«Den Wagen kenne ich nicht«, sagte ich.»Wenn es nun bloß ein Liebespärchen ist?«
«Bei dem Wetter wären die drin, nicht irgendwo im rauhen Unterholz.«
«Stimmt.«
«Nehmen wir zur Sicherheit den Verteilerfinger raus.«
Wir öffneten die Motorhaube und entfernten vorsichtig das unentbehrliche Elektroteil. Dann eilten wir unter sparsamstem Gebrauch der Taschenlampe und möglichst auf Gras gehend zum Stall zurück. Die Nacht war so windig, daß sie kleine Geräusche verschluckte, so finster, daß man keine fünf Schritte weit sehen konnte, und so kalt, daß man keinen Hund vor die Tür geschickt hätte.
Am Hofeingang blieben wir stehen, schauten uns um und horchten.
Nirgends Licht. Die dunkle Masse der Gebäude war gegen den bedeckten Himmel eher zu ahnen, als zu sehen.
Kein Geräusch außer dem unseres eigenen Atems und der mächtigeren Lungen des Windes. Keine Spur von unseren beiden anderen Wachen.
«Was jetzt?«
«Wir sehen nach dem Pferd«, sagte ich.
Wir gingen in den Haupthof und schlichen dort am geräuscharmen, weil betonierten Rand entlang. Die Hofmitte war mit Kies bestreut, da knirschten sogar Samtpfoten.
Vor Box 14 stand ein Stuhl. Ein schlichter Küchenstuhl aus Holz, der mit dem Rücken an der Stallwand lehnte. Kein Wachmann saß darauf.
Leise schob ich den Riegel an der oberen Hälfte der Boxentür zurück und sah hinein. Nach einer leichten Bewegung das Rascheln eines Hufs auf Stroh. Im Aufblitzen der Taschenlampe sah ich die herrliche Gestalt friedlich, halb schlafend im Dunkeln stehen und die Pferdenacht verdösen.
Ich schloß die Tür und schob den etwas knarrenden Riegel wieder vor.
«Alles klar mit ihm«, sagte ich.»Schauen wir mal, ob wir die anderen finden.«
Er nickte. Wir schlössen die Runde um den Haupthof ab und gingen die Nebenställe entlang, immer vorsichtig und möglichst ohne die Lampe zu gebrauchen. Ich wurde das unheimliche Gefühl nicht los, daß wir nicht die einzigen waren, die hier im Dunkeln herumtappten. Ich sah Schatten sich verdichten und griff ängstlich nach Dingen, die nicht da waren, sondern nur dunklere Stellen in der durchgehenden Schwärze. Fünf bis zehn Minuten tasteten wir uns voran, lauschten, machten ein paar Schritte, lauschten, schlichen weiter. Wir gingen die ganzen außerhalb liegenden Boxen ab, sahen und hörten aber nichts.
«Das hat keinen Zweck«, sagte ich leise.»Nichts von ihnen zu sehen. Ob sie sich vielleicht vor uns verstecken, weil sie uns für die Einbrecher halten?«
«Kommt mir bald so vor.«
«Gehen wir wieder auf den Haupthof.«
Wir machten kehrt, nahmen diesmal aber einen schmalen Durchgang zwischen zwei Boxenreihen als Abkürzung. Da ich voranging, war ich es auch, der fast über ein am Boden liegendes Bündel stolperte.
Ich knipste die Taschenlampe an. Sah die marineblaue Uniform und das rot auf der Stirn glitzernde Blut. Sah die geschlossenen Augen und die erschlafften Glieder des Mannes, der auf dem Küchenstuhl hätte sitzen sollen.
«O Gott«, sagte ich verzweifelt und dachte, das verzeihe ich mir im Leben nicht. Ich kniete nieder und tastete nach seinem Puls.
«Er lebt«, sagte mein Freund im grauen Flanell. Er hörte sich zuversichtlich und beruhigend an.»Sehen Sie, wie er atmet. Der kommt schon wieder hin.«
Ich sah nichts als einen Mann, der verletzt war, weil ich ihn der Gefahr ausgesetzt hatte.»Ich hole einen Arzt«, sagte ich und stand auf.
«Und das Pferd?«
«Zum Teufel mit dem Pferd. Das hier ist wichtiger.«
«Ich bleibe bei ihm, bis Sie wiederkommen.«
Ich nickte und machte mich besorgt auf den Weg zum Haus, und jetzt ließ ich die Taschenlampe bedenkenlos brennen. Wenn der Mann durch meine Schuld bleibende Schäden davontrug…
Ich lief.
Stürmte durch Ruperts Tür ins Haus und fand ihn dort in der Diele, im Gespräch mit der Richterin und dem Oberst, die sich offenbar anschickten zu gehen. Sie zog gerade ein Cape um ihre Schultern, und Rupert hielt dem Oberst seinen Mantel hin. Sie drehten sich um und sahen mich wie zu einem Tableau erstarrt an.
