Um Viertel nach zehn hatten wir jeder zwei Tassen Kaffee getrunken, und Pete mochte kein Sandwich mehr. Er wurde unruhig und signalisierte Abfahrbereitschaft, was ich jedoch geflissentlich übersah. Ich schwätzte weiter über die Freuden des Besitzens von Rennpferden, und mein Magen krampfte sich in angstvollen Knoten zusammen.
Zwanzig nach zehn. Fünf vor halb. Halb elf. Nichts.
Es war schiefgegangen, dachte ich. Einer der unvorhersehbaren Zwischenfälle, an denen alles scheitern konnte, war eingetreten.
Fünf nach halb elf.
«Hören Sie«, redete mir Pete zu.»Sie sagten doch, Sie hätten heute noch viel zu erledigen, und ich weiß ehrlich gesagt nicht…«
Das Funksprechgerät knisterte.
Ich sprang förmlich hin und nahm es aus dem Wagen.
«Sir?«
«Ja, O wen?«
«Ein blauer Pferdetransporter ist gerade aus der Straße gekommen und nach Süden gefahren.«
«Gut.«
Ich unterdrückte meine Enttäuschung. Sicher die zwei Pferde von Jody, die nach Chepstow sollten.
«Was ist das denn?«fragte Pete und sah mir mit argloser Neugier über die Schulter.
«Nur ein Radio.«
«Hört sich an wie Polizeifunk.«
Ich lächelte und kehrte ans Heck des Wagens zurück, aber kaum hatte ich Pete wieder in ein sinnloses Gespräch verwickelt, kam erneut das Knistern.
«Sir?«
«Sprechen Sie.«
«Ein rehbrauner Transporter mit rotem Streifen, Sir. Gerade nach Norden abgebogen. «Seine Stimme bebte vor
Erregung.
«Das ist er, Owen.«
«Ich fahre los.«
Mir war plötzlich schlecht. Ich atmete dreimal tief durch. Drückte die Sprechtaste.
«Charlie?«
«Ja.«
«Der Transporter ist unterwegs.«
«Halleluja!«
Pete guckte wieder verwirrt und neugierig. Ich ignorierte seinen Gesichtsausdruck und holte eine Reisetasche aus dem Kofferraum meines Wagens.
«Dann wollen wir mal«, sagte ich freundlich.»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern einmal sehen, wie mein Pferd sich im Fahren benimmt. Könnten Sie die Kiste anschmeißen und mich ein Stück mitnehmen?«
Er sah völlig überrascht aus, aber er hatte sich ja schon auf die ganze Tour keinen Reim machen können.
«Wie Sie wollen«, sagte er ratlos.»Sie sind der Boß.«
Ich forderte ihn mit einer Geste auf, ins Fahrerhaus zu steigen und den Motor anzulassen, und legte ihm meine
Tasche auf den Beifahrersitz. Der Dieselmotor brummte, schnaufte und sprang dröhnend an, und ich kehrte zu dem Cortina zurück.
Schloß den Kofferraum, drehte die Fenster hoch, schloß die Türen ab und lehnte mich gegen den Kotflügel, in der einen Hand das Fernglas, in der anderen das Funksprechgerät.
Pete Duveen hatte von Jodys Straße bis zu meiner
Parkbucht neuneinhalb Minuten gebraucht, und Jodys Transporter brauchte genauso lange. Das Fernglas auf die Anhöhe jenseits des Tals gerichtet, sah ich den großen dunkelblauen Lieferwagen mit Owen am Horizont auftauchen und gleich darauf den rehbraunen Pferdetransporter.
Ich verfolgte ihre Talfahrt und ihre Anfahrt am Berg.
Drückte die Sprechtaste.
«Charlie?«
«Bitte.«
«Sieben Minuten. Owen ist vor ihm.«
«Gut.«
Ich schob die Antenne des Funkgeräts zusammen und ging zur Beifahrertür von Petes Transporter. Er blickte fragend auf mich herunter, als könnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, worauf ich noch wartete.
«Momentchen noch«, sagte ich, ohne etwas zu erklären, und er geduldete sich, als hätte er es mit einem Irren zu tun.
Owen kam den Berg herauf, schaltete in Höhe der Parkbucht und beschleunigte dann langsam wieder. Jodys Pferdetransporter, der ihm folgte, machte es genauso. Die eingedrückte linke Seite vorn war ausgebeult, aber noch nicht wieder lackiert worden. Ich warf rasch einen Blick ins Fahrerhaus: zwei Männer, beide nicht Jody, beide mir unbekannt; ein Transportfahrer in der Nachfolge von Andy-Fred und der Pfleger für das Pferd. Optimal.
