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Mir wurde bewußt, daß ich noch nie mit einem Pferd allein gewesen war. Eigentlich erstaunlich, denn Energise war schon mein zwölftes. Aber Besitzer tätscheln ihre Pferde meistens im Stall, wo Pfleger und Trainer dabei sind, im Führring, wo alle Welt zuschaut, und im Absattelring, wo man von gratulierenden Freunden umdrängt ist. Besitzer wie ich, die selbst nicht reiten und keine eigene Koppel für ihre Tiere haben, verbringen kaum einmal mehr als fünf Minuten in der Gesellschaft eines Pferdes.

Ich war in diesem Transporter länger mit Energise zusammen als in den ganzen fünf Monaten, seit ich ihn gekauft hatte.

Draußen geriet Jody mehr und mehr in Bedrängnis. Einer der Männer hatte einen Polizisten herbeigeholt, der etwas in sein Notizbuch schrieb. Ich fragte mich belustigt, wie Jody den Bogen von meinem sturen Stehenbleiben zum Ausweichmanöver seines Fahrers und dem dadurch entstandenen Blechschaden spannen würde. Glaubte er, meine Pferde behalten zu können, würde er meine Schuld herunterspielen. Glaubte er, sie zu verlieren, würde er Galle spucken. Schmunzelnd wandte ich mich wieder zu Energise.

«Also ich weiß nicht«, sagte ich,»warum ich ihm verschwiegen habe, daß ich über seinen anderen Schwindel auch Bescheid weiß, aber jetzt bin ich verdammt froh, daß ich das für mich behalten habe, hörst du? Die kleinen Schwindeleien, die er zugegeben hat, kann man getrost vergessen.«

Energise war jetzt so ruhig, daß er schon müde den Kopf hängenließ. Ich betrachtete ihn mitfühlend.

«Es sind nicht nur ein paar hundert Pfund, die er abgesahnt hat«, sagte ich.»Es sind mindestens fünfunddreißigtausend.«

Kapitel 2

Der Eigentümer des beschädigten Transporters nahm meine Entschuldigung an, erinnerte sich, daß er gut versichert war, und beschloß, auf eine Anzeige zu verzichten. Der Polizist seufzte, strich seine Notizen durch und verschwand. Jody ließ die Rampe herunter, holte Energise heraus und führte ihn schnell in Richtung der Stallungen davon. Ich kehrte unterdessen zu meinem Fernglas zurück, zog meinen lädierten Mantel aus und ging nachdenklich wieder zur Waage.

Der Frieden währte ganze zehn Minuten — bis Jody von den Stallungen zurückkam und feststellte, daß ich ihm seine Handlungsvollmacht nicht wieder zugesprochen hatte.

Er entdeckte mich in der kleinen Gruppe von Leuten, die plaudernd auf dem Platz vor der Waage standen.

«Hör mal, Steven«, sagte er.»Du hast vergessen, ihnen zu sagen, daß ich weiterhin dein Trainer bleibe.«

Er schien unbesorgt, nur ein wenig gereizt wegen meines Versäumnisses. Einen Moment lang wurde ich schwach beim Gedanken an das Unwetter, das gleich wieder losbrechen würde, und machte all die alten verhängnisvollen Zugeständnisse: Er war ein guter Trainer, und meine Pferde siegten schon ab und zu. Auch konnte ich ihn wissen lassen, daß seine Rechnungen ab jetzt scharf kontrolliert wurden.

Und was die andere Sache betraf… da ließen sich Einbußen in Zukunft unschwer vermeiden.

Ich holte tief Luft. Es mußte sein, jetzt oder nie.

«Ich habe es nicht vergessen«, sagte ich gedehnt.»Es bleibt dabei. Ich hole die Pferde ab.«

«Was?«

«Ich hole sie ab.«

Der Ausdruck nackter Feindseligkeit in seinem Gesicht war erschreckend.

«Du Dreckskerl!«sagte er.

Wieder gingen die Köpfe zu uns hin.

Jody ließ noch eine Reihe laut und deutlich artikulierter Schimpfwörter vom Stapel. Die Notizbücher der Presseleute schossen wie Pilze am Rand meines Gesichtsfelds auf, und ich griff zu dem einzigen Mittel, das ihn zum Schweigen bringen würde.

«Ich habe Energise heute am Toto gewettet«, sagte ich.

«Na und?«gab Jody vorschnell zurück, bevor ihn der Sinn meiner Worte wie ein Hammerschlag traf.

«Ich hebe mein Konto bei Ganser Mays auf«, sagte ich.