«Mein Wachmann ist überwältigt worden. Bewußtlos«, sagte ich.»Könnten Sie einen Arzt rufen?«
«Natürlich«, sagte Rupert ruhig.»Wer hat ihn überwältigt?«
«Hab ich nicht gesehen.«
«Soll auch die Polizei kommen?«
«Ja, bitte.«
Er ging zum Telefon und wählte schnell.»Was ist mit dem Pferd?«
«Sie haben keinen Transporter dabei.«
Wir überlegten beide, was das hieß, während er den Notruf tätigte. Der Oberst und die Richterin standen mit halb offenen Mündern reglos in der Diele, und Rupert warf ihnen, als er den Hörer auflegte, einen gebieterischen Blick zu.
«Kommen Sie bitte mit auf den Hof«, sagte er.»Falls wir Zeugen brauchen.«
Sie waren nicht darauf trainiert, bei dem Gedanken das Weite zu suchen. Als Rupert mit mir im Schlepptau zur Tür hinauseilte, kamen sie uns ohne Hast nach.
Draußen sah immer noch alles ganz ruhig aus.
«Er liegt in einer Gasse zwischen zwei Stallblocks«, sagte ich.
«Ich weiß, wo Sie meinen«, sagte Rupert.»Aber erst sehen wir nach Energise.«
«Später.«
«Nein, jetzt. Warum hätten sie den Posten zusammenschlagen sollen, wenn sie es nicht auf das Pferd abgesehen hatten?«
Er ging geradewegs zum Haupthof, schaltete alle sechs Hoflampen an und marschierte über den hell erleuchteten Kies.
Die Wirkung war wie ein Trompetentusch. Lärm, Licht und Bewegung erfüllten den Platz, der still in völligem Dunkel gelegen hatte.
Beide Hälften der Tür von Box 14 gingen einen Spalt weit auf, und zwei dunkle Gestalten schossen daraus hervor.
«Haltet sie!«rief Rupert.
Es gab nur einen Weg aus dem Hof, den breiten Eingang, durch den wir gekommen waren. Die beiden Gestalten rannten im Bogen darauf zu, einer links von Rupert und mir, der andere rechts.
Rupert stürzte los, um den Kleineren abzufangen, der, als er seinen Kopf ins Licht drehte, sich plötzlich als Jody entpuppte.
Ich lief dem Größeren nach. Griff nach ihm. Bekam ihn zu fassen.
Er schwang seinen schweren Arm, stieß die Hüfte vor, und ich prallte buchstäblich von ihm ab, taumelte und fiel.
Steinharte Muskeln. Die Sonnenbrille blinkte.
Der Joker mischte mit.
Jody und Rupert wälzten sich auf dem Kies, einer klammernd, einer boxend, beide fluchend. Ich ging wieder ohne etwas zu erreichen auf den Muskelmenschen los. Nur weil er offenbar überlegte, ob er Jody beispringen sollte, war ich nochmals an ihn rangekommen, aber dann entschloß er sich zur Flucht. Bis ich mich wieder hochgerappelt hatte, strebte er mit Vollgas dem Ausgang zu. Eine kräftige Gestalt in Marineblau stürzte sich aus der Gegenrichtung auf ihn und brachte ihn mit einer gehechteten beidarmigen Kniezange zu Fall. Die Sonnenbrille flog in hohem Bogen weg, und die beiden Kontrahenten bildeten ein sich windendes Knäuel, wobei der blau Uniformierte obenauf lag und seinen Platz behauptete. Ich kam ihm zu Hilfe, indem ich mich auf die Fußgelenke des Muskelmenschen setzte und ohne Gewissensbisse seine Füße seitlich wegdrückte. Er schrie vor Schmerz und hörte auf zu kämpfen, aber ich muß gestehen, daß ich dennoch nicht gleich aufstand.
Jody riß sich von Rupert los und rannte an mir vorbei. Der Oberst, der an der Seite seiner Freundin erstaunt das Geschehen verfolgt hatte, entschied, daß es Zeit für ein wenig soldatischen Einsatz sei, und streckte elegant den Fuß vor.
Jody stolperte und fiel der Länge nach hin. Der Oberst ging einen Schritt weiter, indem er sich bückte und Jody am Kragen seines Mantels packte. Rupert kam ihm mit neuer Kraft zu Hilfe, und gemeinsam setzten sie sich mehr oder weniger auf Jody und hielten ihn am Boden fest.
«Was jetzt?«keuchte Rupert.
«Auf die Polizei warten«, sagte ich knapp.
Der Muskelmann und Jody begehrten gegen dieses Vorhaben zwar heftig auf, vermochten sich aber nicht zu befreien. Der Muskelmann beklagte sich, ich hätte ihm das Fußgelenk gebrochen. Jody fiel es unter der fachkundigen Betreuung des Obersts offenbar schwer, überhaupt etwas zu sagen. Ja, der Oberst kam allein so gut zurecht, daß Rupert aufstand, sich den Staub abklopfte und mich fragend ansah.