Ich schwang mich zu Pete ins Fahrerhaus.
«Auf geht's.«
Meine plötzliche Hast wirkte genauso verrückt wie das Getrödel vorher, aber wieder kam er kommentarlos meinem Wunsch nach. Bis er eine Lücke im Verkehr gefunden hatte und auf der Straße war, lagen vier oder fünf Fahrzeuge zwischen uns und Jodys Transporter, was ich ganz annehmbar fand.
Die nächsten vier Meilen bemühte ich mich, so zu tun, als wäre nichts weiter, obwohl ich mein Herz schlagen hörte wie Disko-Musik. An der großen Kreuzung kam Owen, eine halbe Sekunde bevor sie auf Gelb sprang, über die Ampel, und Jodys Wagen mußte anhalten, weil sie auf Rot stand. Owen verschwand in einer Kurve.
Zwischen Jodys und Petes Transportern befanden sich drei PKWS und der kleine Lieferwagen eines Elektrogeschäfts. Als es Grün wurde, bog einer der PKWS nach links ab, und ich machte mir Sorgen, wir könnten zu nah herankommen.
«Fahren Sie etwas langsamer«, bat ich.
«Wie Sie meinen… aber das Pferd gibt keinen Piep von sich. «Er warf einen Blick nach hinten, wo der schwarze Kopf geduldig durch eine kleine Luke in Fahrtrichtung schaute, so nervös wie ein Napfkuchen.
Ein paar PKWS überholten uns. Wir rollten gemächlich weiter und kamen zur nächsten Steigung. Pete schaltete sanft, und wir rumpelten bergan. Als wir fast oben waren, erblickte er ein Schild auf einem Dreifuß am Straßenrand.
«Verflucht«, sagte er.
«Was ist?«fragte ich.
«Haben Sie das gesehen? Gleich kommt ein Kontrollpunkt.«
«Macht nichts, wir haben's ja nicht eilig.«
«Stimmt auch wieder.«
Wir kamen oben an. Links vor uns lag der Obststand mit dem großen Parkplatz. Rotweiße Leitkegel markierten die Straße entlang der Mittellinie, und auf der Fahrspur in Richtung Norden regelte ein massiger Mann in marineblauer Polizeiuniform mit einem schwarzweiß karierten Mützenband den Verkehr.
Als wir herankamen, winkte er die PKWS durch und dirigierte Pete dann auf den Parkplatz, trat zu ihm ans Fenster und redete mit ihm.
«Wir halten Sie nur ein paar Minuten auf, Sir. Würden Sie jetzt bitte drehen und hier mit der Front zu mir parken?«
«In Ordnung«, meinte Pete resigniert und befolgte die Anweisung. Als er anhielt, standen wir zur Straße hin. Etwa drei Meter links von uns parkte Jodys Transporter, aber anders herum. Hinter Jodys Transporter stand der Lieferwagen von Owen. Und hinter Owens Lieferwagen, mit zwanzig Metern Schotter dazwischen, stand der Wohnwagen, die lange, fensterlose Seite uns zugekehrt.
Der Landrover mit Anhänger, den Allie hergefahren hatte, stand versetzt vor Jodys Transporter. Dazu kamen der PKW, an den der Wohnwagen angekoppelt war, und der Mietwagen von Bert, so daß der Schauplatz insgesamt einen bevölkerten, geschäftigen und amtlichen Eindruck machte.
Ein zweites großes Schild auf einem Dreifuß stand direkt vor dem Wohnwagen zum Parkplatz hin
Ministerium für Umweltfragen Verkehrszählung und vor der Tür am Ende des Wohnwagens stand das Hinweisschild Eingang.
Jodys Fahrer und sein Pferdepfleger stiegen gerade dem Pfeil folgend die beiden Stufen zum Wohnwagen hinauf und verschwanden im Innern.
«Dort entlang, Sir. «Ein befehlender Zeigefinger.»Und nehmen Sie bitte Ihren Führerschein und Ihr Fahrtenbuch mit.«
Pete zuckte die Achseln, ergriff seine Papiere und ging. Ich sprang heraus und sah hinter ihm her.
Sobald er drinnen war, schlug Bert mir höchst unpolizeilich auf den Rücken und meinte:»Das läuft wie auf dem Kiez in Blackpool.«
Wir traten in Aktion. Vier Minuten höchstens, und allerhand zu tun.
Ich entriegelte die Rampe von Jodys Transporter und ließ sie leise herab. Wenn etwas einen Pferdetransportfahrer alarmierte, Verkehrszählung hin oder her, dann waren es Geräusche, die verrieten, daß sich jemand an seiner Ladung vergriff, und so war Lärm von Anfang an ein Hauptproblem gewesen.