Ein Wagen mit Anhänger erschien am Horizont. Wieder blickte ich auf die Uhr. Wenn das Allie war, war sie auf die Minute pünktlich.
Ich konzentrierte mich auf das kleine Gespann. Beobachtete, wie es zu Tal fuhr. Eindeutig ein Landrover mit einem Pferdehänger. Ich stieg aus und beobachtete ihren langsamen Weg bergan, bis ich endlich das Nummernschild erkennen konnte.
Definitiv Allie.
Ich machte einen Schritt auf die Straße und winkte ihr, anzuhalten. Sie bog in die Parkbucht ein, drehte das Fenster runter und sah besorgt aus.
«Ist was passiert?«
«Nein, nein. «Ich gab ihr einen Kuß.»Ich bin nur zu früh dran, da wollte ich dir guten Morgen sagen.«
«Du Armleuchter. Als du auf einmal da standest und gewinkt hast, dachte ich, alles sei im Eimer.«
«Jedenfalls hast du den Weg gefunden.«
«Kein Problem.«
«Gut geschlafen?«
Sie zog die Nase kraus.»Schon. Aber das ist vielleicht ein verrücktes Haus, Mensch. Nichts funktioniert. Wenn man das Klo spülen will, muß man Miss Johnston rufen. Sonst kommt keiner damit klar. Trotzdem, ich finde sie richtig nett, die beiden.«
«Man wird so an die gute alte Zeit erinnert.«
«Genau. Sie haben mir ihre Erinnerungsalben gezeigt. Vor dreißig, vierzig Jahren waren sie wer in der Pferdewelt. Preise auf allen Turnieren. Jetzt kämpfen sie sich mit einer kleinen Rente durch, und bald werden sie wohl verhungern.«
«Haben sie das gesagt?«
«Natürlich nicht. Aber man sieht es doch.«
«Geht's Black Fire gut?«
«Na klar. Zum Glück haben sie mir geholfen, ihn einzuladen, sonst stände ich jetzt noch da.«
«Hat er Ärger gemacht?«
«Friedlich wie ein Lämmchen.«
Ich ging nach hinten zu dem Anhänger und schaute über die dreiviertelhohe Tür hinein. Black Fire stand in der linken Box. In der rechten lag ein gefülltes Heunetz. Auch wenn die alten Damen kaum über die Runden kamen — ihre Pferde würden nicht hungern.
Ich ging wieder zu Allie.»Also…«, sagte ich.»Viel Glück.«
«Dir auch.«
Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln, drehte das Fenster hoch und fuhr vorsichtig aus der Parkbucht, um sich in den Verkehr nach Norden einzuordnen.
Auf die zeitliche Abstimmung kam es an.
Ich saß im Wagen und kaute im übertragenen Sinn meine Nägel, sah aber buchstäblich jede halbe Minute auf die Uhr.
Padellics Rennen war das sechste und letzte des Tages, ein Programmplatz, auf dem die Sieglosen sich oft wiederfanden, da die wenigsten Leute sie sehen wollten. Wegen des kurzen Januarnachmittags war das letzte Rennen auf 15.30 Uhr angesetzt.
Jodys Pferde trafen wie die der meisten Trainer, üblicherweise zwei Stunden bevor sie laufen sollten, auf der Rennbahn ein. Selten später, aber häufig früher.
Der Transport von Jodys Stall zur Rennbahn in Stratford on Avon dauerte zwei Stunden. Jodys Transporter mußte also spätestens um halb zwölf losfahren.
Ich ging davon aus, daß er wesentlich früher losfuhr. Je länger er wartete, desto weniger Spielraum blieb für Verzögerungen unterwegs oder für Komplikationen bei der Ankunft, und wenn für mich so viel auf dem Spiel gestanden hätte wie für Jody und Ganser Mays, hätte ich gut eine Stunde für Zwischenfälle eingeplant.
Halb elf… Aber wenn sie nun noch früher…
Ich schluckte. Ich hatte nur raten können.
Wenn Jody das Pferd aus irgendeinem Grund ganz früh losgeschickt hatte und es war schon durch, war unsere ganze Planung umsonst.
Wenn er es am Tag vorher spediert hatte… Wenn er es kostensparend mit den Pferden eines anderen Trainers zusammen spediert hatte… Wenn der Fahrer aus irgendeinem unerfindlichen Grund eine andere Strecke nahm…
Die Wenn vermehrten sich wie bissige Ameisen.
Viertel nach neun.
