich ihren Laden übernehmen. Was er auch tut.«
«Ich dachte, die kleinen Buchmacher seien heutzutage besser informiert«, sagte ich.
«Sollte man wirklich meinen, was? Die selber halten sich auch dafür, aber sie sind es nicht. Klar, wenn sich hinterher rausstellt, daß sie einem Betrug aufgesessen sind, schreien sie wie am Spieß und wollen nicht zahlen, aber vorher krallen sie sich die Knete erst mal. Die Unschuldslämmchen.«
«Ich glaube nicht, daß diesmal jemand einen Betrug wittern würde«, sagte ich.
«Eben. Und wieder müßten soundso viele feststellen, daß dieser schleimige Schweinehund sie geschluckt hat. Wie meinen armen Chef.«
Ich überlegte einen Moment.»Es wäre, glaub ich, besser, wenn Sie in dem Wettbüro blieben, bis wir genau wissen, an welchem Tag das Pferd läuft. Die werden ihn wohl kaum loslassen, ohne auf ihn zu setzen, also müssen wir annehmen, daß sein erstes Rennen gilt. Aber ich möchte möglichst sicher sein. Und wenn Sie vor Ort sind, hören Sie vielleicht was.«
«Ich soll die Ohren spitzen?«
«Haargenau. Und die Augen offenhalten.«
«Philby könnt's nicht besser«, sagte Bert.
Charlie langte nach dem Essen und stellte sich ein relativ dünnes Sandwich zusammen.
«Zum Transport«, sagte ich.»Die nötigen Fahrzeuge habe ich alle bei einer Firma in Chiswick gemietet. Ich war heute morgen da und habe sie mir angesehen. Owen ist mit einem Landrover samt Anhänger gleich von dort nach Gatwick, um Black Fire abzuholen und zu seinem Stall zu bringen, und er kommt mit der Bahn zurück. Für Sie, Charlie, haben wir den Wagen mit dem Wohnwagen. Den schafft Owen morgen nach Reading; er stellt ihn auf dem Wohnwagenparkplatz ab und kommt wieder mit der Bahn zurück. Die Zweitschlüssel dafür gebe ich Ihnen schon mal. «Ich ging durchs Wohnzimmer und kam mit dem klirrenden kleinen Bund wieder.»Am Tag X nehmen Sie die Bahn nach Reading und von dort aus den Wagen.«
«Alles klar«, sagte Charlie breit lächelnd.
«Der Wohnwagen wird sonst für Turniere, Ausstellungen und dergleichen vermietet. Er ist als Büro eingerichtet. Kein Bett, keine Kochgelegenheit, bloß ein Schalter, zwei Arbeitstische und drei oder vier Klappstühle. Owen und ich packen noch alles rein, was Sie brauchen, bevor er ihn nach Reading schafft.«
«Prima.«
«Für Owen haben wir dann noch den größeren Lieferwagen. Den hole ich morgen her und lade die Einkäufe ein. Dann dürften wir startklar sein.«
«Hören Sie«, sagte Bert.»Wie sieht's mit dem Geld aus?«
«Brauchen Sie welches, Bert?«
«Ich denke nur, wo Sie hier ohnehin schon alles mögliche mieten, ob Sie mir dann nicht am besten auch gleich einen
Leihwagen stellen. Meine alte Blechkiste ist nämlich nicht so ganz in Schuß. Ich würde ungern den Spaß verpassen, weil der Kühler zu kochen anfängt oder so.«
«Klar«, sagte ich.»Viel sicherer. «Ich holte nebenan Geld und gab es Bert.
«Hoppla«, sagte er.»So viel brauch ich nicht. Was meinen Sie, was ich mir leihe, eine goldene Kutsche?«
«Behalten Sie es ruhig.«
Er sah mich unsicher an.»Mir geht's hier nicht um Kohle, Freund.«
Ich fühlte mich beschämt.»Bert… geben Sie mir zurück, was Sie nicht brauchen. Oder spenden Sie es der JockeyUnterstützungskasse.«
Sein Gesicht hellte sich auf.»Dann geh ich mit meinem alten Chef ein paar Mal in die Kneipe. Der wohltätigste Zweck, den's gibt!«
Charlie aß sein Sandwich auf und wischte sich die Finger am Taschentuch ab.»Denken Sie auch dran, die Schilder zu malen?«sagte er.
«Die habe ich heute gemacht«, versicherte ich ihm.»Wollen Sie sie sehen?«
Wir zogen hinunter in die Werkstatt, wo etliche für die Aktion gemalte Stücke zum Trocknen standen.