Jody sah mich zwar mordlüstern an, doch er fragte nicht, warum. Er preßte die Kinnbacken zusammen, warf einen nicht mehr ganz so einladenden Blick auf das interessierte Pressevolk und sagte leise drohend:»Ein Ton von dir, und ich verklage dich wegen Verleumdung.«

«Übler Nachrede«, sagte ich automatisch.

«Was?«

«Verleumdung ist schriftlich, üble Nachrede mündlich.«

«Wenn du den Mund aufmachst«, sagte er,»bist du dran.«

«Schöne Freundschaft«, bemerkte ich.

Seine Augen wurden schmal.»Dich zu schröpfen«, sagte er,»war mir Penny für Penny ein Genuß.«

Eine kurze Stille trat ein. Ich hatte das Gefühl, daß mir der Rennsport gründlich verleidet war und ich nie wieder richtig Spaß daran haben würde. Drei Jahre unbeschwerten Vergnügens, dann diese böse Enttäuschung. Schließlich sagte ich:»Laß Energise hier. Ich übernehme seinen Transport«, und Jody drehte sich mit unbewegter Miene um und rauschte durch die Tür zum Waageraum davon.

Der Transport war kein Problem. Ich vereinbarte mit dem jungen Inhaber und Fahrer einer Ein-Mann-Spedition, daß er Energise fürs erste auf seinem kleinen Frachthof unterbringen und ihn in ein, zwei Tagen zu einem Trainer meiner Wahl schaffen sollte.

«Ein dunkelbraunes Pferd, fast schwarz«, sagte ich.»Der Mann am Tor zeigt Ihnen schon, in welcher Box es steht. Ich glaube allerdings nicht, daß ein Pfleger bei ihm ist.«

Wie sich herausstellte, konnte der Spediteur sogar mit einem Pfleger für Energise dienen.»Der kriegt bei mir alles«, versicherte er.»Seien Sie unbesorgt. «Er hatte zwei andere Pferde zur Rennbahn gebracht, von denen eines im letzten Rennen lief, und spätestens eine Stunde danach, sagte er, würde er aufbrechen. Wir tauschten unsere Telefonnummern und Adressen aus und besiegelten die Abmachung per Handschlag.

Mehr aus Höflichkeit als aus rennsportlichem Interesse ging ich dann wieder hinauf in die Loge des Mannes, der mich zu Mittag eingeladen und sich den Sieg meines Pferdes zusammen mit mir angeschaut hatte.

«Steven, wo haben Sie gesteckt? Wir wollten Ihnen beim Feiern helfen.«

Charlie Canterfield, mein Gastgeber, empfing mich mit offenen Armen, ein Glas Sekt in der einen Hand und eine Zigarre in der anderen. Er saß mit seinen acht bis zehn Gästen um einen großen, weiß gedeckten Tisch in der Mitte des Raumes, den statt des Lunchzubehörs jetzt ein Durcheinander von halbvollen Gläsern, Rennprogrammen, Ferngläsern, Handschuhen, Handtaschen und Wettscheinen schmückte. Ein feiner Schleier von Havannarauch und milde Spirituosendüfte erfüllten die Luft, und draußen hinter der schützenden Glaswand lag der Balkon, von dem aus man auf die kühle und windige Rennbahn blickte.

Vier Rennen waren gelaufen, und zwei kamen noch. Mitte des Nachmittags. Alle waren zufrieden in der Stunde zwischen Kaffee-und-Cognac und Tee-und-Gebäck. Ein gemütlicher kleiner Raum voll freundlichem Geplauder und harmloser Blasiertheit. Wohlmeinende Leute, die niemandem Schaden zufügten.

Ich seufzte im Stillen, gab mich Charlie zuliebe gutgelaunt, trank einen Schluck Sekt und ließ mir von jedermann sagen, wie toll es doch sei, daß Energise gewonnen habe. Alle hätten auf ihn gesetzt, hieß es. Massig Mäuse, lieber Steven. Ein kluges Pferd… und so ein gewiefter kleiner Trainer, Jody Leeds.

«Mhm«, meinte ich in einem trockenen Ton, den keiner hörte.

Charlie bedeutete mir, auf einem freien Stuhl zwischen sich und einer Dame mit einem grünen Hut Platz zu nehmen.

«Auf wen tippen Sie im nächsten Rennen?«fragte er.

Ich sah ihn ohne einen Funken Verständnis an.

«Hab vergessen, wer läuft«, sagte ich.

Charlies Gemütlichkeit war für einen Augenblick verflogen. Ich kannte das schon bei ihm, dieses schnelle Abschätzen einer neuen Situation, und ich wußte, daß hier der Schlüssel zu seinem fabelhaften Geschäftssinn lag. Bei aller körperlichen Trägheit, aller sahneweichen Verbindlichkeit machte sein Verstand doch niemals Pause.