Ich verließ den Wagen und zog die Antenne eines großen, leistungsstarken Funksprechgeräts aus. Britische Bürger brauchten zwar eigentlich eine Genehmigung in dreimal dreifacher Ausfertigung, bevor sie so etwas benutzen durften, aber egaclass="underline" Wir würden uns nur sekundenlang im Äther tummeln, und Leuchtfeuer auf Bergeshöhen zu entzünden wäre viel umständlicher gewesen.
«Charlie?«sagte ich über Funk.
«Alles in Ordnung hier.«
«Gut. «Ich wartete fünf Sekunden und ging wieder auf Sendung.»Owen?«
«Hier, Sir.«
«Gut.«
Wegen der Höhe meines Standorts konnten Owen und Charlie zwar mich hören, aber nicht sich untereinander. Ich ließ die Antenne draußen und den Schalter auf Empfang und stellte das Gerät wieder ins Auto.
Der Nieselregen nahm kein Ende, doch mein Mund war trocken.
Ich dachte an uns fünf, die wir jetzt warteten. Ich fragte mich, ob die anderen auch so schwache Nerven hatten.
Das Funksprechgerät knisterte plötzlich. Ich nahm es hoch.
«Sir?«
«Owen?«
«Pete Duveen ist gerade an mir vorbei.«
«Prima.«
Ich konnte die entweichende Anspannung in meiner Stimme hören und die Aufregung in seiner. Mit dem pünktlichen Eintreffen von Pete Duveen ging die Sache richtig los. Ich legte das Funkgerät weg und mußte feststellen, daß meine Hand zitterte.
Neuneinhalb Minuten nachdem er Owen passiert hatte, der in Sichtweite der Straße zu Jodys Stall stationiert war, bog Pete Duveen in die Parkbucht ein. Petes Pferdetransporter war hellblau, und sein Name mit Adresse und Telefonnummer stand in großer schwarzroter Schrift auf der Vorder- und Rückseite. Ich kannte Pete von der Rennbahn her, und er war es auch, den ich in Sandown bei meinem mißlungenen Versuch, Jody am Abtransport von Energise zu hindern, engagiert hatte.
Pete Duveen stellte den Motor ab und sprang aus dem Fahrerhaus.
«Morgen, Mr. Scott.«
«Morgen«, sagte ich und gab ihm die Hand.»Schön, daß Sie da sind.«
«Immer zu Diensten. «Er grinste fröhlich, als wollte er sagen, daß er mich zwar für meschugge hielt, daß ich das aber ruhig sein durfte, solange ich harmlos war und ihn überdies bezahlte.
Er war gutgebaut und blond, mit wettergegerbter Haut und mit einem dünnen Oberlippenbart. Offen, vernünftig und ehrlich. Ein Einmann-Transportunternehmen mit Zukunft.
«Haben Sie mein Pferd?«fragte ich.
«Klar.«
«Und wie schickt er sich?«
«Kein Mucks auf der ganzen Tour.«
«Darf ich ihn mir mal ansehen?«fragte ich.
«Klar«, sagte er wieder.»Aber ehrlich, er hat kein Theater gemacht, als wir ihn verladen haben, und ich glaub, den juckt das alles herzlich wenig.«
Ich klappte den Teil der Seitenwand des Transporters herunter, der die Laderampe für die Pferde bildete. Der Transporter war größer als Jodys, aber sonst ganz ähnlich. Das Pferd stand vorn in der am weitesten von der Rampe entfernten Box und schien sich für das Tagesgeschehen nicht die Bohne zu interessieren.
«Man kann nie wissen«, sagte ich und klappte die Rampe wieder hoch.»Vielleicht gibt ihm die Abwechslung mal so richtig Auftrieb.«
«Kann sein«, sagte Pete und meinte damit, wer's glaubt, wird selig.
Ich lächelte.»Einen Kaffee?«
«Gern.«
Ich öffnete den Kofferraum meines Wagens, holte eine Thermosflasche heraus und goß uns jedem eine Tasse ein.
«Sandwich?«bot ich an.
Dankend angenommen. Er aß Rind und Chutney mit Genuß.»Bin früh los«, erklärte er seinen Hunger.»Sie sagten ja, ich solle gegen halb zehn hier sein.«
«Richtig«, stimmte ich zu.
«Ehm… weshalb so früh?«
«Weil ich heute«, erläuterte ich,»noch alles mögliche erledigen muß.«
Nun hielt er mich für noch verschrobener, aber das Sandwich stopfte ihm den Mund.
Der Himmel hellte sich auf, und der feine Sprühregen ließ nach. Ich redete vom Pferderennen im Allgemeinen und von Stratford on Avon im Besonderen und fragte mich, wie ich ihn bloß hinhalten sollte, wenn Jodys Transporter doch erst in allerletzter Minute daheim losfuhr.