«Donnerwetter«, sagte Bert.»Die sehen verdammt echt aus.«
«Das müssen sie auch«, nickte Charlie.»Also«, meinte Bert,»wenn ich mir das so ansehe, glaube ich fast, daß alles klappt.«
Charlie fuhr nach Hause zu seiner bridgespielenden Frau und seinem feudalen Einfamilienhaus in Surrey und Bert zu der Reihenhauswohnung in Staines, die er mit seiner dicken alten Mama teilte. Einige Zeit nachdem sie gegangen waren, holte ich den Wagen raus und fuhr langsam die M 4 hinunter nach Heathrow.
Ich war zu früh. Ungefähr eine Stunde. Mir war schon öfter aufgefallen, daß ich gern vor der Zeit kam, wenn ich mich auf etwas freute — als könnte ich den Gang der Dinge dadurch beschleunigen. Diesmal lief es umgekehrt. Allies Flugzeug
hatte eine halbe Stunde Verspätung.
«Hi«, sagte sie und sah so frisch aus, als wäre sie vier Meilen statt viertausend gereist.»Wie geht's dem kalten kleinen England?«
«Kaum bist du da, wird es wärmer.«
Ihr Lächeln war strahlend wie eh und je, aber jetzt kam ein Glanz in den Augen dazu, die ganze Sonne Miamis.
«Danke, daß du gekommen bist«, sagte ich.
«Diesen Streich möchte ich mir um nichts auf der Welt entgehen lassen. «Sie gab mir einen warmen, erregten Kuß.»Und ich habe meiner Schwester nicht gesagt, daß ich komme.«
«Schön«, sagte ich mit Genugtuung und nahm sie mit zu mir.
Die Klimaänderung blieb äußerlich. Wir verbrachten die Nacht, unsere erste gemeinsame, eng umschlungen unter einer Daunendecke: bequemer, entspannter und wesentlich gemütlicher als der Strand, das Fischerboot oder mein vollklimatisiertes Hotelzimmer nachmittags in Miami.
Am nächsten Morgen brachen wir noch im Dunkeln auf, bibbernd in der Januarkälte und unzufrieden mit der allzu langsam arbeitenden Heizung. Allie fuhr, konzentrierte sich eisern auf den Linksverkehr und bat mich aufzupassen, daß sie an Kreuzungen nicht unwillkürlich falsch abbog. Wir erreichten den Obststand an der A 34 wohlbehalten nach zwei Stunden und hielten dort auf dem großen Parkplatz. Riesige LKWS brummten auf der Hauptverbindung zwischen dem Hafen von Southampton und dem Schwerindustriegebiet von Birmingham vorbei; die Straße war für diesen Verkehr stellenweise noch immer zu schmal.
Wenn sie über den Hügel kamen und mit uns auf einer Höhe waren, schalteten die Laster mehr oder weniger geräuschvoll. Allie mußte schreien.»Nicht gerade das ruhigste Fleckchen Land.«
Ich lächelte.»Jedes Dezibel zählt.«
Wir tranken heißen Kaffee aus einer Thermosflasche und sahen zu, wie sich der Morgen langsam von düsterem zu nur noch tristem Grau durchkämpfte.
«Schon neun«, sagte Allie mit einem Blick auf ihre Uhr.
«Hier fängt der Tag aber wirklich spät an.«
«Um neun mußt du hier sein«, sagte ich.
«Du brauchst mir nur zu sagen, wann ich losfahren soll.«
«Okay.«
Sie trank ihren Kaffee aus.»Kommt er auch bestimmt hier entlang?«
«Es ist der beste und kürzeste Weg, den nimmt er immer.«
«Wenigstens etwas, wenn man einen Exfreund zum Feind hat«, meinte sie.»Man kennt seine Gewohnheiten.«
Ich packte die Thermosflasche weg, und wir fuhren wieder los in Richtung Süden.
«Von hier kommst du«, sagte ich.»Direkt die A 34 hoch.«
«Gut.«
Sie fuhr jetzt merklich sicherer und hielt sich links, ohne dabei noch ständig besorgt die Stirn zu runzeln. Wir kamen zu einer großen Kreuzung und hielten an der Ampel. Sie sah sich um und nickte.»Wenn ich hier bin, ist es also nur noch ein Katzensprung.«
Wir blieben noch eine Weile auf der Straße, die auf und ab ging durch weitgedehntes kahles Hügelland, karg, windig und unwirklich.
«Fahr mal langsamer«, sagte ich.»Siehst du die Abzweigung nach links? Da geht's zu Jodys Stall. Ungefähr eine Meile.«